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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 24
53. Jahrgang | März
Hochschule
Eine Art Physikum für Musikstudenten
Matthias Goerne im Gespräch mit der neuen musikzeitung
Matthias Goerne, 1967 in Weimar geboren und mittlerweile einer
von Deutschlands Renommier-Baritonen, hat sich vor mehr als einem
Jahr eine zusätzliche Aufgabe aufgebuckelt. Er nahm eine Stiftungs-Professur
an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf an, Schwerpunkt
Liedinterpretation. Über seine bildungspolitischen Ansichten
und über eine effizientere Gesangsausbildung sprach er mit
Christoph Vratz.
neue musikzeitung: Sie unterrichten in einer Art Blockmodell.
Bleibt da für Grundlagentechnik überhaupt noch Zeit?
Matthias Goerne: Das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich
bin in der Regel für zwei oder drei Tage am Stück an der
Hochschule, dann einige Wochen unterwegs, bevor ich wieder für
mehrere Tage vor Ort bin. Ich würde mir wünschen, mehr
interpretatorisch arbeiten zu können, doch oft bleibe ich an
technischen Fragen hängen.
nmz: Sind die Studenten so mäßig ausgerüstet?
Goerne: Nicht unbedingt. Schon beim ersten Vorsingen habe
ich gemerkt, dass es wie an allen Hochschulen ist: es gibt Begabte,
weniger Begabte, Unbegabte. Nun macht es aber keinen Sinn, dass
sich die jungen Leute in einem zu frühen Entwicklungsstadium
mit Liedern beweisen wollen, wo sich noch nichts beweisen lässt.
Mir ist aber komischerweise aufgefallen, dass unter den Begabten
mehr Frauen sind als Männer. In Ausbildungsfragen indes bin
ich nicht für Demokratie oder Gleichberechtigung, sondern dafür,
die Begabtesten intensiv zu fördern. Die weniger Begabten müssen
mit der verbleibenden Zeit Vorlieb nehmen.
nmz: Es wird ja häufig gejammert, das Gesamtniveau
der Studenten sinke. Können Sie da gegensteuern?
Goerne: Verglichen mit meiner Studienzeit in der DDR ist
die Fachbezogenheit heute weniger ausgeprägt, also das Verständnis
fürs Handwerk. Damals kümmerte man sich nicht so sehr
um alles Mögliche drum herum, sondern klotzte erst einmal rein.
Wenn ein Klempner neu anfängt und sofort eine Heizung installieren
will, würde vielleicht auch eher Wasser statt Gas strömen.
Dahinter verbirgt sich jedoch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Für deutschsprachige Studenten gilt meiner Beobachtung nach,
dass sie mit wenig Arbeit und viel Show möglichst schnell alles
erreichen wollen. Daraus wird aber nichts, weil man nicht daran
vorbei kommt, selbst bei großem Talent gerade am Beginn eines
Studiums sehr viel Zeit zu investieren, auch in vielleicht stupide
scheinende Dinge.
Mozart wartet auf alle
nmz: Nehmen wir dagegen einmal die asiatischen Studenten.
Sie gelten als in ihrer Heimat handwerklich topp ausgebildet, ihnen
mangelt es aber an Ausdrucksfähigkeit.
Goerne: Es scheint diesen Leuten in der Tat leichter zu
fallen, physische und technische Hürden schneller zu überwinden.
Dagegen sind ihnen Kunststandards und westliche Traditionen, die
musikhistorisch begründet sind, eher fremd. In meinen Kursen
mache ich eine gewisse Assimilation zur Bedingung, damit sie überhaupt
eine Botschaft künstlerisch auszudrücken lernen. Sie müssen
natürlich nicht all unsere Gepflogenheiten annehmen, sondern
ein Verständnis für die Kultur entwickeln, die sie dem
Publikum nahe bringen wollen. Das Sprachhandicap, das die meisten
Asiaten haben, kann am Anfang als Argument herhalten, aber nicht
am Ende der Ausbildung. Wie sollen wir zusammen Mozart erarbeiten,
wenn sie nicht den Schlüssel zur Sprache beherrschen? Und Mozart
wartet auf fast alle Sänger, sobald sie die Hochschule verlassen.
