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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 37
53. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Seine Sprache atmet eine eigene Musik
Oper „The Tempest“ von Thomas Ádes in London
uraufgeführt
Kein Mensch kann über seinen Schatten springen, auch nicht
Thomas Ádes, der 32 Jahre junge Darling der britischen Komponistenszene,
dessen bereits erstaunliches Œuvre mit einer vielversprechenden
Flüssigkeit, Vielseitigkeit und Prägnanz aufwartet, der
am Klavier selbst den kniffeligsten Werken seiner Zeitgenossen bravourös
gerecht wird und dies am Dirigentenpult wiederholt. Im Februar erlebte
dessen vom Royal Opera House Covent Garden in Auftrag gegebene erste
dreiaktige Oper „The Tempest“(„Der Sturm“)
nach William Shakespeares gleichnamigen und zugleich letzten Schauspiel
ihre schon im Vorfeld heiß diskutierte und mit Spannung erwartete
Uraufführung. Dass das Publikum vor Begeisterung tobte und
sich die Kritik nahezu ausnahmslos in ihrer bisherigen Beurteilung
von Thomas Ádes bestätigt fühle, ja ihn zum unumstrittenen
Nachfolger eines Benjamin Britten und Michael Tippett kürte,
ist allerdings kein Garant, dass es sich bei diesem Werk um eine
bahnbrechende Repertoireerweiterung handelt.
Szene aus Thomas Ádes’
Oper „The Tempest“- Foto: ROHCG
Im Gegenteil – Ádes erwies der Kunstgattung einen
Bärendienst. Dieses wohl eher zu gekonnt, ja zu elegant geschriebene,
doch banale Sammelsurium aus der Mottenkiste von Purcell bis eben
leider nicht Busoni, Reimann, Ligeti oder Birtwistle, sondern bis
Wagner, Puccini und gerade noch ein wenig Richard Strauß besaß
rückläufigen Charakter und schien mehr darauf bedacht,
es allen Recht machen zu wollen und die Vergangenheit zu bewältigen,
als Neuland zu erobern. Das Publikum genoss den Abend, eingelullt
in eine allseits zugängliche Atmosphärik von klangillusteren
Vorspielen, angenehmen Arien, Duetten, Ensembleszenen und durchkomponierten
Dialogen mit geringfügigem „zeitgenössischem“
Touch, aber ebenso gefesselt von einem Bühnengeschehen, das
die technischen Möglichkeiten eines modernen Hauses voll auslotete.
Die Szenerie unter endloser Verwendung von Laserstrahlen glich
einem überdimensionalen Laptop in ständig wechselnden
Stellungen (Regie: Tom Cairns, Design: Tom Cairns und Moritz Junge,
Beleuchtung: Wolfgang Göbbel). Ein schmerzloses, auf Wirkung
bedachtes Spektakel in einer stimmlichen Traumbesetzung und mit
einem dem Dirigenten Thomas Ádes willig folgenden Orchester,
ein Spektakel, das an Stelle von Fragen und Konfrontation der Konvention,
im besten Fall noch einer Art englischer Tradition huldigte. Mit
dem Spaßmacher Trincolo (Lawrence Zazzo) durfte darin selbstredend
auch ein Counter Tenor nicht fehlen.
Nur, wenn sich die Oper des 21. Jahrhunderts weiterhin hinter
dem Proszenium und damit ohne den Mut, den überalteten Rahmen
zu sprengen, in Klischees badet und selbst musikalisch keinerlei
radikale, unserer Zeit entsprechende musikalische Ansätze formuliert,
so hat sie ihre Aufgabe verfehlt. Am gleichen Haus hatten vor Jahren
Stockhausen mit „Donnerstag aus ‚Licht‘“
und Birtwistle mit „Gawain“ mögliche Klangstrukturen
für ein neues Opernfirmament angezeigt, doch bereits die spätere
Ankündigung von Ligetis „Le Grand Macabre“ fiel
dem Rotstift um Opfer. Die Vorlage von Shakespeares „The Tempest“
wäre in den richtigen Händen durch-aus dafür geeignet,
dieses Firmament um eine beängstigende Variante zu erweitern.
