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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 12
52. Jahrgang | November
Internet/Computer
Im dreidimensionalen Bilder- und Musikrausch
Mobys audiovisuelle Achterbahnfahrten im Planetarium
Computercheck. Alles Roger. Der Sternenhimmel öffnet sich.
Dann hebt das Auditorium ab – zu einer Schwindel erregenden
Tour an die Grenzen der digitalen Animation. Mit SonicVision, einer
Art hypermodernem „Lasarium“, hat das American Museum
of Natural History (AMNH) der Musikbranche eine spektakuläre,
völlig neue Art der visuellen Musikpräsentation eröffnet.
Animation zu den Techno-Beats
in Prodigys „Firestarter“.
Foto: American Museum of Natural History
In Kooperation mit Moby und MTV wurde für SonicVision alles
aufgeboten was die moderne Simulations-Technologie – sowie
die alternative Musikszene – heute zu bieten haben. Das Hayden
Planetarium Space Theater des AMNH ist das weltweit fortschrittlichste
– und am teuersten ausgestattete. Mit sieben gigantischen
hochauflösenden Video-Projektoren wird an die 22 Meter weite
und zwölf Meter hohe Kuppel ein dreidimensionales Panorama
gezaubert, das sich für SonicVision aus einem digitalen Datenvolumen
von 1,3 Terabytes aufbaut. Dies entspricht in etwa dem Speicherplatz
von 32 durchschnittlichen PCs. 118 Prozessoren waren notwendig um
die unglaubliche Achterbahnfahrt durch visuelle Space-Landschaften
zu kreieren.
„SonicVision ist cool, aber sehr schwer zu beschreiben.
Wenn ihr die Show gesehen habt, denke ich, werdet ihr euch auch
schwer tun sie zu beschreiben. Also, genießt es einfach, habt
Spaß!“, begrüßte Moby die Journalisten bei
der Pressevorführung. Moby, international bekannt für
seine digitalen Musikexperimente, war für die Auswahl des Soundtracks
zu SonicVision verantwortlich. „Da ich schon als kleiner Junge
gerne ins American Museum of Natural History kam, vor allem um den
Walfisch anzuschauen, war ich höchst erfreut von dem Angebot,
bei SonicVision mitzuwirken. Auch wollte ich immer Wissenschaftler
werden, dazu war ich aber wohl nicht smart genug, also wurde ich
Musiker. Meine Aufgabe bei SonicVision war sehr einfach. Ich habe
nur einige meiner Lieblings-CDs gekauft und gesagt, es wäre
ziemlich cool, wenn ihr diese Songs spielen könntet“,
erklärt Moby.
Das war im April, sechs Monate bevor SonicVision der Öffentlichkeit
vorgestellt wurde. „Dabei traf ich die Musikauswahl nicht
alleine“, gesteht Moby bescheiden ein. „Es war mehr
ein kollaborativer Prozess. Chris Harvey, der Creative Director,
Anthony Braun, der Produzent, alle, die irgendwie involviert waren,
dachten zu Beginn gemeinsam darüber nach, was für Musik
wir auswählen sollen.“ Wert wurde dabei vor allem auf
die „Atmosphäre“ der Stücke gelegt. „Es
wäre leicht gewesen, einfach 30 Minuten lang voll auf die Pauke
zu hauen, aber, ja, vielleicht doch etwas viel. Unsere Aufgabe war
es, das perfekte Gleichgewicht zu finden zwischen Bombast und ruhigeren,
atmosphärischen Klängen. Jedes Stück, auch die harten,
haben eine wundervolle, klangvolle Atmosphäre“, erklärt
Moby.
Letztlich wurden die Rechte für 20 Songs erworben, darunter
Radiohead (Everything is in Right Place), U2 (Elevation), Spiritualized
(Ladies and Gentleman We are Floating in Space), Goldfrapp (Utopia),
Stereolab (Metronomic Underground), David Bowie (Heroes), Fischerspooner
(Emerge), Prodigy (Firestarter), Brian Eno & David Byrne (Mea
Culpa) und natürlich Moby (Into the Blue, We Are All Made of
Stars, God Moving Over the Face of the Water). Probleme gab es nur
einmal: „Massive Attack wollten uns die Rechte zu „Teardrop“
nicht geben, alle anderen waren begeistert von der Idee“,
erinnert sich Moby. Eine Idee, die Moby selbst als eine „audiovisuell
interessante und experimentelle Kreation“ beschreibt –
und an der Grafik- und Sound-Designer, Produzenten und Animationskünstler
sechs Monate lang tagtäglich arbeiteten.
Tatsächlich ist der dreidimensionale Bilderrausch, der wirkt
wie eine futuristische Fahrt per Anhalter durchs Universum oder
durch einen in allen Farben explodierenden Stern, so aufwendig,
dass jeder Vergleich mit einem Laser-Show aus den 60er- oder 70er-Jahren
eine Beleidigung wäre. Von der Position eines Raketen-Kapitäns
wird man durch eine DNA-Spirale tausende von Meter unter den Meeresspiegel
katapultiert, wo man zwischen wundersamen Formen und Gestalten dahin
gleitet, nur um mit ein paar Sternschnuppen wieder hinauf in den
Nacht-Himmel zu fliegen, vorbei an tanzenden Robotern, kletternden
Marsmännchen und gen Publikum fallenden Diamanten. Einmal tanzt
ein Feuer auf einer mit indischen Henna-Tatoos verzierten Hand,
ein Schirm aus Tropfen baut sich in der Kuppel auf, wobei jeder
Tropfen den Ozean in sich trägt – und zu David Bowies
„Heroes“ tanzen kurze Videoanimation von Menschen jeden
Alters und jeder Hautfarbe über den Dom. Dazu vibrieren die
Stühle, der Dolby Surround Sound umhüllt das Publikum
und macht es genauso eins wie die Bilder, die über die Kuppel-Leinwand
tanzen. „Auch wenn SonicVision keine Erzähllinie hat,
so zieht sich doch ein vieldeutiger roter Faden durch die Show,
der von atmosphärischer Stimmung überleitet zu schnellen,
harten, bombastischen Abschnitten und dann wieder abflaut. Natürlich
kann jeder mehr sehen, selbst etwas in SonicVision hineininterpretieren,
aber das hängt mehr mit der persönlichen Erfahrung zusammen,
ist sehr subjektiv. Wir wollten nicht wirklich etwas mit SonicVision
erzählen, nichts bewirken, wir wollten nur die Möglichkeiten
dieses unglaublichen Raums nutzen und bemerkenswerte audiovisuelle
Bilder erzeugen, von denen wir hoffen, etwas bewusstseinserweiternd
zu sein, meint Moby.
Und das ist SonicVision mit Sicherheit. „Ich denke, SonicVision
ist auch eine völlig neue Form von Unterhaltung“, findet
Moby. „Diese Art von Bildern und Videos, die sich Computer
animiert in einer dreidimensionalen Umgebung bewegen, ist anziehend,
macht fast süchtig. Es wird sehr faszinierend sein, zu sehen,
was aus diesen technischen Möglichkeiten noch alles gemacht
wird.“ – „Ob in der Zukunft Musik und Animation
weiter verschmelzen werden?“, wiederholt Moby eine Frage.
„Durchaus möglich, einziges Problem ist, dass man einen
300 Millionen Dollar Kuppel braucht, um die Bilder darauf zu projizieren.
Aber einmal abgesehen davon, ja, ich denke, das wird passieren.“