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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 51
53. Jahrgang | März
Dossier:
Bücher & Noten aktuell
Den Ton-Spuren der Großen nachhorchen
Jazzgeschichte im Lichte seines berühmtesten Labels: Richard
Cooks Blue-Note-Biografie
Richard Cook: Blue Note. Die Biographie. Argon, Berlin
2004, 303 S., € 24,80, ISBN 3-87024-599-9
Für
die Geschichte eines Jazzlabels – vielleicht für die
Jazzgeschichte insgesamt – gibt es zwei Lesarten: die chronologische,
die in der Aufeinanderfolge von Strömungen und Personalstilen
über die pure Reihung hinausweisende Tendenzen auszumachen
versucht; und die punktuelle, die in der freien Montage prägnanter
Momentaufnahmen eine übergeordnete Gültigkeit fest- oder
herstellt.
Auch für diese „Biographie“ der berühmtesten
Marke im Jazz gibt es zwei Lesarten. Die chronologische von der
ersten bis zur letzten Seite gerät flüssig, analog zur
Darstellungsweise Richard Cooks, die in elf Kapitel gegliedert den
ökonomischen und stilistischen Werdegang des Labels nacherzählt,
das für sich beanspruchte, „the finest in jazz since
1939“ zu verkörpern. Sie gerät aber auch merkwürdig
unspannend, weil Cook immer aus der Warte des souveränen Sachkenners
heraus schildert, sich aber nie überraschen lässt von
dem, was sich da ereignet hat.
Alles geht seinen scheinbar selbstverständlichen Gang: Alfred
Lions Berliner Erweckungserlebnis von 1925 mit Sam Woodings „Chocolate
Kiddies“; das Carnegie-Hall-Konzert aus dem Gründungsjahr
1939, das Lion bewog, seine erste Aufnahme mit den Boogie-Pianisten
Albert Ammons und Meade Lux Lewis zu produzieren; die Bebop-Ära,
als Blue Note mit den Pianisten Monk und Powell Maßstäbe
setzte; die Zusammenarbeit mit seinem Geschäftspartner, dem
Fotografen Francis Wolff, mit Reid Miles dem Gestalter der legendären
Plattencover oder dem nicht minder legendären Tontechniker
Rudy Van Gelder. Künstlerisch oder ökonomisch fruchtbare
und weniger erfolgreiche Perioden wechseln einander ab, bis Lee
Morgans „Sidewinder“, der größte Blue-Note-Hit
bis dahin, 1963 paradoxerweise den Anfang vom Ende einläutet.
Blue Note wird verkauft, 1967 zieht Lion sich aus dem Geschäft
zurück. Das Label lebt fort, zunächst mit wechselnder
künstlerischer Profilierung, dann in den erfolgreichen Wiederveröffentlichungen
der alten Aufnahmen und zuletzt unter dem Dach der EMI wieder als
Sammelbecken für junge, durchaus eigensinnige Musiker, mit
einer Norah Jones als kommerziellem As im Ärmel.
Und so entsteht der Eindruck, Cook fülle im Grunde nur den
Platz zwischen den Würdigungen der wichtigsten Scheiben mit
ein paar Basisinformationen über die Branche und die jeweils
prägenden Musikerpersönlichkeiten auf. Diese Würdigungen
sind freilich von beeindruckender Autorität. Cook gelingt es,
mit knappen Detailstudien einzelner Nummern das Besondere einer
Aufnahme herauszuarbeiten, untermauert die staunende Faszination
durch handfeste musikalische Argumente und macht neugierig auf weniger
bekannte Produktionen. Die illustren Namen eines Art Blakey, Sonny
Rollins, Horace Silver oder Wayne Shorter ziehen nicht nur vorbei,
um mit allfälligen Verbeugungen bedacht zu werden, die Ton-Spur,
die sie in der Geschichte des Labels und des Jazz hinterlassen haben,
wird vielmehr kommentierend nachgezeichnet, zur Sprache gebracht.
Dennoch bleibt nach dem ersten Lesen eine Spur von Enttäuschung,
entwickelt die chronologische Abfolge nicht den Sog, der Jazzgeschichte
lebendig macht. Aber dies ist wie gesagt nur die eine Lesart des
Buches. Nimmt man es ein zweites Mal, eher ziellos blätternd
zur Hand, so bleibt man immer wieder an prägnanten stilistischen
Abrissen, an kurzen Passagen zu den wechselnden Produktions- und
Vertriebsbedingungen hängen, um festzustellen, dass –
bis auf die mäßig informative Diskografie und das im
Vergleich zur englischen Originalausgabe ärgerlicherweise fehlende
Register – eigentlich alles da ist, was ein solches Buch ausmacht.
Nur eben nicht das gewisse Etwas, das Timing, der „Schwing“,
auf dessen Suche Lion sich stets befand und den er, war er denn
erfolgreich, mit einem kleinen Tänzchen im Studio zu feiern
wusste.