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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 12
53. Jahrgang | März
Kulturpolitik
Künstlerischer Auftrag und wirtschaftliche Realitäten
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Deutschen
Komponistenverbandes · Von Karl Heinz Wahren
Die Neugründung des Deutschen Komponistenverbandes im Jahr
1954 sollte vor allem ein symbolisches Zeichen sein für die
grundsätzliche Erneuerung dieser berufsständischen Organisation
nach den politischen und kriegerischen Katastrophen in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts. Denn schon lange vorher, noch
im wilhelminischen Kaiserreich, wurde im Herbst 1898 in Leipzig
die erste Vereinigung deutscher Komponisten ins Leben gerufen. Zuvor
hatte Richard Strauss in einem Rundschreiben und im Namen berühmter
Kollegen wie Eugen d’Albert, Engelbert Humperdink, Max von
Schillings, Gustav Mahler, Friedrich Rösch und Hans Sommer
zur Gründung einer komponisteneigenen – verlegerfreien
– Interessenvertretung aufgerufen: „Zweck und Aufgabe
dieses Autorenverbandes wäre einzig und alleine eine wirksame
genossenschaftliche Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte
und der damit verknüpften Standesinteressen.“ So konstituierte
sich der älteste Vorläufer unseres heutigen Verbandes,
die „Genossenschaft Deutscher Componisten“. Aber bereits
1903 wurde dieser Name auf Wunsch von Richard Strauss – „...von
dem banausischen und nichts sagenden Fremdwort ‚Componist’
endgültig Abstand nehmen...“ – in „Genossenschaft
Deutscher Tonsetzer“ (GDT) umgewandelt.
Als sich nach der völligen Niederlage Deutschlands 1945 aus
den Trümmern wieder zaghaft ein neues Kulturleben zu regen
begann, gründeten sich auch wieder verschiedene Komponistenverbände
in München, in Berlin und schließlich getrennt in west-
und ostdeutsche Organisationen.
Diese in der Folge kompliziert verschlungenen Pfade dieser berufsständischen
Organisationen aufzuzeichnen mag der Musikgeschichtswissenschaft
vorbehalten bleiben. Als Jubiläum interessiert nur das Jahr
1954, als nämlich der heutige Gesamt-„Deutsche Komponistenverband“
seine Gründungsversammlung abhielt.
Zwar blieb die von Richard Strauss vorgegebene Zielsetzung, die
gemeinsame Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte als Hauptaufgabe,
wurde aber erweitert und den heutigen Gegebenheiten angepasst. So
kann jedes Mitglied bei dem Verbandsjustiziar Wilhelm Nordemann
eine kostenlose Erstberatung in Fragen des Urheber- und Verlagsrechts
einholen; jedem Mitglied sind Musterverträge aus den Bereichen
U- und E-Musik zugänglich; in persönlichen Notfällen
sind durch die verbandseigenen Stiftungen begrenzte finanzielle
Unterstützung möglich; die Informationen des DKV enthalten
nicht nur Hinweise auf Kompositionswettbewerbe, sie berichten außerdem
für Komponisten Wissenswertes aus dem Musikleben wie zum Beispiel
über Uraufführungen der Mitglieder; auf der Homepage des
DKV wird jedes Mitglied mit detaillierten Informationen zur Person
(Foto) und seinem Werk auf einer standardisierten Seite vorgestellt;
es würde den hier vorgegebenen Rahmen sprengen, alle Aktivitäten
des Verbands, der einzelnen Arbeitsgruppen und so weiter aufzuzählen.
So wie im Verlaufe des 20. Jahrhunderts durch die Weiterentwicklung
unserer Wissenschaft und Technik immer neue Berufe entstanden, andere
wieder fast lautlos verschwanden, so veränderten sich nicht
nur das Berufsbild des Komponisten, sondern auch die Ergebnisse
seiner Arbeiten. Der romantische Geniekult vergangener Epochen verwandelte
sich zum Teil in ökonomischen Pragmatismus, gemäß
unserer computerisierten Gegenwart mit ihrer oft unkünstlerischen,
aber marktschreierisch, alles beherrschenden Medienwelt.
Trotzdem sucht jede Generation ihr eigenes musikalisches Daseinsmuster.
In der E-Musik drückt sich diese Suche nach der verlorenen
Schönheit, nach einer dämonisch-erotischen Vitalität
oder vielleicht einem distanziert, coolen Hörerlebnis in musikalisch-ästhetisch
neuen, oft interessanten Klangphänomenen aus, bleibt aber doch
noch häufiger in schlichten romantischen Rückblenden hängen
oder verirrt sich gar in eklektizistischen, auch elektronischen
Stilübungen, ohne durch eigene Originalität zu fesseln.
Wozu auch, die Mehrzahl der Hörer liebt ohnehin den historischen
Mainstream.
