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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 15
53. Jahrgang | März
Deutscher Kulturrat
Große Anfrage, wenig Antworten
Wirtschaftliche Entwicklung künstlerischer Berufe ·
Von Gabriele Schulz
Eine Chance wurde vertan, sowohl von den Fragestellern bei der
Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion „Wirtschaftliche
und soziale Entwicklung der künstlerischen Berufe und des Kunstbetriebs
in Deutschland” (im Folgenden: Große Anfrage) als auch
von der Bundesregierung bei der Beantwortung der Großen Anfrage.
Große Anfragen im Deutschen Bundestag sind nicht gerade ein
Instrument, welches tagtäg- lich genutzt werden kann. Sie bieten
bereits von ihrem Umfang her die Möglichkeit, entweder der
Regierung auf den Zahn zu fühlen, wenn die Große Anfrage
von der Opposition gestellt wird, oder aber die Leistungen der Bundesregierung
herauszustreichen, wenn das Instrument der Großen Anfrage
von den Regierungsfraktionen genutzt wird. Auf Grund der Bedeutung
des Instruments sollten der Zeitpunkt und auch die Fragestellung
genau überlegt sein.
Es verwunderte daher, dass die Oppositionsfraktionen zu einem Zeitpunkt
die Große Anfrage starteten, als die Einsetzung der Enquete-Kommission
des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland” bereits
eine beschlossene Sache war. Es war zu erwarten, dass die Bundesregierung
bei einer Vielzahl von Fragen darauf verweisen würde, zunächst
die Ergebnisse der Enquete-Kommission abwarten zu wollen. Noch verwunderlicher
ist allerdings, warum bei den Fragen zur wirtschaftlichen und sozialen
Lage der Künstler die Sparte Literatur von den Fragestellern
hartnäckig ausgeklammert wird. Es wird ausschließlich
der Status in den Sparten Musik, Bildende Kunst und Darstellende
Kunst erfragt. Es kann daraus kein vollständiges Bild der Lage
in den künstlerischen Berufen entstehen, zumal auch die Bundesregierung
das „Vergessen“ der Sparte Literatur nicht genüsslich
ausgeschlachtet hat, sondern ausschließlich Angaben zu den
Sparten Musik, Darstellende Kunst und Bildende Kunst machte.
Nachdem die künstlerischen Berufe schon auf drei Sparten
reduziert wurden, konzentrieren sich die Fragen nach der Kulturwirtschaft
ausschließlich auf den Kunstmarkt – nicht gerade die
führende kulturwirtschaftliche Branche.
So präjudizieren bereits die Fragen eine Schieflage bei der
Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der künstlerischen
Berufe. Diese Schieflage wird durch die Antwort der Bundesregierung
nicht aufgefangen. Die Antworten zur sozialen Lage der Künstlerinnen
und Künstler lassen mehr Fragen offen, als tatsächlich
Antworten gegeben wurden. Die präsentierten Daten werden weder
in einen Kontext eingeordnet, noch interpretiert.
So wundert man sich bei Frage zwei (Wie viele angestellte Künstlerinnen
und Künstler (bildende Kunst, Musik, darstellende Kunst) leben
und arbeiten – aufgelistet nach Sparten – in Deutschland?),
dass bei den angestellten Künstlern nach den Ergebnissen des
Mikrozensus im April 2002 gerade die Bildenden Künste mit 47.000
angestellten Berufsangehörigen die größte Berufsgruppe
stellen, gegenüber den 24.000 angestellten Musikern und 22.000
angestellten darstellenden Künstlern und Sängern. Zwar
wird hinter der Zahlenangabe der Bildenden Künstler in Klammern
angegeben: angewandte Kunst, doch werden keine weiteren Angaben
dazu gemacht, um welche Berufe es sich letztlich handelt. Bislang
galt die Sparte Bildende Kunst immer als jene Sparte, die in erster
Linie zur freiberuflichen Tätigkeit führt.
Auch stellt sich die Frage, wer sich hinter den in der Antwort
zu Frage elf (Wie hoch ist die Zahl der künstlerisch Ausgebildeten/Tätigen
an der Arbeitslosenzahl heute und wie hat sich die Zahl in den vergangenen
Jahren entwickelt?) 16.414 arbeitslosen Bildenden Künstlern
verbirgt.