Aribert Reimann bewies dies mit seinem „Lear“ –
und auch Prospero ist ja bei weitem kein abgeklärter Heiliger,
sondern eine zwiespältige, der Magie mächtige Figur, die
erst einmal Strafe sucht, bevor sie vergibt.
Doch wagt man sich an Shakespeare, muss man sich darüber im
Klaren sein, dass seine Sprache eine eigene Musik atmet, die keine
Erweiterung oder Überlagerung erlaubt. Man muss die Quintessenz
des jeweiligen Stückes herausfiltern, ihr ein völlig neues
Libretto zugrunde legen und dann seinen eigenen musikdramatischen
Vorstellungen folgen – Verdi und Reimann haben dafür
den Weg gewiesen, nicht aber Britten und Tippett, weil sie sich
zusehr an der Vorlage orientierten. Letzteres geschah auf fast noch
dubiosere Weise mit „The Tempest“. Meredith Oakes hatte
Ádes ein Libretto verfertigt, das Shakespeare komprimierte
und es sich erlaubte, den verbliebenen Text in an Shakespeares Sprache
orientierte, leicht verständliche Reimfolgen zu verwandeln.
Dieses zweifelhafte Unterfangen schien sich an dem Motto „Reim
dich oder ich fress dich“ orientiert zu haben und entspricht
einer Persiflage. Schlimmer noch, Ádes’ durch und durch
ehrliche Partitur, wiewohl von extremer gesanglicher Schwierigkeit
für die Solisten, erlaubt bis auf Ariel eine seltene Verständlichkeit
der Textbanalität; die zusätzlichen Textprojektionen machten
es unmöglich, sich diesen Reimen zu entziehen, so beispielsweise
der abschließende Dialog zwischen Prospero (Simon Keenlyside)
und seinem Bruder Antonio (Johan Daszak): „To call you brother
I’have no wish/Still I’ll forgive“, worauf die
Antwort folgt: „You will forgive at no cost/You’ve won
I’ve lost…“.
Lediglich mit Ariel gelang Ádes eine außergewöhnlich
vibrierende musikalische Überhöhung, eine Koloraturpartie,
deren Anforderungen alles Bisherige in diesem Fach sprengt und in
Cyndia Sieden eine kaum überbietbare Interpretin fand. Besaßen
alle Partien ihren eigenen musikalischen Charakter, so blieb es
am schwächsten um Prospero bestellt. Diese zentrale Figur besaß
kaum eine Entwicklung und glich eher einem Beamten, der sich an
all jenen rächte, die zu seiner Entlassung beigetragen hatten.
Zu den Höhepunkten zählten die extrem lyrischen Duette
zwischen Prosperos Tochter Miranda (Christine Rice) und ihrem Geliebten
Ferdinand (Toby Spence) und dem Sohn des Königs von Neapel
(Philip Langridge).
Insgesamt jedoch hinterließ die Oper einen faden Geschmack,
da Ádes sein ganzes Bestreben darauf richtete, Shakespeares
ureigener Musik, jedoch in Gestalt des Librettos, eine ästhetisches,
klangschönes Ambiente zu bieten, statt dem von Prospero auf
der Insel menschlicher Zwietracht und endlicher Hoffnung beschworenen
Spuk in eine unserer Zeit gemäße brutale, aufrüttelnde
Allegorie zu verwandeln.
Der Abgesang Calibans (verkörpert von Ian Bostridge), jenes
animalischen Triebtäters in uns allen, kam einer solchen Möglichkeit
noch am nächsten. Immerhin dürfte die Uraufführung
noch lange nicht aller Tage Abend sein, da sich Ádes, der
unter erheblichem Zeitdruck stand, zu wesentlichen Revisionen entschloss.
Schließlich handelte es sich um eine Koproduktion mit dem
Königlichen Theater in Kopenhagen und der Opéra National
du Rhin in Straßbourg. Eine endgültige Version wird somit
noch auf sich warten lassen.