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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 18
52. Jahrgang | November
Repertoire
Friedrich Gulda
Ein ganzer Künstler wollte Friedrich Gulda (1930-2000) sein.
Seine Sinne suchten in eigener Seele und eigenem Verstand ein angemessenes
Gegenüber: die Musik als universales Medium. Der gefeierte
Interpret klassischer Werke von Mozart, Beethoven und Schubert suchte
sich selbst, doch fast resigniert meinte Friedrich Gulda: „Ich
bin ein Wanderer“ und Schmidt von Lübeck zitierend: „Ich
bin ein Fremdling überall.“
Er verwirrte und verärgerte die Klassik-Szene, indem er sich
Klischees und Konventionen verweigerte. Indem er etwa in seinen
von ihm selbst produzierten Aufnahmen mit Mozart-Sonaten das Clavinova
(ein elektrisches Klavier) zur freien Begleitung einbezog. Als einzelne
synthetische Violinparts und gar mit Schlagzeugeffekten im „Rondo
alla turca“ der A-Dur Sonate oder die Arpeggios der F-Dur
Sonate mit anderen Klangfarben dekoriert. Mozart hat solche Improvisationen
selbst auch gemacht, meinte Gulda, und fühlte sich vom Komponisten
selbst legitimiert. Weitere Eigenwilligkeiten zeigt sein Konzeptalbum
„The Complete Musician“, die persönliche „Wandererfantasie“
des Friedrich Gulda durch Musiklandschaften. Die Reise beginnt impressionistisch
mit „Gaspard de la nuit“ von Ravel, für Friedrich
Gulda eine Reflexionsfläche, die ihn aufs weitere Programm
vorbereitet. Bereits hier ist seine radikale Subjektivität
deutlich, denn Ravels Komposition ist nicht für sich wesentlich,
sondern als Stimulans für die eigene Kreativität. Zum
„Ondine“-Satz bemerkt Gulda: „Ihr verführerischer
Gesang umfängt mich, aber ich selber bin es, der ihn hervorbringt.
Ich lausche, bin ganz Ohr, ganz Ravels Medium.“
Also, der Wiedererkennungswert ist wichtig, so auch bei Schuberts
„Sonate für Klavier“, deren Rondo wie ein Boogie-Woogie
swingt. Womit ein Übergang zu einer anderen Klanggegend geschaffen
ist, nämlich dem Jazz, zu dem Friedrich Gulda unangestrengt
während einer „Night in Tunesia“ wechselt. Im Trio
mit Wayne Darlings (b) und Erich Bachträgl (dr) huldigt er
nicht nur Dizzy Gillespie, sondern setzt ihm mit Improvisationen
auf der Altblockflöte einen sehr persönlichen Hut auf.
Darüber hinaus ist dieser Bebop-Standard ein Hinweis auf Guldas
Interesse für orientalische Musik, wie in seiner „Arabisch-zigeunerischen
Fantasie“ ziemlich avantgardistisch zu hören ist. Als
Komponist blieb Gulda in tonalen Bezirken, lotete aber etwa Glissando-Effekte
oder Zimbalon-Imitationen am Clavicord aus. Auch seine „Übungsstücke“
sind vom Jazz geprägt, ähnlich den „Play Bach“-Bearbeitungen
von Jacques Loussier.
Bemerkenswert ist, dass Friedrich Gulda gerade Johann Sebastian
Bach mit fünf Kompositionen ins Zentrum seines Selbstporträts
rückte, weil Bach „der aufgeschlossenste, weithörigste,
internationalste Musiker seiner Zeit“ war, „alle Grenzen
überschreitend“. Der verehrte Meister wird sich darüber
nicht immer gefreut haben, insbesondere als Gulda sich mit wackelnder
Intonation an der Flöte die „Sonate für Altblockflöte
und Basso Continuo“ im Playbackverfahren aneignete. Da bröckelt
doch die Glaubwürdigkeit, auch wenn sein Enthusiasmus einiges
verschleiert. Zu bewundern bleibt die Konsequenz, mit der Friedrich
Gulda seinen Weg ging, über den er im Begleittext zu diesem
Album denkwürdige Auskünfte gibt. Wer sich allerdings
nicht mit solchen Abschweifungen anfreunden kann, sollte sich die
subtilen Interpretationen der „5 Klavierkonzerte von Beethoven“
mit den Wiener Philharmonikern und Dirigent Horst Stein anhören.
Hans-Dieter Grünefeld
Diskografie
Friedrich Gulda: The Complete Musician; Friedrich Gulda, Klavier/Clavichord/Alt-
u. Bassblockflöte
Amadeo 472 83225-2 (3 CDs), Vertrieb: Universal
Ludwig van Beethoven: Die 5 Klavierkonzerte; Friedrich Gulda:
Klavier/ Wiener Philharmoniker, Ltg.: Horst Stein
Decca 466 427-2 (3 CDs), Vertrieb: Universal
Mozart Lives! Sonaten A-Dur (2 Versionen), B-Dur, F-Dur und
e-Moll (letzte Mozart-Aufnahme Guldas); Friedrich Gulda: Klavier
und Clavinova
Amadeo 986 535-0 (2 CDs), Vertrieb: Universal