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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 11
52. Jahrgang | November
Medien
Das Publikum der Zukunft muss noch viel üben
Exzerpt aus einem Radiofeature von Armin Diedrichsen und Jochem
Wolff
In der Diagnose, wie es um das Verhältnis der jüngeren
Generationen zur so genannten Klassik bestellt ist, macht der Frankfurter
Kritiker und Musikschriftsteller, Hans-Klaus Jungheinrich, darauf
aufmerksam, dass inzwischen mindestens eine Generation allein durch
die Pop-Kultur sozialisiert ist. Also, wie sollen in diesem Umfeld
Impulse, Anregungen und Neugier entstehen? Dieses Defizit wäre
sozusagen von oben durch eine klügere Kulturpolitik zu kompensieren,
von unten wiederum durch ein erfolgreiches Wirken der allgemeinbildenden
Schulen mit ihrem Musikunterricht.
Was wird aus dem Nachwuchs, wenn er kultur- und bildungspolitisch
nicht erwünscht scheint? Wenn dann an anderer Stelle in politischen
Statements dennoch die geistige Verarmung der Gesellschaft beklagt
wird? Es scheint in der Tat hohe Zeit, die Investitionen des Staates
genauer zu kontrollieren und die Zielrichtung neu zu bestimmen.
Aufbauend auf dem System früher Ausbildung an Schule und Musikschule
schließt sich das berufsqualifizierende Studium an einer der
24 Hochschulen in Deutschland an. Hinzu kom-men Konservatorien und
Spezialeinrichtungen wie Schulen für Tanz oder Musical. Das
Gesamtangebot ist also sehr breit. Fraglich bleibt dabei, ob noch
bedarfsorientiert ausgebildet wird. In manchen Einzelfächern
wie Klavier oder auch Gitarre ist über Jahre ohne wirkliche
Berücksichtigung der Marktlage ausgebildet worden. Hier handelt
es sich ja nicht mehr um den seiner Neigung folgenden Jugendlichen
oder Erwachsenen, der an der örtlichen Musikschule Freude und
persönlichen Gewinn im Umgang mit Musik findet, sondern um
Hoffnungen auf große Karrieren, die wegen der Überfülle
des Angebotes nicht mehr realistisch sind.
Musik und Musikausbildung finden nach Einschätzung der Verbände,
der Marktteilnehmer und der Fachwissenschaftler immer noch genügend
Beachtung. Dass Musik jedoch Bestandteil der Kultur in einem übergreifenden
Sinne ist, geht mehr und mehr in der Diskussion verloren. Der künftige
Konsument, der ein Wissender sein muss, um sich in der unübersichtlichen
Welt der Produkte zurechtzufinden, muss wesentlich stärker
eingebunden werden in Prozesse der Kulturgestaltung auf politischer
Ebene. Die allgemeine Politikverdrossenheit, am deutlichsten an
den Wahlbeteiligungen der jüngsten Zeit ablesbar, macht allerdings
wenig Hoffnung darauf, dass gerade junge Menschen eine Diskussion
anfachen wollen, deren Auswirkungen in großer Ferne liegen.
Kulturpolitik hat sich demnach für die Lebensfähigkeit
des geschilderten kulturellen Systems einzusetzen. Dazu gehört
dann auch und vor allem angemessene Grundausbildung in kulturellen
Techniken, bezahlbarer Zugang zu Institutionen, die dies verfolgen
und ermöglichen. Nicht nur das Spielen, sondern auch das richtige
Hören von Musik muss und kann gelernt werden, im Prinzip von
allen. Ein Problem benannte 1958 Hanns Eisler in seinem Aufsatz
„Über die Dummheit in der Musik“: „Leider
muss das Hören von Musik geübt werden. Geschieht das nicht,
so bleibt das Hören auch hinter dem fortschrittlichsten gesellschaftlichen
Bewusstsein zurück.” Institutionen wie Methoden zum Lernen
und Üben der Musikaneignung gibt es viele. Da existieren neben
den Massenmedien beziehungsweise technischen Medien die traditionellen
Institutionen wie einerseits Oper und Konzert, anderseits die Vereine
des Laienmusizierens, in denen man Hören wie Musikmachen lernen
und praktizieren kann. Derlei vermitteln auch die Musikschulen wie
der Musikunterricht an den allgemein bildenden Schulen. Und eine
Vielzahl von Musikanlässen, Gelegenheiten und Kulturformen
wie das Kultur- und Kommunikationszentrum, der Jugendtreff, das
Stadtteil- oder Musikfest, bei denen Musik mehr als ein bloßer
Hintergrund ist.
Das Feature wurde am 1. April 2003 auf Bayern2Radio ausgestrahlt.
Der vollständigen Text ist bei der Redaktion der nmz erhältlich.