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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 38
53. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Ein Aufstieg – ein Dilemma?
Fabio Luisi wird Musikchef in Dresden
Italiener, die – in Kunst oder Geographie – die Weltgeschichte
in Bewegung bringen, müssen nicht unbedingt aus Neapel kommen.
Verglichen mit der brodelnden Stadt am Vesuv mutet die Hafenstadt
Genua im Nordwesten an wie eine kühle hanseatische Schöne.
Aber auch wer in Genua zur Welt kommt, will in diese hinaus und
zum Weltruhm: Columbus, Paganini. Und Fabio Luisi.
Die Neuigkeit kam Mitte Januar dieses Jahres wie ein Blitz aus
heiterem Himmel. Fabio Luisi wird in Dresden Generalmusikdirektor
der Staatsoper und Chef der Sächsischen Staatskapelle, als
Nachfolger des Interims-Chefs Bernhard Haitink und des designierten,
vor drei Jahren plötzlich gestorbenen GMD Giuseppe Sinopoli.
Vertragsbeginn für Luisi: 1. Mai 2007. Dabei schienen seine
Positionen und Kompetenzen für die nächsten fünf,
sechs Jahre bereits in harmonische Balance gebracht und festgezurrt.
Das halbe Jahr anwesend
Noch bis 2009 hatte er sich eigentlich als Chefdirigent dem Sinfonieorchester
des Mitteldeutschen Rundfunks versprochen. Ab Oktober 2005 und erst
einmal bis 2010 wollte er parallel dieselbe Funktion bei den Wiener
Symphonikern übernehmen.
Fabio Luisi. Foto: MDR
Ein halbes Jahr müsse der Chef in seinem Haus anwesend sein,
war Luisis Überzeugung, sonst mache die Arbeit keinen Sinn.
Der MDR in Leipzig und die Symphoniker in Wien, das hätte also
knapp in den Kalender eines Jahres gepasst. Beide Häuser hätten
stolz auf ihren Chef und der hätte auf seine beiden Orchester
stolz sein können, deren Rang und Ausstrahlung durch nichts
zu relativieren ist.
Der Rundfunk in Leipzig wird nicht versäumt haben, seinem
in aller Welt begehrten Musikchef die allerbesten Arbeits- und Lebensbedingungen
zu schaffen. Auch in Wien wird man darin nicht müßig
gewesen sein. Aber dennoch: Es gibt auch in der Musik einen Bereich
des symbolischen, des mythischen Nimbus, der oberhalb jeder berechenbaren
Rangordnung liegt. Staatskapelle und Oper in Dresden mit dem einschüchternden
Gewicht ihrer Geschichte und Geltung sind dort angesiedelt. Die
Einladung in den Zirkel der Konkurrenzlosen duldet kein Zögern
und Verweigern. Also wird Fabio Luisi dem MDR nur noch bis 2007
als Chef zur Verfügung stehen. Das (ohnehin hypothetische)
Halbjahressoll an Präsenz wird er dann zwischen Dresden und
Wien aufteilen.
Wird er? Hielte er sich strikt an diese Polarisierung, wäre
Luisi seit der Erfindung des modernen Star- und Reisedirigenten
(also seit rund 130 Jahren) die erste Ausnahme in der Zunft der
musischen Welteroberer. Ernsthaft wird das – Verträge
hin oder her – kein Arbeit- oder Auftraggeber von ihm verlangen.
Luisis Karriere ist sowieso ein Sonderfall, eine Rarität. Weder
ist zu erkennen, dass eine weltmächtige Agentur ihn mit dem
sonst üblichen Propagandagetöse zum Shooting Star manipuliert
noch dass ein Medienmogul ihn zum Orchester-Champion gepuscht hätte.
Wenn Luisi von sich aus der Typ des geborenen Aufsteigers ist,
dann durch die Sicherheit in der Anwendung seiner Mittel. Er kann
es sich leisten, leise, zurückhaltend, unspektakulär zu
sein. Der MDR-Werbeslogan „Reservieren Sie bei Leipzigs bestem
Italiener“ klingt, gemessen am branchenüblichen Marktgeschrei
der Super-Star-Strategen, wie familiäres Understatement. 44
Jahre ist Luisi alt. In seinem Metier gilt er noch als ein „Junger“.
Am Konservatorium seiner Vaterstadt Genua hat er mit dem Klavierunterricht
angefangen, bis zum Examen. Bei Aldo Ciccolini, dem Liszt-, Saint-Saens-
und Impressionismus-Experten, setzte er in Paris seine Studien fort.
