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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 1
52. Jahrgang | November
Leitartikel
Wenn Null-Steller der Kultur die Weichen stellen
Die Basiskulturförderung als eines der Hauptopfer deutscher
Sparwut · Von Andreas Kolb
Wer bei der Wahl zum Bayerischen Landtag am 21. September 2003
im Landkreis Coburg im Wahllokal seine Unterlagen entgegennahm,
der fand unter den Papieren auch einen Stimmzettel für Bürgerentscheide:
„Bürgerentscheid 1 – Bürgerbegehren Fortführung
der Sing- und Musikschule: Sind Sie dafür, dass der Landkreis
Coburg seine Sing- und Musikschule über den 31. August hinaus
fortführt?
Bürgerentscheid 2 – Ratsbegehren Nichtfortführung
der Sing- und Musikschule: Sind Sie dafür, dass der Landkreis
Coburg die Sing und Musikschule nicht mehr fortführt, weil
sonst Zuschüsse an Vereine und Verbände für kulturelle,
sportliche und soziale Zwecke ganz oder teilweise gestrichen werden?”
Ein in Deutschland bislang einmaliger Vorgang, über den Fortbestand
einer Musikschule per Volksabstimmung zu entscheiden. 37,6 Prozent
votierten für die Weiterführung der Kreismusikschule Coburg,
die vom Kreistag ersatzlos zum 31. August geschlossen worden war.
69,7 Prozent stimmten für die Nichtfortführung –
ein klares Ergebnis. Dennoch: Auch wenn es „nur“ 37
Prozent waren, die für die Kreismusikschule plädierten,
eine gewisse Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Musikschule
ist auch an dieser Zahl ablesbar. Doch soll hier nicht über
Vor- und Nachteile direkter Demokratie räsoniert werden. Interessanter
ist die Frage, wie konnte es geschehen, dass eine seit 1991 bestehende,
von 17 Städten und Gemeinden getragene und mit einem überschaubaren
Zuschussbedarf von zirka 250.000 Euro operierende kommunale Musikschule
innerhalb eines Jahres weggespart wurde? Die Ursachen sind, wie
meist, multifaktoriell: Da ist das bekannte Loch in den Kassen der
Gemeinden, hervorgerufen durch den Wegfall der Gewerbesteuer –
auch in einigen Kommunen im siebtreichsten Landkreis Bayerns, dem
Landkreis Coburg. Was folgte, waren panische Sparreaktionen. Sicher
ist es das gute Recht jeder Kommune, sich darüber Gedanken
zu machen, wie man an einer Musikschule Kosten sparen kann. Das
kann von Stundenreduzierung über Gebührenerhöhung
bis zu einer möglichen Änderung der Trägerschaft
reichen. Doch statt flottem Abschaffen wäre professionelles
Krisenmanagement gefragt gewesen: Der Kreistag hätte sich in
überschaubarer Zeit informieren können, etwa beim kommunalen
Arbeitgeberverband oder beim Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen.
Das geschah augenscheinlich nicht, und so hat der Landkreis Coburg
jetzt zwei neue private Musikschulen statt einer öffentlichen,
beide ohne Zuschüsse der Kommunen.
Auffällig am Fall Coburg war weiter das starke Engagement
des Coburger Kreisverbandes des Bayerischen Gemeindetags gegen die
Kreismusikschule. Eine Internetseite im Auftrag dieses demokratischen
Organs warb mit drastischen Parolen für die Schließung
der Musikschule. Rief man die Internetadresse www.privat-statt-staat.de
auf, dann stand neben einem brennenden 50 Euroschein in großen
Lettern: „Schluss damit! Wir brauchen keine Staatliche Sing-
und Musikschule, Private können’s besser und billiger.“
Auf weiteren Seiten wurden die freiwilligen Leistungen der Kommunen
gegeneinander aufgerechnet. Zitat: „In diese Landschaft passt
keine Musikschule, die große Mengen Steuergelder für
das Musizieren einer Minderheit beansprucht, anderen aber, wie zum
Beispiel Sport treibenden Jugendlichen und deren Vereinen, das Geld
für eine gerechte und ausgewogene Förderung verwehrt.“
Selbst wenn die Diskussion nicht überall auf diesem polemischen
Niveau geführt wird, sondern auf Fachebene –, geführt
werden wird sie, wenn nicht heute, dann morgen. Die Folgen der Gewerbesteuereinbrüche
sind nicht nur im fränkischen Coburg spürbar. In Nordrhein-Westfalen
stellte Ministerpräsident Vesper die öffentliche Förderung
kurzerhand auf Null, der Deutsche Städtetag forderte vor kurzem
im „Berliner Appell“ „Reformen statt Kahlschlag“
– ein Aufruf, der eher den Namen Hilferuf verdient. Bundesweit
stellt sich heute die Frage, inwieweit freiwillige Leistungen im
sozialen, sportlichen und kulturellen Bereich noch finanzierbar
sind. Vertritt man die Auffassung, dass Kultur und Kommune zusammengehören
– und das tut der Autor –, dann kann das Thema dieser
Diskussion nicht heißen, ob Basiskulturförderung eine
verpflichtende Aufgabe von Kommune, Stadt und Land ist, sondern
wie diese trotz stark zurückgehender Einnahmen gesichert werden
kann. Denn wenn Bibliotheken, Musikschulen, Theater, Orchester und
Museen aus den Städten verschwinden, dann bedeutet das einen
unersetzlichen Verlust von Lebensqualität und Urbanität.
Es kann nicht angehen – um bei unserem Beispiel Coburger
Musikschule zu bleiben –, dass sich Eltern, Politiker und
vor allem die Musiker und Musikerzieher selbst in Legitimationsfragen
über öffentliche oder private Musikschulen gegenseitig
zerfleischen – auf Kosten der musikalischen Bildung. Und um
fair zu bleiben, der Wille der Kommunen, ihre Musikschulen zu erhalten,
ist meistens nach wie vor vorhanden. Radikale Kahlschläge wie
in Coburg werden deshalb auch in Zukunft die Ausnahme bleiben.
Doch so lange keine Lösung in der Frage der Gemeindefinanzreform
auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gefunden wird, solange
lebt Kultur in unsicheren Zeiten. Paradoxerweise sind gerade in
diesen Tagen die kulturellen Einrichtungen von Stadt und Land besonders
gefordert. Denn die Ganztagsschule sucht verlässliche Partner
im Kulturbereich und wer wäre geeigneter, kulturelle Vielfalt
in die Schulen zu bringen, als – allen voran – die öffentliche
Musikschule mit ihrer Infrastruktur, ihrem Curriculum und ihrer
über Jahrzehnte erworbenen Kompetenz.