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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 37
52. Jahrgang | November
Jazz, Rock, Pop
Urgesteine und expressive junge Wilde
Die 27. Leipziger Jazztage: traditionsbewusst und zeitgenössisch
Nahezu die gesamte Bandbreite des aktuellen Jazz boten im Oktober
die 27. Leipziger Jazztage. Mit insgesamt 17 Konzerten warteten
auf sechs verschiedenen Bühnen Newcomer neben Legenden auf,
war freie Improvisation neben strenger Konzeption zu erleben.
Dabei blieb das Anliegen der Organisatoren, dem Jazzclub Leipzig
mit seinem künstlerischen Leiter Bert Noglik, immer deutlich
zu erkennen: die tragfähige Balance unterschiedlicher Strömungen
des zeitgenössischen Jazz. So waren neben den Altmeistern Ron
Carter, Jimmy Smith und John Surman junge Musiker wie die Berliner
Formation Olaf Ton, der Pianist Jens Thomas oder die norwegische
Kultsängerin Beate S. Lech zu hören, die mit Sicherheit
den richtigen Weg eingeschlagen haben. Das schon zur Tradition gewordene
Eröffnungskonzert in der MoritzBastei mit Soriba Kouyaté
sollte der Auftakt für drei spannungsreiche Tage und Nächte
sein.
Nicht gerade in Höchstform:
Legende Jimmy Smith. Foto: Bernhard Kreuzer
Die Band Olaf Ton war die Entdeckung des ersten Abends im ehrwürdigen
Opernhaus. In Leipzig bereits durch das bundesweite Jazz-Nachwuchsfestival
bekannt, bekamen die jungen Musiker jetzt die Gelegenheit, auf einem
großen Festival zu spielen. Die Bandmitglieder studieren,
bis auf den Trompeter Richard Koch (UDK Berlin), an der Berliner
Musikhochschule Hanns Eisler und spielen zum Teil bereits seit zehn
Jahren miteinander. Und das war den expressiven jungen Wilden –
Durchschnittsalter Mitte zwanzig – anzumerken. Frech, witzig
und ohne Respekt bewegen sie sich zwischen osteuropäisch anmutender
Blasmusik und experimentellen Ausbrüchen, ohne die Homogenität
zu verlieren. Das vermögen nur virtuose Musiker. Sie haben
es verstanden, das Publikum im voll besetzten Opern-Parkett „aufzumischen“,
nachdem im ersten Teil des Abends die bezaubernde dänische
Singer/Songwriterin Susi Hyldgaard mit ihren gefühlvollen Balladen
zum Träumen verleitete.
Dem Konzept der Leipziger Jazztage entsprechend waren für den
letzten Teil des Abends zwei Urgesteine des improvisierenden Jazz
angesagt: der Saxophonist John Surman und der Schlagzeuger Pierre
Favre. Hier war ein musikalischer Dialog zu erleben, der von Sich-Ergänzen,
von Verspieltheit und Fantasie zeugte.
Der dritte Festival-Abend gehörte zweifellos Ron Carter. Doch
zuvor betrat der im englischen Exil lebende israelische Saxophonist
Gilad Atzmon mit seinem Orient House Ensemble das Podium. Er bringt
mit seiner Band jüdische und arabische Musiker zusammen und
will damit Zeichen setzen. In ungewöhnlicher Besetzung spielt
das Akkordeon eine besonders tragende Rolle. Es verleiht den anderen
Instrumenten ein massives Klang-bild, oft glaubte man, auf einem
fliegenden Teppich davongetragen zu werden. Der politisch engagierte
und auch schreibende Musiker thematisiert und kritisiert den israelisch-arabischen
Konflikt auf seine Art.
Die Spannung des Abends sollte allmählich gesteigert werden.
Bevor Ron Carter nun endgültig die Bühne betrat, verlangte
das aus San Francisco stammende ROVA Saxophone Quartet dem Publikum
wahre Nervenstärke ab.
Für ein Festivalprojekt fand sich das Quartett mit den beiden
europäischen Schlagzeugern Paul Lytton und Raymond Strid zusammen.
Hier traf strenge Struktur mit spontanem Spielprozess zusammen und
konnte eigentlich nur das durch zeitgenössisch-expressiven
Jazz geschulte Ohr erreichen. Die vier brillianten Musiker beeindruckten
mit einem kompakten Zusammenklang und wirkten vielleicht deshalb
akademisch. Carter zählt zu den mittlerweile einflussreichsten
und profiliertesten Jazzern. Die zahlreichen Plattenproduktionen
– es sind um die 2.500 (!), auf denen er mitwirkte –
brachten ihn mit den bedeutendsten Musikern zusammen, allen voran
Miles Davis. Der 66-jährige Ausnahmemusiker brachte sein Quartett
„Foursight“ mit nach Leipzig. Seit 18 Jahren spielen
sie zusammen, aber von Routine war nichts zu spüren. Er baut
mit seinem Piccolo-Bass ein solides Fundament und findet genügend
Raum zur tieftönenden Improvisation. Und auch der letzte Festivaltag
sollte Überraschungen bringen. Den Festivalorganisatoren ist
es gelungen, neben Ron Carter einen weiteren Nestor des Jazz nach
Leipzig zu holen, den König der Hammond-Orgel Jimmy Smith.
Die aktuelle Band des heute 78-jährigen „Champ“
ist mit Phil Upchurch an der Gitarre , Herman Riley (Tenorsaxophon),
Jonathan Wood (Bass) und Jimmy Jackson (Schlagzeug) besetzt. Smith
konnte sich bedingungslos auf sie verlassen. Und das ist es, worauf
es im Jazz ankommt.