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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 11
53. Jahrgang | März
www.beckmesser.de
Die Produzenten
„Werden Sie Musikproduzent internationaler Stars!“
Die Aufforderung klingt vielversprechend, fast wie ein smarter Ausbildungsgang
für Ich-AGs und andere überglückliche Kunden der
Bundesagentur für Arbeit. Mit drei Klicks zum Erfolg! Zum Frühstück
Champagner mit Madonna, nachmittags Daniel Küblböck rasch
ein paar Gummibärchen geschenkt und abends die Show im ZDF!
Doch hat jede Beratungsleistung bekanntlich ihre Tücken. In
unserem Fall zeigen sie sich im Kleingedruckten. Hier wird der Traum
vom Produzenten auf die Froschperspektive des Konsumenten reduziert:
„Kennenlernen von Künstlern und Produzenten, Einladungen
zu Premierenfeiern, Besuch von Produktionsstudios, handsignierte
CDs der von Ihnen produzierten Projekte...“
Es geht in dieser vollmundigen Ankündigung nicht um das Produzieren
von Musik, sondern um eine Einladung zur Investition in einen Medienfonds:
„Music Entertainment Fund – prognostizierte Rendite
14,42 Prozent nach Steuern – jetzt unverbindlich Zeichnungsunterlagen
anfordern.“ Als „Ihre Partner“ empfehlen sich
fünf im Musikbusiness tätige Firmen, die in den letzten
Jahren nicht gerade durch Riesenerfolge aufgefallen sind.
Soweit nichts Außergewöhnliches in der Geschäftswelt.
Nur dass hier in gut postmoderner Praxis – oder soll man sagen:
in der Art der New Economy – ein semantischer Hokuspokus mit
Begriffen getrieben wird. Nach dem Muster der Textilfirma, die ihre
Klamotten in Billiglohnländern nähen lässt und ihren
Aktionären verspricht: „Ihr Geld arbeitet für Sie“,
wird hier schlicht das Investieren von Geld mit dem Akt der Produktion
gleichgesetzt. Üblicherweise meint man das Produkt, das gekauft
wird, wenn von Musik als Ware die Rede ist. Hier wird die Produktion
gekauft – auf Zeit und solange sie sich rentiert. Die irreführende
Formulierung der Fonds-Ausschreibung ist charakteristisch für
den heutigen Turbokapitalismus und vor allem die schillernde Medienbranche,
wo nach dem großen Crash von 2001 einige der vermeintlich
Schlausten als gescheiterte Glücksritter vor dem Kadi landeten.
Gibt es in der immateriellen Welt der Pixel, Bits und Bytes etwas
Spekulativeres als die ungreifbare Materie der Töne, obendrein
noch in Gestalt der schnell verderblichen Ware U-Musik?
Gestern produziert, heute vielleicht ein Hit und morgen schon wieder
Schrott. Ein Depp, wer dann noch nicht verkauft hat und auf dem
Produkt sitzen bleibt. Ebenso schwankend ist der quotenabhängige
Marktwert der Stars. Um in den Medien präsent zu bleiben, müssen
sie ihr Privatleben outen und sich auch schon mal in der Extremshow
mit Kakerlaken überschütten lassen – zur Schadenfreude
des glotzenden Pöbels, auf dessen Käufergunst sie angewiesen
sind.
Die ökonomistische Internationale, die sich nach allen Wirtschaftsbereichen
zum Schluss auch der Kultur bemächtigt hat, ist gegenwärtig
dabei, den kulturellen Kapitalismus zu entwickeln, jene Produktionsform,
die, wie der amerikanische Autor Jeremy Rifkin sagt, „ sich
nicht nur die Bedeutungen des kulturellen Lebens und die dazugehörigen
Kommunikationsformen zu Eigen macht, sondern die gelebte Erfahrung
selbst“. Seine Prognose lautet: „Die Erfahrungs-Macher
werden schließlich einen Grundsektor – wenn nicht den
wichtigsten Sektor – der Wirtschaft bilden. Damit wären
wir die erste Kultur in der Geschichte, die komplizierte Technik
dazu benutzt, um das flüchtigste und doch dauerhafteste Produkt
herzustellen: die menschliche Erfahrung.“
Doch der Weg dorthin ist dornig und wird noch manchen wohlmeinenden
Labelmanager seine Stellung kosten. Die fürstlich bezahlten
ästhetischen Analphabeten in den Chefetagen über ihm sind
hilflos gegenüber dem, was ihren ökonomischen Horizont
überschreitet. Und so begehen sie aus Angst vor ausbleibendem
Erfolg vorsorglich lieber Selbstverstümmelung, als hinterher
von den Aktionären geprügelt zu werden. So etwa die Manager
von Warner, die laut „Spiegel“ die Kunst-Country-Band
„Wilco“ vor die Tür setzten, trotz Kritikerhymnen
und einem Absatz der bisherigen, preiswert fabrizierten Alben zwischen
100.000 und 250.000 Exemplaren. Für den medialen Turbokapitalismus
reicht das nicht.
Doch das ist auch die Stunde der Kleinlabels und freien Produzenten.
Wo die Multis in ihren nicht funktionierenden Kommunikationsstrukturen
zappeln und den Shareholder Value anbeten, produzieren sie mit phantasievollen
Musikern und wenig Aufwand eine lebendige Musik, die sich in kreativer
Wechselwirkung mit der regionalen oder nationalen Szene entfaltet.
Damit entstehen zwar keine Welthits, weil das dazu nötige Kapital
und die Vertriebsstruktur fehlen. Kompensiert wird das aber durch
jene Lust am Machen, die sich immer dann einstellt, wenn innerhalb
überschaubarer, nicht entfremdeter Strukturen produziert wird.
Vielleicht kommt ja dann eines Tages ein Entertainment-Fund, der
sich als Interessenvertreter von „Produzenten“ vorstellt
und in Glamourprospekten den schnellen Gewinn verspricht. Doch dieses
Geschäft ist dann bestenfalls das parasitäre Abfallprodukt
des kreativen Anfangsimpulses. Mit Musik hat es nichts mehr zu tun.