Der Rat, den man diesen Studenten geben muss, lautet: Seid nicht
immer unter euresgleichen, mischt euch, geht ins Kino, lest Zeitung,
guckt Fernsehen. Dabei vermittelt sich mehr als nur der Klang einer
Sprache.
nmz: Die Optimierung unterschiedlicher Voraussetzungen –
ist da nicht auch das Hochschulsystem an sich gefordert?
Goerne: Für die Musikhochschulen fehlen bundesweite
Standards. Jeder setzt seine eigenen Richtlinien fest. So musste
ich zum Beispiel hier in Düsseldorf feststellen, dass es Sprecherziehung
nur in der Gruppe gibt. Da kommen fünf Sänger zusammen
zu einem Lehrer. Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll. Sprecherziehung
ist eines der wichtigsten Fächer des gesamten Studiums, denn
eine gut ausgebildete Sprechstimme ist dem Gesang in höchstem
Maße dienlich. Hinzu kommt, dass die Verteilung des Unterrichts
oft nicht stimmt. Besonders am Anfang des Studiums braucht man viel
gezielte Hilfe, am Ende eher weniger. Die Zuweisung der Lehrerkapazitäten
erfolgte jedoch jahrzehntelang umgekehrt.
nmz: Auf der einen Seite gibt es die Diskussion um einheitliche
Standards, auf der anderen Seite wird eine größere Autonomie
für die Hochschulen gefordert. Ein Widerspruch?
Goerne: Ich wäre der erste, der für eine Liberalisierung
der gesamten Bildungssituation in Deutschland eintreten würde.
Es müsste gleichermaßen private Ausbildungsstätten
geben wie auch staatliche. Mann darf die private Seite keinesfalls
vernachlässigen – hinter dieser Feststellung verbirgt
sich übrigens auch ein Auftrag an die Wirtschaft. Es ist letztlich
eine Frage der Balance. Bundesweite Standards sind vor allem auf
rein fachlicher Ebene nötig, ähnlich wie in der Medizin.
Wer das Physikum nicht packt, wird fürs Hauptstudium gar nicht
erst zugelassen, egal in welchem Bundesland. Analog ließe
sich das auch für Sänger einrichten, indem man sagt: Schafft
Kandidat XY die Gehörbildung, die Tonsatzprüfung oder
den Klavierabschluss nicht, kann er nicht weiter studieren. Es müssen
ja nicht überall Einsen oder Zweien sein, aber es muss ein
gewisses Fundament gewährleistet sein, sonst macht der Aufbau
danach keinen Sinn. Egal ob privat oder staatlich: die Eckpfeiler
einer Ausbildung müssten feststehen. Dazu zählen neben
dem Genannten auch Sprecherziehung und eine Form von Bewegungsunterricht.
nmz: Solche Reformen sind aber – wie so oft –
schwer durchzusetzen.
Goerne:Es gibt unter den Rektoren ein großes Bemühen
um Geschlossenheit. Sie würden lieber intensiver kooperieren,
doch stehen ihnen meist die Hochschulgesetze der einzelnen Bundesländer
im Weg. Einfaches Beispiel: Studenten, die von Düsseldorf nach
Leipzig gehen, müssen feststellen, dass ihre Abschlüsse
dort, zumindest teilweise, nicht anerkannt werden. Eine Studentin
aus der Schweiz, dreisprachig aufgewachsen, muss hier noch mal zwei
Jahre Italienisch belegen, nur weil es das Gesetz so vorsieht, obwohl
sie es perfekt beherrscht.
Teurer als ein Medizinstudium
nmz: Dahinter steckt zugleich eine Verplemperung von Geld.
Goerne: Klar. Stellen wir uns vor, wir hätten zehn
solcher Fälle, die Klasse wäre dadurch zu groß.
Der Dozent müsste also eine Doppelstunde halten und die müsste
bezahlt werden. Und das, obwohl die Studenten ihre Fähigkeiten
an anderer Stelle längst nachgewiesen haben. Das ist aberwitzig!
