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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 52
53. Jahrgang | März
Dossier:
Bücher & Noten aktuell
Grenzen der Forschung, unsichere Quellenlage
Ein Konferenzbericht anlässlich des 250. Todestages Johann
Sebastian Bachs
„Bach in Leipzig – Bach und Leipzig“ Konferenzbericht
Leipzig 2000, hrsg. von Ulrich Leisinger zusammen mit Hans-Joachim
Schulze, Barbara Steinwachs, Christoph Wolff und Peter Wollny,
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2002, 624 S., € 78,00, ISBN
3-487-11591-3
Anlässlich
des 250. Todestages Johann Sebastian Bachs und des 100-jährigen
Bestehens der Neuen Bachgesellschaft in Leipzig war es das Anliegen
der wissenschaftlichen Konferenz „Bach in Leipzig –
Bach und Leipzig“ im Januar 2000 anhand von Beiträgen
anerkannter Referenten, Leipzigs Sonderstellung als letzte bedeutende
Lebensstation Bachs sowie als Entstehungsort des größten
Teils seiner Kompositionen und als wichtiges Zentrum seiner Wirkungsgeschichte
zu erörtern. Der vorliegende Konferenzbericht zeigt, dass dies
in überzeugender Weise geleistet wurde, ist doch die Bandbreite
der Beiträge eine wahre Fundgrube für Bach-Interessierte.
Die logische Strukturierung der Themengebiete sowie die inhaltliche
Klammer des Anfangs- und Schlussartikels dienen nicht nur als Orientierungshilfe,
sondern bieten vor allem die Möglichkeit, Bachs Wirken unter
verschiedenen Aspekten zu beleuchten und somit eine genauere Differenzierung
vorzunehmen.
Der Konferenzbericht ist in insgesamt sechs Teile gegliedert, wobei
zunächst die Entstehung und Überlieferung der Werke Bachs
behandelt werden, dann auf deren Stil und Analyse eingegangen wird
und anschließend deren Chronologie und Ordnung beleuchtet
werden. Besondere Erwähnung verdient dabei der Beitrag zu den
neu aufgefundenen Handschriften Johann Sebastian und Wilhelm Friedemann
Bachs in Kiew. In den folgenden drei Teilen stehen der zeitgeschichtliche
Kontext der Werke Bachs, Kommentar, Dokumente und Zeitgeschichtliches
zu seiner Biografie und schließlich die Bachsche Wirkungsgeschichte
im Mittelpunkt. Alle sechs Teile sind jeweils mit Betonung auf die
Bedeutung Leipzigs in Bachs Schaffen ausgerichtet.
Hilfreich ist dabei die Einbettung der einzelnen Beiträge
in die Rahmenartikel, die allgemeine Fragen der Bach-Forschung und
Aufführungspraxis behandeln: So weist Hans-Joachim Schulze
zunächst auf die Grenzen der Bach-Forschung aufgrund der unsicheren
Quellenlage hin und mahnt Bach-Forscher zu mehr Selbstdistanz. Dabei
verweist er auf die Vielzahl an Veröffentlichungen, die nur
zur Darstellung der Forschungsschwerpunkte der Autoren entstanden
seien und willkürlicher Interpretation freien Lauf ließen,
nicht aber einen konstruktiven Beitrag zur Bach-Forschung geleistet
hätten. Abgeschlossen wird der Konferenzbericht mit einem Round
Table zu aufführungspraktischen Fragen. Es kommen Musikwissenschaftler
und Musiker zu Wort, die versuchen einen musikalisch überzeugenden,
wissenschaftlich korrekten und praktisch anwendbaren Zugang zu aufführungspraktischen
Fragen – auch im Hinblick auf die Neue Bach-Ausgabe –
zu erörtern. Die dadurch entstehende kontroverse Diskussion
zeigt die unterschiedlichen Ausrichtungen der einzelnen Berufsgruppen
und den Bedarf nach gegenseitiger Zusammenarbeit auf. Der Moderator
Christoph Wolff schließt endlich mit dem Hinweis, dass eine
zeitliche Begrenzung des Symposiums zu diesen Fragen zwar unumgänglich
sei, dass aber eine derartige Diskussion ohnehin nur über Jahrzehnte
sinnvoll geführt werden könne, somit also kein Punkt,
sondern lediglich ein Komma gesetzt werde mit Verweis auf zukünftige
Bach-Konferenzen. In diesem Sinne bietet der Konferenzbericht einen
Überblick über den derzeitigen Stand der Bach-Forschung
mit Schwerpunkt auf Bachs Leipziger Zeit und ist somit ein wichtiger
Teil des Forschungsprozesses, über den zu lesen sehr lohnenswert
ist.