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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 25
53. Jahrgang | März
Jeunesses Musicales Deutschland
Hundert Kids und Mozarts Zauberflöte
Stadtkomponistin Charlotte Seither öffnet Tür zur Opernwelt
Mit einem Opernprojekt für Kinder verabschiedete sich die
erste Weikersheimer Stadtkomponistin Charlotte Seither von dem –
ihr inzwischen lieb gewordenen – Städtchen im Taubertal.
Wie berichtet durfte sie ein halbes Jahr lang hier wohnen und eigene
Kompositionsprojekte verwirklichen. Gleichzeitig war sie in verschiedene
Aktivitäten der JMD eingebunden. Höhe- und Schlusspunkt
war ein Opernprojekt in der Weikersheimer Stadthalle, über
das Inge Braune berichtet.
Große Oper – Dankeschön? Mag ja sein, dass es
vielen Erwachsenen und den meisten Kindern so geht. Für die
Kids der fünften Klassen des Weikersheimer Gymnasiums ist Oper,
ganz speziell Mozarts „Zauberflöte“, eine super
spannende Sache geworden. Was es mit der Oper auf sich hat, hat
ihnen die erste Stadtkomponistin Deutschlands nahe gebracht –
mit jeder Menge Spaß dabei.
Klappt es oder klappt es nicht? Charlotte Seither und ihr Team
waren sehr gespannt. Den Kids allerdings stellte sich die Frage
gar nicht – schließlich ist jeder Tag ein neues Abenteuer
und statt des Regelunterrichtes mal einen Schultag in der Stadthalle
zu absolvieren, verspricht noch mehr Abenteuer. Dort erwartete sie
eine echte Opernbühne mit schlechthin allem, was dazugehört:
Vorhang und Felslandschaft, Licht- und Tontechnik, Fundus, Maske
und Orchester. Und natürlich ein Thema: Die Zauberflöte.
Das Orchester bestand aus der Bläsergruppe des Gymnasiums
– und allen Schülerinnen und Schülern, die zusätzlich
am Workshop teilnahmen. Im Gegensatz zu den fünften Klassen
hatte die Bläsergruppe vorher schon mit den Musiklehrern geübt,
auch schräge Töne zu produzieren. Start mit Fanfarenklang
und Lied – und einer Stadtkomponistin, die cool erklärt:
„Ihr seid die Akteure, die Schauspieler, die Regisseure, die
Musiker, die Sänger.“ Und die ein Requisit hervorzaubert:
Mozart. Genauer: eine Perücke, wie sie der Wolfgang Amadeus
trug. Warum? Weil er schon als Kind mit dem Papa in der Kutsche
durch halb Europa gondelte. Mozart senior stellte das Wunderkind,
das Klavier spielte und komponierte, den Fürsten und adeligen
Herrschaften vor. Wer mag mal ausprobieren, wie sich das anfühlt,
so eine Perücke?
Es findet sich ein Mutiger – und der wird prompt gefragt,
wie er, der so erfolgreiche Komponist, das eigentlich gemacht hat
mit dem Komponieren. Was für Erwachsene eine echte Herausforderung
wäre, schwupps ein ganz anderer zu werden, ist unter der Perücke
offensichtlich kein Problem. Klein-Amadeus plaudert, dass ihm das
eben einfach eingefallen ist, und dass er es immer wieder ausprobierte
mit dem Komponieren und sich dann anhörte, wie es klang. Amadeus
landet beim Orchester: Da fühlen Komponisten sich am wohlsten.
Und soll von da aus überwachen, ob alles richtig läuft
mit seiner Oper.
Genauso flugs wird ein Tamino auserkoren und in ein edles Wams
aus dem Weikersheimer Theaterfundus eingekleidet. Was einem so im
finsteren Wald begegnen kann? Na klar: ein Monster. Glibberig hätten
die Fünften das Monster gern, grün und riesig groß.
Et voilà, da ist es schon. Entworfen hat es ein vierjähriges
Kind. Nun gut: es nicht nicht richtig glibberig, nicht grün,
aber riesengroß. Gut so. Mit Waldlicht stimmt das schon, finden
die Schüler.