Schlimm ist nur, dass in solchen Fällen einige Staatssekretäre
mit bestehenden Verfügungen oder Gesetzen argumentieren. Sie
haben ja Recht, aber deswegen müssen diese Paragraphen geändert
werden.
nmz: Wegen der vielen Einzelunterrichte ist ein Gesangsstudium
ohnehin nicht gerade kostengünstig…
Goerne: Weit teurer als jedes Medizinstudium. Man müsste
Wege finden, wie sie in anderen Ländern üblich sind, etwa
in den USA. Gemessen an der Dichte der kulturellen Einrichtungen
gibt es dort auffallend viele gute Sänger. Diese kommen von
privaten Instituten, an denen es völlig selbstverständlich
ist, eine saftige Studiengebühr zu zahlen. Hierzulande wird
dann argumentiert, sozial schlechter gestellte Kinder hätten
dann keine Chancen. Aber diese gibt es in Amerika doch auch, vielleicht
sogar häufiger als in Deutschland. Aber dort gibt es eben entsprechende
Foundations, die, zunächst für einen bestimmten Zeitraum,
die Studiengebühr übernehmen. Die Studenten müssen
ihre Eignung unter Beweis stellen und belegen, dass ihre Eltern
das Geld nicht bezahlen können; dann sagt die Universität:
„Wir möchten Sie trotzdem aufnehmen, denn Sie besitzen
Talent. Daher kooperieren wir mit dieser oder jener Foundation.“
Da ist also eine Koppelung zwischen Staat und Wirtschaft, die übrigens
auch zu einer größeren Individualität in der Ausbildung
führt.
nmz: Inwiefern?
Goerne: Es ermöglicht ein ganz anderes Planen von
Unterricht, der Aufbau kann optimiert werden. Schon allein das Modell
meiner Stiftungsprofessur zeigt das. Ich bin zwar staatlich eingebunden,
kann aber autonom handeln, indem ich sage: Hier machen wir mal ein
ganzes Semester Barockmusik. Jeder bringt entsprechende Arien mit,
wir suchen das jeweils Geeignete aus und machen am Ende des Semesters
ein Konzert. Das geht nicht, wenn man dem normalen Studienplan unterliegt.
Generell betrachtet brauchen wir mehr Kultursponsoring. Nur bitte
unter anderen Bedingungen. Bei uns wird ein Geldgeber ja fast bestraft,
denn jede gesponserte Summe muss der Empfänger wiederum mit
fast 50 Prozent versteuern. Da bietet also jemand 100.000 Euro an,
und dem Adressaten bleiben letztlich nur rund 50.000 zur freien
Verfügung. Das leuchtet doch keinem Sponsor ein. Den Global
Playern bleibt wenigstens die Möglichkeit, diese Gelder über
eine Dependance im Ausland laufen zu lassen, wo andere Bestimmungen
herrschen. Aber inländisches Kultursponsoring wird dank dieser
Bestimmungen im Keim erstickt.
nmz: Brauchen unsere Hochschulen auch eine andere Lobby?
Goerne: Naja, sie bräuchten zumindest mehr Repräsentation
nach außen. Wüssten Sie, wie viele Musikhochschulen es
in Deutschland ungefähr gibt?
nmz: Nee.
Goerne: Ich auch nicht. Aber das bestätigt doch, wie
unterrepräsentiert sie in ihrer Außenwirkung sind. Lobby
aber bekommt man vornehmlich mit individueller Leistung. Gemessen
an der Zahl derer, die wir ausbilden, bringen wir zu wenige Spitzenleute
raus. Wie im Sport.
nmz: Sollte auch über neue, ergänzende Fächer
nachgedacht werden, etwa „Hören lernen“ oder „Berufsvorbereitendes
Selbstmanagement“ oder so etwas wie „Dialog Neue Musik“?
Goerne: Das Problem ist wohl, dass die gesamte Lehrerschaft
dahinter stehen müsste. Doch die meisten sind eher verschlossen
und blocken ab: „Die müssen in den ersten zehn Jah-ren
sowieso nur Mozart singen, wa-rum sollen wir sie mit Rihm oder Reimann
behelligen? Das ist sowieso zu schwer.“ Stimmt, zumindest
aus technischer Sicht. Doch aufgrund der vielen heutigen Konzertmöglichkeiten
und Konzertformen wäre ein auf das 20. und 21. Jahrhundert
gerichteter Unterricht schon interessant. Selbstmanagement? Das
ist eher ein Modebegriff. Die dahinter steckenden Probleme lösen
sich relativ rasch, wenn wir eigenständige Persönlichkeiten
heranbilden, Leute, die im Studium herausfinden, wo sie Leistung
bringen können, die nicht auf den Mund gefallen sind und mit
ihren Instinkten umgehen können. Dann klärt sich vieles
im Berufsleben von selbst.