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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 23
52. Jahrgang | November
Bücher
Doppelter Weltschmerz und kein Ende
Durch Binsenwahrheiten getrübt: eine Schubert-Biografie
zum 175. Todestag
Veronika Beci: Franz Schubert. Fremd bin ich eingezogen,
Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2003, 350 S.,
Abb., € 26,00, ISBN: 3-538-07151-9
Schuberts „Winterreise“ nimmt kein Ende. Der unglückselige
Wanderer zwischen Emanzipation und Resignation hat Chronisten der
Moderne stets fasziniert. Nun verspricht eine zu Franz Schuberts
175. Todestag (19. November) erschienene Biografie, „einen
neuen Blick auf das widersprüchliche Leben des ersten bürgerlichen
Komponisten“ zu werfen.
Und genau das ist zu viel versprochen. Denn der von Veronika Beci
beschrittene Weg, sich Schubert über sein Umfeld anzunähern,
ist in den letzten Jahrzehnten in Literatur und Wissenschaft so
häufig beschritten worden, dass Spötter behaupten, man
wisse über Schuberts Lebenswelt mittlerweile mehr als über
sein Werk.
Den zeitgeschichtlichen Hintergrund von Schuberts Weltschmerz,
die Zerrissenheit seiner Generation zwischen holder Kunst und politischem
Engagement wurde von mehreren Biografen bereits eindringlich vor
Augen geführt. Vor allen Frieder Reininghaus und Friedrich
Dieckmann haben gezeigt, wie sehr Idylle und Depression in der Musik
des Biedermeier eng mit der politischen Repression im Zeitalter
zwischen Romantik und Vormärz zusammenhängen. Becis kenntnisreiche
Biografie illustriert dies einmal mehr.
Ihr gelingt es nicht nur, Schubert als Teil eines politisch bewegten
Künstlerkreises darzustellen, sondern ihn im Besonderen als
Geistesverwandten Heinrich Heines vorzuführen. So zeigt sie
am Beispiel des „Schwanengesang“ eindrucksvoll, was
man gerne auch über die im Buchtitel zitierte „Winterreise“
erfahren hätte: Wie sich nämlich „doppelter“
Weltschmerz in Text und Musik zu absoluter Negativität steigert.
Erhellendes über Politik und Weltanschauung in Schuberts Tonkunst
wird oft jedoch durch Binsenweisheiten über Menschliches und
Allzumenschliches getrübt: So distanziert sich Beci zwar von
der psychoanalytischen Schubert-Forschung, übernimmt aber deren
Hypothese von Schuberts Homosexualität. Ihre Stärke, das
Einfühlungsvermögen, wird hier zur Schwäche, die
Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion fließen. Die intuitiv
gewonnenen „Erkenntnisse“ über Schubert als „Bohemien“
und Rebell lauten dann zum Beispiel so: „Typisch für
sein jugendliches Alter revoltiert er gegen alles, was dem Vater
viel bedeutet ...“ Auch Schuberts Verhältnis zu dem Dichter
Mayrhofer wird dahingehend geklärt, dass Schubert „schlicht
für den Älteren schwärmte und zwar in jener typisch
pubertären Mischung erotischer und idealistischer Annäherung.“
Ebenso irritierend wirken einige haarsträubende historische
Vergleiche (unter anderem die Griechen als die Palästinenser
des 19. Jahrhunderts). Auch ein angebliches Bild Beethovens, das
ansonsten als Porträt Hölderlins geläufig ist, stimmt
misstrauisch. Und dass als Schlusswort Robert Schumanns Aufsatz
über Schuberts C-Dur-Symphonie dienen muss, weckt Zweifel daran,
ob der Weg über Schuberts politisches Umfeld immer zu Schubert,
dem Komponisten, führt.