Erfahrungen mit der Oper verlockten ihn zu dem Entschluss, Dirigent
zu werden.
Viele werdende Maestri, auch die renommiertesten wie Abbado, Mehta,
Sinopoli, hat es nach dem deutschsprachigen Mitteleuropa gedrängt
und dann nach Wien, in die Stadt Sigmund Freuds, der Sezession und
des Dirigentenmachers Hans Swarowsky. Luisi aber ging zur weiteren
Ausbildung nach Graz und war für vier Jahre Dirigierschüler
des kroatischen Altmeisters Milan Horvath. Am Grazer Opernhaus machte
er sich, als Studienleiter und Kapellmeister, mit einer kunterbunten
Vielfalt von Opern, Operetten und Balletten vertraut.
Ein Theatermann
Die Berufungen an die größeren und größten
Opern- und Konzerthäuser der Welt trafen Schlag auf Schlag
bei Luisi in Graz ein. Bevor er als Opern-Maestro abgestempelt war,
verschaffte er sich in aller Welt auch als Konzertdirigent einen
Ruf. 1996 holte der MDR ihn als einen von drei Hauptdirigenten des
Sinfonieorchesters und Chores nach Leipzig. In der Saison 1999/2000
ging die Chefposition auf ihn allein über. Als Udo Zimmermann
Intendant der Deutschen Oper Berlin wurde, wollte er Luisi als seinen
GMD mitbringen. Das Vorhaben scheiterte an privaten Eitelkeiten,
konkurrierendem Egoismus und der notorischen Inkompetenz hauptstädtischer
Behördlichkeit.
Zum Verdi-Gedenkjahr 2001 bereicherte Luisi die einschlägige
Diskographie um drei „interessante“ und nicht nur verkaufssichere
Opern-Spezialitäten aus der Werkstatt des Komponisten: „Alzira“,
„Jerusalem“ und „Aroldo“. Mit Temperament,
Leidenschaft, Passion bringt er sie zum Glühen. Kein Zweifel,
er ist ein Opern-, ein Theatermann.
Es wäre durchaus zutreffend, wollte man die paradoxe Auffälligkeit
seines Wesens dadurch bestimmen, dass es von unaufdringlicher Eleganz
und nobler Zurückhaltung ist. Noch richtiger wäre die
Feststellung, dass ihm ein äußerlich klein erscheinender
Aufwand genügt, um die größten Wirkungen auszulösen.
Am Orchesterpult gibt er sich dabei keineswegs minimalistisch, geschweige
pedantisch. Er tritt wie ein graziler Luftgeist ins Bild, aber vor
einem Riesenapparat von 180 Chorsängern und Orchestermusikern
kann er gewaltig weit ausholen. Er ist ein präziser, wegkundiger
Spielleiter und Pilot seines Ensembles.
Aus seiner Zusammenarbeit mit dem MDR ist eine Reihe von CDs bereits
hervorgegangen: Berlioz, Liszt, von Mahler die düstere, apokalyptische
Sechste. Luisi will keiner bequemen Erwartung gefällig sein.
Die CD-Reihe wird fortgesetzt, auch mit Mahlers Achter. Und mit
dem Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz
Schmidt. Es setze die deutsch-österreichische Linie Brahms-Bruckner
konsequent fort, meint Luisi.
Aufstieg gegen alle Trends
Der vom mondänen Jahrmarkt der Eitelkeiten fast unbemerkte
Aufstieg des Fabio Luisi scheint gegen alle Trends gerichtet und
nahezu anachronistisch. Luisi ist ein unbestechlicher Sachwalter
seines Fachs und doch nicht ohne stille, nachhaltige Magie. Um ihn
ist kein PR-Geschrei, trotzdem verschafft er sich Gehör.
Nach seiner bisherigen Laufbahn zu urteilen, setzt er sich mit
der Insistenz der sprichwörtlich langsam, aber schrecklich
fein mahlenden Gottesmühle durch. Wer darüber nachdenkt,
spürt ein Dilemma. Schön altmodisch und anheimelnd wäre
es, Luisi hielte sich an sein Credo und konzentrierte seine Kraft
ein ums andere Halbjahr auf seine beiden Arbeitsschwerpunkte Dresden
und Wien. Sonst nichts oder doch nur wenig anderes, etwa Leipzig.
Andererseits kann man möglichst vielen Orten auf der Welt,
wo Musik gemacht und gehört wird, so viel Metiersicherheit
und Universalität nur wünschen. Das 21. Jahrhundert wird
die ihm gemäßen Kompromisse schon finden und erfinden
und Gewinn- und Verlustrechnung auf seine Weise austarieren.