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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 4
53. Jahrgang | März
Cluster
Zwangsbeschallert
Musik kann schon ein richtiger Weichmacher sein. Blinde werden
sehend, Taube hörend und Menschen brav, vor allem aber Letzteres.
Da werben die auf der Abschussliste des Berliner Senats stehenden
Berliner Symphoniker in U-Bahnen mit dem Slogan „Kinder, die
musizieren, kommen nicht auf dumme Gedanken” (wie zum Beispiel
ohne Führerschein in einen Gurkentransporter zu fahren), das
internationale Büro der Jeunesses musicales hat eine Plakatserie
hergestellt, auf der die gesellschaftlichen Verlierer hoffnungsfroh
auf die Rettung durch Musik hingewiesen werden – warum also
länger Telefonzellen einschlagen, so wie wir es früher
normalerweise gemacht haben, einfach ein Schlagzeug kaufen. Und
den salomonisch artigen Spruch unseres Innenministers über
den Zusammenhang von Musikschulen und innerer Sicherheit mag und
braucht man gar nicht mehr zitieren.
Foto: „Drums sound
better“ – Motiv aus der Anzeigenkampagne der
Jeunesses Musicales
Prima: Musik hat ihren gesellschaftlichen Standort endlich erhalten,
nämlich den der Sozialhygiene und Gewaltprävention. Nix
mit Rolling, nix mit Stones. Musikmachen ist wie Kiffen, nur besser,
weil in der Regel straffrei. Musikhören dagegen nicht. Das
durfte ein lautstark HipHop emissierender Autofahrer in Miami am
eigenen Leibe erfahren, den sein Richter zum Abhören einer
Puccini-Oper verurteilte – alternativ 500 US-Dollar Bußgeld.
Was dieser eigentlich ganz pfiffige Richter in Deutschland machen
würde? Stadtverwaltungen verklagen wegen der von ihnen zugelassenen
Zwangsbeschallung von Bahnhöfen und anderen öffentlichen
Gebäuden, oder weiter noch der – wegen verminderter Auswahlmöglichkeiten
– öffentlich-rechtlichen und privaten Musikduschen in
Radio und TV? Ach was, das alles dient der Gewaltabwehr und Befriedung.
Jugendliche, die Viva glotzen, sichern den inneren Frieden. Es ist
ein Faktum: Terroristen gibt’s ja in Deutschland seit den
Musikextremisten Helmut Lachenmann und Modern Talking praktisch
auch nicht mehr. Eigentlich sind wir ein glückliches Volk.
Eigentlich. Peace!