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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 40
53. Jahrgang | März
Internet/Computer
Niemand will die Musiker bestehlen
John Buckmann und sein Online-Label Magnatune
Sex, Drugs and Rock’n’Roll war vorgestern. Computer
ist cool – und tatsächlich gibt es auch schon die ersten
Anzeichen, dass sich die Festplatte in Zukunft als Musikarchiv durchsetzen
wird – anstatt langer Regale voller Platten und exklusiv designten
CD-Türmen im Wohnzimmer. MTS Inc, die Muttergesellschaft von
Tower Records, ging Anfang Februar Bankrott und sucht nach Investitionspartnern.
Schuld an den schlechten Geschäften sollen wieder mal die Tauschbörsen
sein. Und dass, obwohl mittlerweile mehr als eine Handvoll Studien
belegen, dass Kazaa, Gnutella und Co. maximal für einen Bruchteil
der Einnahmeverluste verantwortlich sind.
Seit dem Erfolg des frühen Napster schenken die Medien der
Online-Musik mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit wie Britney Spears.
P2P war der Rockstar der Musikszene, bis die Industrie der Webpiraterie
ein 99-Cent-Angebot nach dem anderen entgegenstellte. Doch die bisherigen
online-Musik-Vertriebe können hinsichtlich Qualität, Kundenfreundlichkeit
und Preis-Leistungs-Verhältnis von niemandem als besonders
gelungen bezeichnet werden.
Revolutionäres Konzept
für Online-Label: John Buckmann. Foto: Magnatune
„Wie kann Online-Musik in den Zeiten von eBay auch einheitlich
99 Cent kosten“, fragt John Buckmann, Geschäftsführer
und Gründer des Musik-Labels Magnatune (www.magnatune.com)
in der US-Zeitung „USA Today“ – und stellt mit
Magnatune ein revolutionäres Gegenmodell vor. Buckmann hat
mit Magnatune, das zwar seit Mai 2003 im Geschäft ist, aber
erst kürzlich mehr und mehr Aufmerksamkeit bekommt, das seiner
Meinung nach erste reine Internet-Musik-Label gegründet. Dabei
findet man auf Magnatune keinen einzigen Künstler, der auch
bei Tower Records, WOM oder Virgin im Regal steht, sondern rund
100 ausgesuchte Bands, Ensembles, Orchester und Solomusiker mit
193 Alben und 2.559 Songs aus den Bereichen Klassik, Jazz und Blues,
Worldmusic, Ambient, Electronica, New Age, Metal und Punk, sowie
Pop und Rock. „Etwa fünf von 200 eingereichten Anfragen
nehme ich auf“, erklärt John Buckmann.
Werden die Künstler von Buckmann akzeptiert, wird ein befristeter
Vertrag abgeschlossen. Buckmann verpflichtet sich, die eingereichten
Musikstücke auf seiner Website in hoher Qualität und dem
vom Künstler gewählten Format zugänglich zu machen
und zu verkaufen, diese zu bewerben sowie für kommerzielle
Zwecke (Messen, Werbung, andere Websites) anzubieten. Der Künstler
erhält jeweils 50 Prozent des Erlöses. Wobei Musik für
kommerzielle Zwecke für 150 bis 5.000 Dollar verkauft wird,
Alben für einen Preis zwischen fünf und 18 Dollar. Der
genaue Preis wird vom Käufer festgelegt.
Interessant ist, dass der bezahlte Durchschnittspreis bei 8,93
Dollar liegt. „Jeder nahm an, dass wir pro Album nur das Minimum
von fünf Dollar erhalten würden“, erinnert sich
Buckmann, der sich immer mehr in dem Erfolgskonzept von Magnatune
bestätigt sieht. Warum? „Niemand will die Musiker selbst
bestehlen. Die Leute sind nur nicht mehr bereit, die Industrie,
die RIAA, das ganze Drumherum zu bezahlen“, erklärt er.
Magnatune arbeitet deshalb auch nicht mit der RIAA (Recording Industry
Association of America) zusammen. Alle Titel sind über Creative
Commons (www.creativecommons. org) als „Attribution-NonCommercial-ShareAlike“
lizenziert. Im Klartext bedeutet dies, dass jedes Album, jedes Werk
auf den Internet-Radiostationen von Magnatune umsonst und vollständig
angehört werden kann, bezahlte und heruntergeladene Musik darf
im nichtkommerziellen Rahmen überall abgespielt werden. Remixe,
Samples und Cover-Versionen sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht.
