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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 31
52. Jahrgang | November
GNM
In Hamburg hört Beethoven Bob Dylan
Die Gesellschaft für Neue Musik Hamburg und ihr Festival
2004
Die Gesellschaft für Neue Musik Hamburg sieht ihre Aufgabe
in der Förderung und Verbreitung zeitgenössischer Musik.
Dabei geht es um die sachliche Darstellung aktueller musikalischer
Entwicklungen in ihren internationalen Facetten und um die Überwindung
einseitig historischer Bezogenheiten, wie sie vor allem noch immer
im zentraleuropäischen Geschichts- und Kunstbewusstsein verankert
sind.
Das Eröffnungskonzert
des Pur-oder-Plus-Festivals am 25. November mit Musik von
Jan Dvorak, Reinhard Flender, I-En Liu und Babette Koblenz
(unser Bild). Foto: Claire Angelini
Zu diesem Ziele finden im kleineren Rahmen Treffen mit Themenschwerpunkten
statt, außerdem werden je nach den finanziellen Möglichkeiten
Konzerte veranstaltet, in denen spezifische Blickwinkel und Positionen
der Musik dokumentiert werden. Innerhalb dieser Konzerte kommen
lokale wie internationale Aspekte zur Darstellung; die auf den Wirkungsraum
der Gesellschaft für Neue Musik bezogenen Gesichtspunkte sollen
dabei durchaus mit inter- und multikulturellen Perspektiven in Zusammenhang
treten. In den Konzerten werden ebenso noch weitgehend unbekannte
wie auch international oder regional anerkannte Komponistinnen und
Komponisten aufgeführt. Zentrales Ereignis ist das mehrtägige
Festival „Pur oder Plus?“, kurz „POP“, das
1998 gegründet wurde aus Kammerkonzerten und einem Symposion
besteht. Dazu gehören zahlreiche Uraufführungen wie auch
Hamburger Erstaufführungen.
Das diesjährige P.O.P.-Festival präsentiert Musik im
Spannungsfeld jüdisch-synagogaler und christlich-abendländischer
Musik(-Kultur), wobei das Festival-Motto „Beethoven hört
Bob Dylan“ auch soviel meint wie „Die Kultur des Abendlandes
hört den Psalm-Dichtern David und Salomon zu“. Dylans
Stimme steht im Zentrum des Festivals -aber nicht im Sinne von „Pop“,
sondern seIlvertretend für die synagogale Tradition. Dylans
synagogal geprägte Stimme, seine spezifische Phrasierung und
die charakteristische Gestik und Phrasenbildung seiner Songs steht
exemplarisch für eine Kultur, die musikalisch zu David und
Salomon führt – und die abendländische Kultur mit
ihrer Notenschrift, mit „Beethoven“ und ihrer Vorstellung
von „Kunstmusik“ hört dieser anderen, in vielen
Aspekten verschütteten und assimilierten Kultur zu. In dem
zentralen Konzert „Blowing through the letters ...Beethoven
hört Bob Dylan“ treten zahllose Komponisten der Gegenwart
und Vergangenheit in teilweise mikroskopischen Ausschnitten live
der Musik Dylans entgegen, wobei die musikalische Dramaturgie einer
ganz eigenen Kulturgeschichte auf der Spur ist.
Ein solches „Dylan-Festival ohne Dylan“ hatte bereits
1999 in Karlsruhe stattgefunden. Dylan selbst war persönlich
nicht anwesend, aber er hatte Video-Aufzeichnungen der Festival-Konzerte
erhalten. Wir freuen uns, das Karlsruher Konzept in etwas verwandelter
Form nach Hamburg zu bringen, wobei Musik aus sechs Jahrhunderten
zu hören ist.
In den weiteren Konzerten des Festivals werden Werke gegenübergestellt,
in denen sich eine verborgene Spur der aufgerissenen Thematik findet;
an zentraler Stelle steht hier Morton Feldmans dreistündiges
Duo „For Christian Wolff“, dessen ornamentale Metamorphose
einen anderen entscheidenden Aspekt einer Kultur vertritt, die das
Abbild meidet. Verschiedene Werke zeitgenössischer jüngerer
Komponisten bilden schließlich einen aktuellen Beitrag zur
Thematik. Dazu gehört unter anderem eine Musik-Performance
zu einer Bild-Dokumentation heute verfallen(d)er ehemaliger Land-Synagogen.
Die GNMH bemüht sich bei der Verwirklichung ihrer Ziele um
die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Medien und Veranstaltern.
Sie wurde in ihren Konzertprojekten bisher in wesentlicher Hinsicht
von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg unterstützt,
in diesem Jahre auch von der Hamburgischen Kulturstiftung.
Hans-Christian von Dadelsen
Pur-oder-Plus-Festival 2004
„Beethoven hört Bob Dylan“ – Im Spannungsfeld
jüdisch-synagogaler und christlich-abendländ. Musik(-Kultur),
25.–29.11.2003, in Zusammenarbeit mit der Handelskammer
Hamburg (Adolphplatz l,20457 Harnburg) und der Hochschule für
Musik und Theater (Harvestehuder Weg 12, 20148 Hamburg)
25. November 2003
Handelskammer Hamburg, 19 Uhr
Traditionen des Synagogalgesangs. Ein Vortrag in Musikbeispielen
mit Prof.Dr.Reinhard Flender
20 Uhr Licht, Klang, Raum. Eröffnungskonzert. Mit der Dokumentation:
„Unkenntlich, unerkannt“ – ehemalige Landsynagogen
und Musik von Jan Dvorak, Reinhard Flender I-En Liu und Babette
Koblenz.
26. November 2003
Handelskammer Hamburg
20 Uhr „endless ornaments...“
Morton Feldman: For Christian Wolff
Feldmans letztes Kammermusik-Monumentalwerk (zirka drei Std.)
mit Turo Grolimund (Flöten) und Christof Hahn (Tasteninstrumente)
27. November 2003
Handelskammer Hamburg 20 Uhr Liturgie zwischen Stimme und
Instrument Musik von Alexander Skrijabin, Fredrick Schwenk, Turo
Grolimond, Wolfgang A. Schultz, Georg Hajdu, Olivier Messiaen
mit Julia Barthe (Sopran), Vladimir Anohin (Violine),
Turo Grolimund (Flöte), Matthias Veit (Klavier)
28. November 2003
Hochschule für Musik und Theater Forum, 20 Uhr
Beethoven hört Bob Dylan „...blowing through the letters“
(Dylan) LiveMusikHörspiel-Performance für sechs Musiker
und Tape -Musik von Bob Dylan, L. van Beethoven, Pierre Boulez,
John Gage, Josquin Desprez, Roberto Gerhard, Phil Glass, Vinko
Globokar u.a. Texte von Bob Dylan und Franz Kafka. Sprecher (tape):
Alfred Caine und György Ligeti,
Dramaturgie: Hans-Christian v. Dadelsen. Produktion: Manfred Reichert
29. November 2003, Hochschule für Musik und Theater
18 Uhr, Mendelssohn-Saal: „Blowin´in the wind...Musik
– verloren im Notenpapier?“ round-table-Gespräch
mit Krista Warnke, Reinhard Bahr, Fredrik Schwenk, Wolfgang A.
Schultz, Georg Hajdu, Manfred Stahnke und H.-C. v. Dadelsen
20 Uhr Abschlusskonzert: Code – Forme – Ladung
Musik von Steve Reich, Gavin Bryars, Thomas Böttger, Ghristine
K.Brückner, Peter Michael Hamel, Louis Andriessen und Sophia
Gubaidulina.