Tamino also findet sich im Wald dem Monster gegenüber. Wie
man sich da fühlt, fragt Charlotte Seither nach. Na, aufgeregt.
Sehr aufgeregt? Sehr aufgeregt. Dafür hat die Oper einen Trick,
berichtet die Komponistin: Wenn es aufregend wird, zeigt das die
Musik schon vorher. Dass einem das Herz bis zum Hals klopft, wenn
man aufgeregt ist, weiß jedes Kind aus eigener Erfahrung.
Wie das dann klingen könnte, probieren neun Kinder mit Begeisterung
an den Trommeln aus. Trommeln und schräge Bläsertöne,
das klingt schon mächtig nach Panik, findet die Komponistin.
Aber wie groß die Angst Taminos wirklich ist, das kann ja
nur Tamino wissen – und der mutiert zum Dirigenten. Das „Publikum“
der fünften Klassen findet die Szene noch zu blass: Panik braucht
Bilder. Sie haben sich im Kunstunterricht vorbereitet und Panikmasken
hergestellt. Grusliger, fordern die Zuschauer. Bis es stimmt mit
der Panik, bis Tamino vor Angst vor dem Monster in Ohnmacht fällt.
Szene gelungen. Wie Mozart das gemacht hat mit der Panik, das hören
sich dann alle gemeinsam an. Etliche Kniffe des Komponisten sind
für die Kinder jetzt verständlich.
Fürs zweite Bild komplette Umbesetzung, und es ist gar nicht
schwierig, einen neuen Mozart zu finden, Tamino auszutauschen, drei
Damen aus dem Reich der Nacht zu küren und sieben Kinder fürs
Nachtorchester, die mit dem Gong, mit zarten Klängen halb gefüllter
Wassergläser und Glockenspiel geheimnisvolle Nachtmusik improvisieren.
Die märchenhaften Erscheinungen benötigen ganz andere
Techniken, finden die Kinder heraus, andere Instrumente, anderes
Licht. „Mozart“ erklärt, wie er es gemacht hat,
und vom echten Mozart folgt die Nachtmusik.
Ob das wohl klappt, die Kids nach der Opernpause, in der nach
Herzenslust getobt wird, wieder in den Workshopbann zu ziehen? Es
klappt – dank Papageno, der gern ein wenig aufschneidet. Dank
Neubesetzung, die jetzt auch eine Flötengruppe braucht –
fürs Papageno-Lied. Kleine Probe, und schon sitzt das. Dicke
Lügengeschichten wird Papageno erzählen – und die
erfinden derweil andere Kinder. Klar: Mozart hat ja auch nicht alles
selbst erfunden…
Die Zauberflöte nachgebaut, samt Königin der Nacht und
ihrer Tochter Pamina, samt Zauberwald, der sich Tamino und Papageno
in den Weg stellt und ihnen das Durchkommen schwer macht, weil er
sich nur durch Zauberflötenklänge friedlich stimmen lässt,
samt Tempel des Sarrastro, der Pamina gefangen hält. Sarrastro
jagt Tamino und Papageno durch gefährliche Mutproben: Sie müssen
durch eine Flammenwand hindurch und auch durchs Meer, bevor es in
Sarrastros Tempel zur versöhnlichen Schlussszene kommt. Es
geht also, eine komplette Oper im Workshop nachzubauen, nachzufühlen,
nachzuhören. Nach rund drei Stunden waren alle auf der Bühne,
etliche mehrfach, haben alle mitgemacht beim Gesamtkunstwerk „Amadeus
spielt auf der Zauberflöte“, haben alle viel gelernt
über Mozart, die Oper und was zusammenkommen muss, bis eine
Aufführung tatsächlich steht. Sie haben sie ja selbst
gemacht. Sie haben Appetit bekommen, mal diese Oper ganz und echt
zu sehen und zu hören. Man ist ja schließlich Spezialist
geworden in Sachen Klang und Licht und Requisite. Ob das nicht einzurichten
ist? Stdtkomponistin Seither hält die Daumen – und hat
sich ausbedungen, wenns in die Oper geht, dabei zu sein.