In der U-Musik schreitet die Aufsplitterung, man kann schon von
Diversifizierung sprechen, unaufhaltsam voran. Ethnologische wie
folkloristische Elemente überlagern sich in eleganten elektronisch-technischen
Aufbereitungen, der Kenner verliert die Übersicht, den Käufer
verwirrt die sich ständig ändernde kaleidoskopartige Vielfalt,
die Musikindustrie klagt über Umsatzeinbrüche. Allerdings
ohne zu erkennen, dass die Probleme im offensichtlichen Mangel ihres
musikästhetischen Gespürs liegen, diagnostizieren sie
als alleinige Ursache ihrer zehrenden Schwindsucht ausschließlich
die Internettauschbörsen und den privaten CD-Brenner.
Der Jazz als exotisch-vitales Gewächs zwischen den Polen U-
und E-Musik nimmt Anleihen von beiden Seiten und bleibt so immer
wieder interessant, nicht nur wegen seines irrealen Metrums. Die
Unmittelbarkeit der solistischen Improvisationen, die sprühenden,
variablen Rhythmen und in größeren Formationen die harmonisch
wie stilistisch oft interessanten Instrumentierungen faszinieren
jede Generation erneut. Freilich bleibt die ernsthaft interessierte
Zielgruppe so überschaubar wie bei der Neuen Musik. Dabei verändern
sich auch hier die Hörerzahlen ständig. Sie sind so wenig
wie in den anderen genannten Musikbereichen genau zu verifizieren,
im Gegensatz zum Politbarometer oder den Publikumsquoten im Fernsehen.
Jedes künstlerische Schaffen ist ein Versuch, sich von der
Realität zu distanzieren, um sich der eigenen Realität
auf schöpferischem Wege zu nähern. Wird die musikalische
Chiffrierung dabei jedoch zu weit getrieben, verliert sogar der
willige, nicht konservative Hörer den Zugang zum Werk. Dadurch
und noch mehr durch die Forderung unserer sinnentleerten Spaßgesellschaft
nach permanenter Unterhaltung auf verständlichster Ebene verblasst
der Strahlenglanz unseres Berufes, auch wird sein Ethos brüchig,
so wie die moralischen Grundlagen unserer postindustriellen Gesellschaft.
Der inzwischen gefestigte Glaube an die Leichtigkeit des Seins treibt
wie zur eigenen Rechtfertigung die Boulevardisierung unserer Kultur
weiter voran. Die interessanten Beiträge im anspruchsvollen
deutschen Feuilleton sind auf Film und Literatur konzentriert. Über
Popmusik wird nur unterhaltend berichtet. Mit dem allgemeinen Trend
zum musikalischen Analphabetentum hat man sich offensichtlich abgefunden
– von Ausnahmen abgesehen.
Sollte sich in unserem Verband der immer wieder beschworene kollegiale
Konsens den äußeren gesellschaftlichen Zuständen
folgend in einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf innerhalb der verschiedenen
musikalischen Gattungen auflösen, werden wir nicht nur uns
selbst schaden, sondern auch das öffentliche Ansehen unseres
Berufes herabwürdigen. Den Widerspruch zwischen künstlerischem
Auftrag und wirtschaftlichen Realitäten erträglich zu
lösen, sich in der Gemeinschaft mit ähnlich Gesinnten
abzustimmen, bleibt neben dem Schutz der urheberrechtlichen Ansprüche
ein wesentliches Anliegen der Mitglieder an unseren Verband. All
dem gerecht zu werden, bei der zunehmenden Aufsplitterung in immer
neue, verschiedenartige musikalische Gattungen, deren wirtschaftliche
Interessen gelegentlich fast diametral zueinander stehen, ist die
schwierigste Aufgabe für den Deutschen Komponistenverband in
den kommenden Jahren. Sie gemeinsam zu lösen, muss unser aller
Interesse sein, denn von außen ist keine Hilfe zu erwarten.
Darum sind der kollegiale Zusammenhalt ebenso wie die Arbeitsaufteilung
in die verschiedenen musikalischen Sektoren die wichtigsten Aufgaben,
denen wir uns unmittelbar und in der Zukunft stellen müssen.
Kollegialer Zusammenhalt ist auch deshalb so wichtig, weil unserem
Berufsstand neue Gefahren von außen drohen, wie das aktuelle
Beispiel mit der Deutschen Landesgruppe IFPI (International Federation
of Phonographic Industry) zeigt. Diese senkte den Urheber-Lizenzsatz
für Tonträger ab 1. Januar 2004 von 9,009 Prozent des
Herstellerabgabepreises auf 5,6 Prozent – ohne Vertragsabsprache
mit der die Urheber vertretenden GEMA. Den Komponisten werden plötzlich
und willkürlich 40 Prozent ihres bisherigen Einkommens vorenthalten.
Solchen Vorgängen ist der einzelne Urheber schutzlos ausgeliefert,
zumal die Erfahrungen uns lehren, dass sich Gerichtsverfahren über
Jahre hinziehen können. Hier muss der Deutsche Komponistenverband
Stärke beweisen und darf dabei grundsätzlich nicht trennen
zwischen Komponisten, Popspezialisten oder Composers, er soll vielmehr
die Interessen aller Musikautoren jeden Genres wahrnehmen und diese
gegenüber einer kleinmütigen Kulturpolitik oder der nur
monetaristisch handelnden Industrie entschlossen und redlich vertreten.
Der Autor ist Präsident des Deutschen Komponistenverbandes