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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 14
52. Jahrgang | November
Musikvermittlung
Hick hack, zick zack, mick mack
„Komm, lass uns Blödsinn machen…!“: eine
Opernminiatur für Menschen ab fünf
An der Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg, Abteilung
Nürnberg, entstand im letzten Sommer im Fach „Experimentelles
Theater“ eine Opernminiatur der besonderen Art. Die Gruppe
von Studierenden, die dieses Projekt unter der Leitung von Vroni
Priesner (Elementare Musikpädagogik) entwickelt hat, nennt
sich „spielArt“. In ihren Produktionen bilden Improvisationen,
Experimente und die Verbindung von Musik, Bewegung und Sprache den
Schwerpunkt.
Ausgangspunkt der diesjährigen Minioper war die Bilderbuchgeschichte
„Schabernack“ von Margaret Klare und Claudia Schmid.
Diese inspirierte vor allem durch ihre witzig überzogenen Beschreibungen
zu einer szenischen Umsetzung. „In diesem Bilderbuch geht
es so drastisch zu wie auf der Bühne eines Kasperltheaters“
(Jens Thiele in „Die Zeit“, 16. Mai 2002).
Der Schnick, der Schnack, der Schabernack, die gingen einmal
huckepack.
Da sahen sie den Dackel Dack, das Hähnchen Gick, das Hühnchen
Gack, den Specht Tack-Tack und Fröschlein Quack, wie sie
sich zankten hick-hack-hick-hack.
Am Höhepunkt der Geschichte werden alle Figuren gefressen
–
von einem riesengroßen Kakerlak, sein Bauch ist wie ein
dicker Sack.
Auf einmal hört man krick und krack
und …
Eigentlich scheint ein Bilderbuch in vorliegender Form zunächst
wenig oder gar nicht geeignet für einen kompositorischen Prozess
mit einer Gruppe. Hier haben wir es mit einem gestalteten Endprodukt
in Formvollendung zu tun, das allzu leicht dazu verführt, es
abzubilden, das heißt es „eins zu eins“ in Musik
und Szene umzusetzen.
Das Bilderbuch wird als architektonisch höchst exklusives
Bauwerk betrachtet, welches erhalten, jedoch an einem anderen Ort
noch einmal neu aufgebaut werden soll. Dazu wird Stein für
Stein abgetragen, Mauerwerk behutsam abgeklopft, die Grundsubstanz
genau untersucht, alles brauchbare Material geordnet und gelagert.
Unbrauchbares legt man beiseite, Neues kommt hinzu und zuletzt setzt
man alles wieder zusammen. So vollziehen sich hier Komposition und
De-Komposition in enger Verbindung. Das neu entstandene Bauwerk
enthält dann Schichten des vorherigen und erscheint dennoch
in anderer Gestalt.
Wie sah es nun wirklich auf der „Baustelle“ aus? Sie
zankten sich hick-hack-hick-hack – nein, nein… hier
ein paar Beispiele für die spezifische Verfahrensweise: Die
klaren und lautmalerischen Verse dieser kurzen Geschichte regten
zu einer Umsetzung in Bewegung, auf Instrumenten oder zu rhythmischen
Wortspielereien (hick hack, zick zack, mick mack, tick tack…)
an. Die Bilder von Claudia Schmid dagegen erweckten beim Betrachten
den Eindruck, als würden sich die Figuren schlängeln,
ineinander verhaken, immer in Bewegung sein. Daraufhin bauten die
Gruppenmitglieder Gummi-Instrumente, indem sie Objekte und Perkussionsinstrumente
mit Gummiringen und -bändern verfremdeten und auf ihnen improvisierten.
Sie schlüpften in riesige Plastiksäcke und zankten sich
windend und hüpfend, komponierten eine „Horrormusik“
und einen Zick-Zack-Tanz, zu dem Textabschnitte der Geschichte gerappt
werden.
Aus den einzelnen Baumaterialien entstanden schließlich
absurde Szenen, Dialoge, Gesänge, bewegte Situationen und merkwürdige
Kompositionen, welche von den Mitwirkenden zu einem turbulenten
Spektakulum verflochten wurden. Die Stückemacherinnen agierten
dabei gleichzeitig als Komponisten, Darsteller, Sänger und
Tänzer, die sich auf der Bühne in unzählige Figuren
verwandelten. Lediglich drei Instrumentalisten (Violine, Tuba und
Klavier) kamen dazu, die die gemeinsam entwickelten musikalischen
Skizzen in der Interpretations- und Aufführungspraxis Neuer
Musik umsetzten. So wurde aus einem Bilderbuch eine witzige und
turbulente Opernminiatur für Menschen ab fünf Jahren,
die in den Aufführungen als Sprechchor und Luftballonorchester
selbst aktiv werden und schließlich individuell entscheiden
konnten, ob es Sinn macht oder blöd ist.
Renate Dummert, Monika Utasi, Christina Zetlmeisel