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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 14
52. Jahrgang | November
Musikvermittlung
Mitten im Klang – mitten im Musikleben
Musikvermittlungsinitiativen im Orchester: zu einem Symposion
in Wien
Es klingt so einfach wie ein Kochrezept: Man nehme ein Orchester,
das 25 Minuten lang Musik spielt, lasse das junge Publikum am Boden
sitzen, verteile Luftballons und Seifenblasen im Saal, erzähle
dazu eine gute Geschichte, studiere mit den Kindern ein Lied ein,
verwende Power Point – und fertig ist das gelungene Konzerterlebnis
für Vorschulkinder. Der Mann „am Herd“ heißt
nicht Jamie Oliver, kommt aber auch aus England und ist wie sein
genialer Kochkünstler-Kollege ein Trendsetter: Paul Rissmann
zählt derzeit wohl zu den erfahrensten und begehrtesten Konzertpädagogen
in Großbritannien.
Die Jeunesse Österreich lud ihn, Fraser Trainer von der London
Sinfonietta, Albert Landertinger und Johanna Möslinger vom
Brucknerorchester Linz ein, um bei Musikerkollegen und Managern
aus österreichischen Berufs- und Kammerorchestern die Lust
an neuen Wegen der Kommunikation mit dem Publikum zu wecken. „Musikvermittlung
ist mir ein Herzensanliegen“, meinte der scheidende Generalsekretär
Matthias Naske anlässlich des Symposions „Mitten im Klang“,
das am 13. September 2003 im Wiener Konzerthaus stattfand. Und in
seinem Programm verwirklichte er es auch: Drei Konzertreihen für
Kinder, eine Gesprächskonzertserie für Jugendliche und
zahlreiche Künstlergesprä-che und Einführungsvorträge
vor und nach den regulären Abonnementkonzerten sprechen für
sich.
Doch trotz einiger von der Jeunesse organisierter „Family
Workshops“ britischer Orchester rund um Konzerte in Wien will
der angloamerikanische Funke „education“ nur zaghaft
auf Österreichs Klangkörper überspringen. Der britische
Botschafter in Wien John MacGregor vermutet in seinem Eröffnungsstatement
dafür sogar religiöse Gründe: „Bring down the
mighties from their seats“ sei ein Wahlspruch britischer Protestanten,
meint er mit einem Augenzwinkern gegenüber seinem katholischen
Gastland.
Im Ernst: Was lässt britische Orchester seit den 80er-Jahren
des 20. Jahrhunderts zahlreiche Formen der Vermittlung kreieren,
die musikalische Bildung an Schulen genauso in den Blick nimmt wie
die Kulturarbeit mit sozialen Randgruppen?
Fraser Trainer, Komponist und Creative Director des Education
Departments der London Sinfonietta, sieht diese Entwicklung als
konsequente Folge einiger negativer Schulkonzert-Erlebnisse seiner
Musikerkollegen: 1.000 gelangweilte und unvorbereitete Kinder saßen
zumeist Substituten des Orchesters gegenüber, die den gefürchteten
Dienst lediglich überstehen wollten. Trainers Kollegin Gillian
Moore gründete daraufhin 1983 Englands erstes Education Department
in einem Orchester. Nicht zufällig widmet sich die London Sinfonietta
zeitgenössischer Musik und steht damit in engem und regelmäßigem
Austausch mit Komponisten, ihrer Kompositions- und Kommunikationsweise.
Steve Reich arbeitete für die London Sinfonietta mit sechs
Schulen in Nord-England zu „Clapping Music“ und Toru
Takemitsu, Pierre Boulez oder Harrison Birtwhistle komponierten
simultan mit Schülern am Computer. Derzeit finden Schüler
und Lehrer ein Musikspiel von Louis Andriessen zu seiner Komposition
„Velocity“ im Internet, ein Workshop-Paket für
den Unterricht folgt in Kürze. Aufführungsprojekte stehen
in der Tradition von Henry Purcell oder Benjamin Britten. Heute
komponieren Peter Maxwell Davies oder Marc-Anthony Turnage Stücke
für Profimusiker und Schüler gemeinsam. Erstes Anliegen
der Komponisten und Konzertpädagogen der London Sinfonietta
ist es, tiefe und authentische Verbindungen zur gegenwärtigen
Musik zu knüpfen – dabei engagieren sich die virtuosen
Musiker des Ensembles bei der Arbeit mit Schülern ebenso wie
bei der Gestaltung neuer Kompositionen.