Hier fand in den Jahren von 1995 bis 2002 mit 8.411 Arbeitslosen
auf die genannten 16.414 Arbeitslosen immerhin fast eine Verdopplung
statt, wohingegen in den anderen Sparten die Zahl der Arbeitslosen
etwa konstant blieb oder vergleichsweise moderat anstieg. In ihrer
Antwort bleibt die Bundesregierung die Interpretation dieser Daten
schuldig. Sie nennt lediglich die Zahlen.
Ausführlicher sind lediglich die Angaben zu Frage 17 (Gibt
es spezifische steuerlich Vergünstigungen, die in künstlerischen
Berufen Tätige in Anspruch nehmen können, und in welchem
Maße wird Gebrauch von diesen Regelungen gemacht?). Hier nutzt
die Bundesregierung das Instrument Große Anfrage, um ihre
Politik positiv darzustellen. Dass sie mit der Darstellung der pauschalen
Besteuerung ausländischer Künstler, die in Deutschland
auftreten, ihren Auftrag ausweitet, sei verziehen. Bedrückend
ist die klare Antwort der Bundesregierung auf Frage 14: Plant die
Bundesregierung Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen
und sozialen Lage von freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern
(bildende Kunst, Musik, darstellende Kunst)? Sie sagt klipp und
klar, dass die Bundesregierung derzeit im Bereich des Sozialwesens
keine weiteren spezifischen Maßnahmen zur Verbesserung der
Lage der selbständigen Künstlerinnen und Künstler
plant. Dass zuvor noch auf die kapitalgedeckte private Altersvorsorge
verwiesen wird, die auch den rentenversicherungspflichtigen selbständigen
Künstlern zugute kommt, erscheint in dem Lichte fast schon
als Hohn. Denn wie soll es gelingen, mit einem durchschnittlichen
Jahreseinkommen von rund 11.100 Euro (Durchschnittsjahreseinkommen
aller Sparten einschließlich des Wortbereiches; ohne den Wortbereich
betrug das Durchschnittseinkommen im Jahr 2003 rund 10.200 Euro),
noch eine ausreichende private Altersvorsorge aufzubauen?
Auch tröstet es wenig, wenn ebenfalls in der Antwort auf die
bereits erwähnte Frage 14 darauf verwiesen wird, dass mit dem
so genannten “Korb 2” zur Gestaltung des Urheberrechts
in der Informationsgesellschaft in einem Schwerpunkt die urheberrechtlichen
Vergütungssysteme reformiert werden sollen. Das in der letzten
Legislaturperiode mühselig durchgesetzte Urhebervertragsrecht
– auf das ebenfalls verwiesen wird – hat bislang zu
noch keinen Vereinbarungen zwischen Verwerter- und Künstlerverbänden
auf angemessene Vergütung geführt.
Die Erwartungen und auch die Anforderungen an die Enquete-Kommission
im Deutschen Bundestag „Kultur in Deutschland“ sind
nach dieser Großen Anfrage und der Antwort der Bundesregierung
eher noch gestiegen. Auf die Enquete-Kommission wartet die Aufgabe,
die Wechselwirkungen innerhalb des Kulturbereiches aufzuzeigen.
Umsatzeinbußen in der Kulturwirtschaft führen zu Entlassungen,
die die Zahl der freiberuflichen Kulturberufler, die nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz
versicherungspflichtig sind, ansteigen lassen. Sinkende Umsätze
bei den Unternehmen der Kulturwirtschaft schlagen sich in niedrigeren
Honoraren nieder. Einer stetig wachsenden Zahl an Versicherten in
der Künstlersozialversicherung steht eine relativ konstante
Zahl an Abgabepflichtigen gegenüber. Darüber hinaus entsteht
eine Gruppe an Kulturberuflern, die durch alle Raster fallen, da
sie weder künstlersozialversicherungspflichtig sind noch ausreichend
verdienen, um sich privat abzusichern. Zusätzlich darf nicht
aus dem Blick verloren werden, dass Einsparungen der öffentlichen
Hände, der Trend zu Events und anderes mehr zu einer Schwächung
der Einkommensbasis vieler Künstler führen. Die Enquete-Kommission
wird auf diese Fragen Antworten geben müssen, damit nicht auch
ihr Ergebnis mit „Chance vertan“ bewertet werden wird.