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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 36
53. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Die Münchner Freie Szene läuft Probe
Kurzweiliger dreistündiger „mu’zi:k“-Abend
in der Muffathalle
Ihre kulturelle Ausstrahlung verdanken Großstädte nicht
nur glanzvollen Opernpremieren, internationalen Pultstars und avantgardistischen
Museumsbauten. Ein zwar schwer zu messender, aber durchaus ins Kalkül
zu ziehender Faktor dieser Attraktivität ist der Zustand der
jeweiligen Freien Szene in der Stadt. Ein Beispiel dafür ist
die wachsende Anziehungskraft der Metropole Berlin auf Künstler
und Musiker, vor allem auf junge, die noch am Beginn ihrer Karriere
stehen. Die Honorare sind in Berlin zwar schlechter als im Rest
der Republik – die Mieten allerdings auch noch erschwinglich.
Entscheidend für die Anziehungskraft auf Musiker und Besucher
aber ist die Qualität der Freien Szene.
So frei die Szenen auch sein wollen, ohne Subventionen von Seiten
der Kommunen, Länder und privater Förderer gäbe es
sie nicht. Die bekannten Sparbeschlüsse der Städte und
Gemeinden trafen bundesweit insbesondere die freie Musikszene. Eine
gute Nachricht kommt aus dem Süden: Der Münchner Stadtrat
bewilligte der freien Musikszene 90.000 Euro jährlich aus den
Mitteln für Freie Kunst im öffentlichen Raum.
Münchner „Mu’zi:ker“:
Christoph Reiserer
Fotos: Martin Hufner
Als ein Probelauf fand jetzt das Konzert „mu’zi:k –
made in München“ statt, ein über drei Stunden dauerndes
Mammutkonzert in der Muffathalle, das das Spektrum der Szene repräsentierte.
Ein Blick auf die wichtigsten Glanzlichter daraus lohnt sich. Die
Medienkünstler Ulrich Müller und Siegfried Rössert
sind Kern der Gruppe 48nord: Für ihr Stück „Swing
by II“ hatten sie den Posaunisten Sebi Tramontana sowie den
Perkussioniste Wolfram Winkel eingeladen. Neue Technologie traf
auf virtuoses Instrumentalspiel. Auch wenn „Swing by II“
seine Gestalt vor allem durch improvisatorische Momente erhält,
Swing steht hier nur als Anspielung auf den Jazz, gemeint ist die
Energiezufuhr, die etwa eine Raumsonde beim Vorbeiflug an einem
Himmelskörper aufnimmt und in Geschwindigkeit umsetzt.
Pianistin Stephanie Knauer schuf mit Karl F. Gerbers „Loops
2003 – für Klavier allein“ einen minimalistischen
Kontrast zum Konzert der Gruppe 48nord. Gängige Klaviereffekte
erwartet man bei Gerbers komplexen Loops vergebens. Knauer gestaltete
präzise die spröde Schönheit der Gerberschen Tonschleifen.
Süffig und mit reicher Harmonik arbeitet dagegen Helga Pogatschar
in ihrem Melodram „Der Krokoolm und die Eintagsgans“.
Die Liebesgeschichte für große und kleine Kinder wächst
sich recht schnell zu einer satirisch bösen Moritat aus. Im
Zentrum des Geschehens die Sängerin Cornelia Melian, die auch
als zupackende Tehremin-Spielerin agierte. Das eigentlich musikalische
Zentrum des Ensembles lag in den Stimmen von Blockflöte (Stefan
Temmingh) und Klarinette (Mathis Mayr).
Münchner „Mu’zi:ker“:
Helga Pogatschar
Fotos: Martin Hufner
Mit dem „Struktur-Wellensittich“ bot Klaus Schedl neue
Lösungen der postmodernen Materialfrage an: In einem Käfig
saß ein Wellensittich, dessen Gesang durch die Musik simultan
in Musik übersetzt wurde. Genau besehen und gehört traf
der Vogel die Entscheidung bei der Auswahl vorkomponierter, aleatorischer
Elemente. Da war der Weg nicht mehr weit zu John Cage. „Cage
up“ – nannten die Musiker der Micro Oper München
ihre John-Cage-Performance. Ob sie damit auch auf den Käfig
von Schedls Wellensittich anspielten, blieb offen.
Nach Cages „Songbooks Nr. 6, 8, 35, 46, 52, 54 und 64“
schlossen sich „3 Lieder“ von Christoph Reiserer an,
mit Michaela Götz (Stimme), Mathis Mayr (Cello), dem Komponisten
(Saxophon), Jürgen Schneider (Schlagzeug) und Tobias Weber
(E-Gitarre/E-Bass). Eine neuartig „polystilistische“
Musik, in deren Zentrum Samples einer Lesung Hermann Hesses stehen.
Das „mu’zi:k“-Finale übernahm Dieter Trüstedt,
seit Jahrzehnten einer der Motoren der Münchner Freien Szene.
Ulrike Döpfner tanzte seinen Schattentanz „Katalanische
Vermutung“ – ein musikalisches Variationenspiel um die
Zahlen 8 und 9, dessen Grundmuster sich nach und nach auflöst
– ins Freie.
Andreas Kolb
Projektausschreibung 2004:
Freie Projekte zeitgenössischer Musik können bis zum
30. April 2004 von Musikern und Ensembles aus dem Münchner
Raum beim Kulturreferat München eingereicht werden. Eine
Jury entscheidet über die Vergabe der Projekte, die auch
spartenübergreifend sein können. Zwei Themen sind 2004
vorgegeben: „Identität und Heimat” sowie „Interkulturelle
Musik in München”.