Paul Rissmann, der Jamie Oliver unter den „music animateurs“,
hält nicht viel von langen Erklärungen – gemäß
seiner einfachen Anleitungen zu Beginn des Artikels fordert er das
Symposions-Publikum zum handlungs-orientierten Workshop auf. Mit
ausgewähltem Orff-Instrumentarium und kurzen Informationen
versehen machen sich vier Teilnehmergruppen daran, rhythmische Elemente,
kurze Volkslieder, Marktplatzgeschrei und eine vorgegebene Melodie
in ein gemeinsames Stück zu integrieren – und siehe da:
Es erinnert im Aufbau an einen Ausschnitt aus „Petruschka“
von Igor Strawinsky.
„Das machen die Rhythmiker bei uns schon seit 15 Jahren“,
raunt eine gar nicht überzeugte Teilnehmerin – ein entscheidender
Punkt: Was in der englischen Musikszene seit über 20 Jahren
pragmatisch vernetzt ist, findet in Österreich kein Verbindungsglied.
Musikpädagogen arbeiten in der Schule oder in außerschulischen
Bildungseinrichtungen, Musiker im Orchester, jeder hat seinen umgrenzten
Tätigkeitsbereich und keiner ist recht zufrieden. In Wien scheint
es überdies an Publikum nicht zu mangeln. Die Konzerthäuser
sind voll, die Wiener Staatsoper kann sogar von einer 96-prozentigen
Auslastung berichten und auch Veranstalter im Off-Bereich finden
ihre kleine aber feine Zuhörerschaft.
Was bewegte also den Posaunisten Albert Landertinger und Johanna
Möslinger dennoch die Orchesterwerkstatt „move.on“
des Brucknerorchesters Linz zu gründen? Landertinger lässt
dazu eine Musikerin des Orchesters zu Wort kommen: „Es ist
unsere eigene Verantwortung, unsere Musik selbst zu vermitteln –
diese Verantwortung kann uns niemand abnehmen.“ Auch ohne
Sorge um die junge Zuhörerschaft und ohne Druck seitens der
Subventionsgeber – in Großbritannien ist die öffentliche
Förderung an die Durchführung kunstvermittelnder Projekte
gekoppelt – möchten Musiker in einer neuen und direkten
Art mit ihrem Publikum in Kontakt treten und ihnen ihre Kunst verständlich
machen. Seit einem Jahr besuchen nun jeweils zwei Mitglieder des
Brucknerorchesters Schulklassen in ganz Oberösterreich, um
sie in gestaltenden Workshops für die Musik eines Symphonieorchesters
zu begeistern. Außerdem können die Schüler einzelne
Sätze einer Symphonie oder eines Konzerts in der Generalprobe
erleben und vorher den Dirigenten oder den Solisten treffen: Dabei
kann es passieren, dass die Kinder die Begleitung aus Haydns Cellokonzert
singen, während Heinrich Schiff dazu den Solo-Part spielt.
Die Zuhörerschaft – Musikerkollegen, Orchestermanager
und Vertreter aus der Schul- und Kulturverwaltung – verließen
das Symposion angeregt und motiviert, über eigene Varianten
nachzudenken. Ob die Szene der Musikvermittlung in Österreich
wächst und vor allem inhaltliches Format gewinnt, hängt
vermutlich auch davon ab, ob es bald ein vernetztes Angebot zur
Weiterbildung für Musiker und Musikpädagogen geben wird.