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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 22
52. Jahrgang | November
Rezensionen
Sechs fesche Herren im Frack
Comedian-Harmonists-DVD/-CD-Edition zum Bühnenjubiläum
Wären sie noch am Leben, hätten sie am 28. September
ihr 75-jähriges Bühnenjubiläum feiern können:
Die Rede ist von der ersten deutschen „Boy Group“, den
Comedian Harmonists. Bis heute kann fast noch jedes Kind ihre größten
Hits wie „Mein kleiner, grüner Kaktus“ oder „Veronika,
der Lenz ist da“ nachpfeifen. Joseph Vilsmaiers Film von 1997
samt seinem Star-Aufgebot (Ulrich Noethen, Ben und Meret Becker,
um nur einige zu nennen) wurde – ob einiger dramaturgischer
Schwä-chen – ein großer Erfolg an den Kinokassen,
zwei Millionen Deutsche ström-ten damals in die Kinos. Daran
knüpft nun diese Jubiläumsedition an: „Das Allerbeste
in Bild und Ton“ wird einem versprochen und man wird nicht
enttäuscht.
Alles begann mit einer zündenden Idee des Schauspielschülers
Harry Frommermann, der 1927 in einer eiskalten Dachkammer hauste
und Platten von den Revelers hörte, einem US-amerikanischen
Vokalquartett. An diesen Erfolg müsste man doch auch in Deutschland
anknüpfen können, dachte sich der findige Musikus mit
der Gabe, Instrumente zu imitieren, und setzte eine Anzeige in die
Zeitung „Sänger gesucht“, die Bewerber drängelten
sich nur so die Stufen zur Dachkammer hinauf, wo das Vorsingen stattfand.
Der Rest ist Legende und Geschichte.
Nach einer beinharten Probenphase und einem ersten missglückten
Bewerbungs-Vorsingen wurden die sechs feschen Herren mit ihren exakten
A-cappella-Interpretationen von witzigen Schlagern, Gassenhauern
und Volksliedern Kult im Vor-Hitler-Deutschland. Doch neben Bariton
und Gründer Harry Frommermann gab es zwei weitere Juden im
Ensemble: den zweiten Tenor Erich Abraham-Collin und Bariton Roman
Cycowski, die 1935 in die USA emigrierten. Dem Erfolgsteam wurde
Auftrittsverbot erteilt. Der Rest der Truppe, die sich anfangs übrigens
„The Melody Makers“ nannte, das waren Robert Biberti,
der bulgarische Tenor Ari Lechnikoff und Pianist Eerwin Bootz blieb
in Deutschland und gründeten das Meistersextett, während
Frommermann in den USA zusammen mit Cycowski noch die „Comedy
Harmonists“ ins Leben rief. Nach dem Ausstieg von Cycowski
zerfielen – zeitgleich mit dem Meistersextett – 1941
die hoffnungsvollen Nachfolgerensembles.
Mit vier Comedians konnte der Filmemacher Eberhard Fechner Mitte
der 70er-Jahre noch sprechen, als er seine Dokumentation „Sechs
Lebensläufe“ für den NDR drehte. Ein ergreifendes
Zeitdokument, das bis heute noch nichts an Aktualität verloren
hat. Für den kurz vorher verstorbenen Frommermann sprechen
seine Ex-Frau und seine Lebensgefährtin, für den bereits
1968 verschiedenen Collin seine jüngere Schwester. Die unvergesslichen
Songs untermalen die Interviews, Fotos und Zeitungsausschnitte werden
eingestreut. Wer sich für die Popularkultur der Weimarer Republik
oder überhaupt für deutsche Geschichte interessiert, dem
wird hier eine wahre Fundgrube an Beobachtungen und erhelleden Anekdoten
geboten. Ganz abgesehen von der wunderbaren „Best of-CD“.