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Ausgabe 2003/06
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nmz 2003/11 | Seite 10
52. Jahrgang | November
Kulturpolitik

Leben ohne Musik ist ein Irrtum

Über die Widersprüche von Rundfunkgebühren und Kulturpolitik

Musik ist die Sprache der Welt und wir sind ziemlich sprachlos. Die Kultusminister schrieben vor ein paar Jahren, das Fach Musik leiste „einen unverzichtbaren Beitrag zur Erziehung des jungen Menschen“, es fördere die „Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit, die Kreativität und Erlebnistiefe“ und es lege die „Grundlagen zu einem eigenständigen und selbstbestimmten Lebensentwurf“. So viele schöne Worte haben wir selten auf einmal gehört.

Intendant Ernst Elitz in einem Aufnahmeraum von DeutschlandRadio. Foto: WDR

Die Wirklichkeit an den Schulen und Kindergärten sieht leider anders aus. Als der Deutsche Musikrat in Berlin zusammenkam, wurde den Kulturpolitikern vorgerechnet, was an den Schulen tatsächlich passiert: In Bayern erhält nur noch ein knappes Fünftel der Hauptschüler in der siebten Klasse Musikunterricht, in Hamburg wählen in der Oberstufe der Gymnasien weniger als zehn Prozent das Fach Musik. An manchen Gymnasien gibt es gar keinen Musikunterricht mehr. In Nordrhein-Westfalen wurde die Musik aus dem sprachlich-künstlerischen Angebot gestrichen. Dabei weiß schon jeder Vorschulpädagoge, dass gemeinsames Singen und Musizieren nicht nur die Phantasie beflügelt, sondern Selbstdisziplin und Gemeinschaftsgeist fördert. Gerade in den Schulen städtischer Problemgebiete, wo sprachliche Verständigung schwer fällt und sich im Kampf der Unkulturen Aggressionen entladen, kann Musikmachen und Singen in vielen Sprachen Konflikte dämpfen und Verständnis füreinander wecken.

Soviel zum Widerspruch Nummer eins. Die Kulturpolitik bemüht ihr ganzes rhetorisches Pathos, aber ihre Versprechen hält sie nicht ein. Und damit zum Widerspruch Nummer zwei. Er betrifft die Medienpolitik.

Über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird derzeit nur als Sparobjekt geredet: Er hätte zu viele Mitarbeiter, er habe zu viele Programme, er koste zu viele Gebühren, er sende zu viele anspruchsvolle Beiträge, die ohnehin keiner versteht, er unterhalte zu viele Orchester und produziere mit ihnen zu teuer. CDs abzuspielen, wäre doch für den Gebührenzahler viel kostengünstiger. Wofür aber, wenn nicht für anspruchsvolle Programme, für Eigenproduktionen und für die Förderung der Kultur – und damit auch der Musik – bekommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Geld? Wer sich ernsthaft und jenseits populistischer Vereinfachungen in die Gebührendebatte einmischt, stützt sich auf den gesellschaftspolitischen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie er in allen Rundfunkgesetzen- und Staats-verträgen beschworen wird. Die unbestrittenen Leitworte heißen: Information, Bildung, Kultur. Dafür haben die Verfassungsrichter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Bestands- und Entwicklungsgarantie gegeben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bekommt Gebühren von allen, deshalb muss er vielen vieles bieten. Aber letztendlich wird er an den Maßstäben von Bildung, Kultur und sachverständiger Information gemessen. Das heißt, seine Kultur- und Bildungsangebote müssen finanziell abgesichert werden und es muss auch Spielräume für Entwicklungen geben, die sich an den sich wandelnden Interessen der Hörerschaft ebenso orientieren wie an der Notwendigkeit, nicht marktgängige Novitäten und Experimente zu finanzieren. Gerade im Neuen und noch Unerprobten liegt der Humus kultureller Kreativität.

Die Rundfunkensembles stehen für diesen doppelten Einsatz. Sie spielen Bewährtes in eindrucksvollen Interpretationen und wagen das Neue. Es gibt Regionen in der Republik, da erfüllen die Rundfunk-Sinfonieorchester neben ihrer Rundfunkarbeit den Anspruch der kulturinteressierten Bevölkerung auf eine musikalische Grundversorgung. Was wäre das Saarland ohne das Rundfunk Sinfonieorchester des Saarländischen Rundfunks. Die Landesrundfunkanstalten der ARD und der nationale Hörfunk DeutschlandRadio unterhalten 23 Orchester, Chöre und Big Bands, die Ensembles bieten rund 1.300 öffentliche Konzerte pro Jahr und von Schleswig Holstein bis Bayern wären die großen die nationalen Festivals ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Orchester nicht denkbar.

Die Gebührenfinanzierung verpflichtet die Orchester auch zur systematischen Arbeit jenseits des Mainstreams. Die Rundfunkmusiker engagieren sich für zeitgenössische Musik und moderne Klangkunst. Und sie spielen für ein jugendliches Publikum auch an ungewöhnlichen Orten, weil der Nachwuchs dem klassischen Musikbetrieb wenig abgewinnen kann und die großen Konzertsäle meidet. Weil sie gebührenfinanziert sind, können die Rundfunkorchester mehr Risiken eingehen als Klangkörper, bei denen das Einspielergebnis an der ersten Stelle stehen muss. Deshalb ist der Rundfunk auch Begründer und Partner innovativer Festivals wie in Donaueschingen (Südwestrundfunk) oder bei „UltraSchall“ (DeutschlandRadio, Sender Freies Berlin) in der Hauptstadt.

Schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg wandten sich die Rundfunk-Sinfonieorchester äußerst verdienstvoll den Komponisten zu, die während der nationalsozialistischen Diktatur als „entartet“ galten. Bis heute setzen sie mit öffentlichen Aufführungen, Studioproduktionen und Sendereihen musikhistorische Schwerpunkte mit den Werken verfolgter und ermordeter Komponisten und arbeiten auf diesem Weg einen Teil der deutschen Musikgeschichte auf. Sie ebnen lange vergessenen Kompositionen den Weg ins Standardrepertoire. Mit dieser musikhistorischen Arbeit sind die Rundfunkorchester zu einem unverzichtbaren Partner der CD-Industrie geworden. Mit ihrem speziellen Einsatz, der sich nicht an den aktuellen Vorlieben des Musikmarktes und an schneller Amortisation orientiert, wird Musikgeschichte geschrieben.

Die Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Musiker spannen einen weiten Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft, von der Musikgeschichte bis zur aktuellen pädagogischen Arbeit. Gebühren, die sie erhalten, werden auch in die Musik-Erziehung investiert. Die PISA-Studie fragte nicht danach, welche Musikinstrumente die Kinder spielen, welche Komponisten und welche Werke sie kennen – oder kennen sollten. Die Kanon-Diskussion im deutschen Feuilleton konzentriert sich auf Literatur und vergisst die Musik. Mit dem musikalischen Analphabetentum haben sich offenbar alle abgefunden. Die Schulbehörden tragen die Scheuklappen des schnell verwertbaren Wissens. Sie klagen mit den Autoren der PISA-Studie, dass die Kinder ohne die Fähigkeit zum Rechnen, Lesen, Schrei-ben und logischem Kombinieren keinen Weg auf den Arbeitsmarkt fänden. Aber auch wer rechnen, lesen, schreiben und kombinieren kann, dürfte ohne Geschmack und musische Bildung bald zum Arbeitsroboter werden: vom Arbeitsamt allseits vermittelbar, aber mangels Phantasie leicht verblödet. Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Blöde Menschen haben keine Lieder.
Öffentliche Anerkennung verdienen deshalb die Orchestermusiker und Dirigenten, die Gastunterricht an den Schulen geben und so bei den Kindern die Neugierde auf einen Konzertbesuch wecken. Dank gebührt allen Kirchenchören und Blaskapellen, die der Jugend ein Beispiel zum Mitmachen geben. „Musik ist ein unnützes Geräusch“, lehrte Immanuel Kant. Auch Philosophen haben nicht immer Recht. Nietzsche dagegen lag richtig: „Ein Leben ohne Musik ist ein Irrtum.“ Die Kindersendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks senden auf originelle Weise gegen diesen Irrtum an. Sie stellen Instrumente vor, erzählen Operngeschichten, erläutern ihre musikalischen Motive. Am Musiktag der DeutschlandRadio-Sendung „Kakadu“ werden Sänger, Turmbläser Glockenspiele und Instrumente aus Blech und Plastik vorgestellt. Der Ring der Nibelungen wird musikalisch und in Comic-Szenen erzählt. Mit den Motiven von Papageno und der Loreley lernen die Kinder musikalische Lockrufe kennen und mit Franz Liszt erleben sie ein Wunderkind und Superstar. Das ist Klassik für Einsteiger und Musik zum Angewöhnen. Rundfunkorchester und Radios veranstalten Schüler- und Familienkonzerte. Musiker und Dramaturgen erläutern vor Ort die Konzert-Programme. Der Konzertsaal ergänzt oder ersetzt den Musikunterricht.

Wenn Bildungs- und Kulturpolitiker an der Auflösung ihrer Widersprüche interessiert sind, könnten sie das gute Beispiel des Radios und seiner Musiker bei der Gebührenfindung berücksichtigen. Ohne die pädagogische Arbeit des Rundfunks und der Orchester würden angesichts des Desasters des Musik-Unterrichts viele Konzerte künf-tig ohne Besucher bleiben. Mit ihrem Zusammenwirken – finanziert durch die Gebühr – geben Rundfunkredakteure und Musiker ein Beispiel für sinnvolle zukunftsgerichtete Zusammenarbeit, wie sie auch den Medien- und Kulturpolitikern auch anderswo anstünde. Hier aber herrscht Kurzschlüssigkeit und mangelndes strategisches Denken. Während der Oberbürgermeister die Schließung der Opernsparte und den Abbau des städtischen Orchesters mit dem Argument zu rechtfertigen versucht, die Ensembles des Rundfunks könnten mit ihren Konzerten vor Ort den Mangel ausgleichen, wollen andernorts Medienpolitiker auch diese Orchester und Chöre zur Disposition stellen. Aufgaben in Kunst und Bildung werden angesichts der diffundierenden kulturpolitischen Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Rundfunkanstalten wie eine heiße Kartoffel hin- und hergerollt. Jeder hofft, dass der andere sie auffängt und Kulturaufgaben übernimmt, die man sich selber nicht mehr leisten kann. Das Ergebnis: ein kultureller Abbau und sinkende kulturelle Leistungskraft auf allen Ebenen.

Eine für die Stabilisierung der Kulturlandschaft notwendige, aber in der kulturpolitischen Realität Deutschlands kaum durchsetzbare Konzeption wäre: Länder, Kommunen und Rundfunkanstalten verständigen sich auf kulturelle Aufgabenfelder, die von ihnen in den jeweiligen Regionen gut aufeinander abgestimmt wahrgenommen werden. Dabei kann es durchaus für die Rundfunkorchester oder andere Rundfunkangebote zu neuen Aufgabenzuweisungen kommen, mit denen Kommunen und Gebietskörperschaften entlastet werden. Dies setzt aber voraus, dass eine entsprechende Finanzierung durch die KEF und die die Gebühr letztendlich festlegenden Länderparlamente sichergestellt wird.

Ernst Elitz

 

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