„Wenn du eine geniale neue Version aus einem unserer Stücke
gemacht hast, dann wollen wir davon wissen, damit wir es gegebenenfalls
promoten können“, schreibt Buckmann auf seiner Website.
Natürlich steht es den Musikern auch frei, sich neben Magnatune
noch nach weiteren Veröffentlichungsmöglichkeiten umzusehen.
Magnatunes Slogan ist „We are not evil”. Buckmann besteht
darauf, das Online-Label nicht zum Eigennutz gegründet zu haben
– abgesehen davon, dass er selbst vom Online-Musik-Angebot
und der Plattenindustrie frustriert war. Auslöser waren letztendlich
die Erfahrungen, die seine Frau machen musste, nachdem sie in einem
Independent-Label unter Vertrag genommen wurde. „Dabei war
das Label nicht eines von den Bösen, sie wollten ihr 70 Prozent
des Erlöses geben, machten aber null Gewinn“, sagt Buckmann.
„Vertriebe wollten die Platte nicht aufnehmen, bevor nicht
Tausende für Werbung ausgegeben wurden, bei jedem Schritt wurde
dem Label ein Strich durch die Rechnung gemacht.“
Genau diese teuren Zwischenstationen will Buckmann mit Magnatune
umgehen. Zwar müssen die Musiker selbst für Aufnahme und
Produktion vorlegen, bekommen jedoch mit Magnatune Unterstützung
im Vertrieb und die Möglichkeit, ihre Musik einem globalen
Publikum auf hoher Qualität zugänglich zu machen. Buckmanns
Argument ist, dass unbekannte Bands ohnehin wenig Geld mit dem eigentlichen
Verkauf der CD machen, sondern durch Konzerte und den Verkauf von
Merchandise verdienen. Durch Vertrieb und Promotion über Magnatune
ist das Risiko eines totalen Flops ausgeschlossen. „Sobald
der Verkauf von Downloads zu höheren Einnahmen führt,
sollte Magnatune für die Künstler mehr abwerfen als eine
traditionelle Plattenfirma“, hofft Buckmann.
Derzeit entschließt sich etwa einer von 50 Besuchern der
Website letztlich zum Kauf. „Ich habe weitaus weniger erwartet“,
zeigt sich Buckmann zufrieden. „Schließlich kannst du
eine Menge gratis anhören.“ Die durchschnittliche Verweildauer
liegt bei 4,5 Stunden. Kein Wunder, die Radiostationen sind werbefrei
und der Hörer kann je nach seiner Genre-Vorliebe oder persönlichen
Stimmung wählen. Buckmann setzt also mit Recht auf Mund-zu-Mund-Propaganda,
tut aber auch seinen Teil, dass die Idee von Magnatune sich im Internet
wie ein Lauffeuer verbreitet. Dazu kommt schlicht: Seine Argumente
sind einleuchtend. „Die meisten Radiostationen sind langweilig,
interessante Musik wird selten bis gar nicht gespielt“, sagt
Buckmann. „CDs sind immer noch teuer, wobei die Musiker selbst
maximal 20 Cents daran verdienen. Nicht viel größer sind
die Einnahmen aus online-Verkäufen. Dazu kommt, dass online-Musik
oft in schlechter Qualität angeboten wird und Gratis- Musik
mit Anzeigen finanziert wird, alles in allem kein angenehmes Hörerlebnis.“
Buckmanns Theorie für die schlechte Hörqualität online
ist: „Sie wollen dir später dasselbe nochmal in besserer
Qualität anbieten, damit du’s wieder kaufst. Der Musikindustrie
ging es in den letzten zehn Jahren außerordentlich gut, denn
sie verkauften den Leuten, die vorher LPs hatten, mit großem
Erfolg dasselbe nochmal auf CD“, erklärte er gegenüber
dem Deutschlandfunk. „Jetzt geht in der Industrie die Angst
um, dass es nach der CD nichts mehr gibt, dass man kein neues Format
mehr so erfolgreich vermarkten kann.“ Vermutlich ist diese
Angst nicht unbegründet. Denn wenn Buckmann Recht behält,
dann wird es die Musikindustrie in der heutigen Form tatsächlich
früher oder später nicht mehr geben.