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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 48
53. Jahrgang | März
Kulturpolitik
Ex-Event-Stadt
Weimar fünf Jahre danach
Heute vor fünf Jahren wurde die Europäische Kulturstadt
1999 offiziell „geweiht“, eröffnet. Das war, wir
erinnern uns, Weimar. Die Stadt hatte den Zuschlag unter anderem
erhalten, weil in jenem Jahr der 250. Geburtstag Goethes gefeiert
wurde. Sechs Millionen Touristen zog es nach Weimar, und alles in
allem war Weimar mit einem vielgestaltigen Programm, mit PR-trächtigen
Pannen, mit Trubel, Jubel, Events, Konzerten, Ausstelllungen, Museen,
Kultur und Kneipen ein herzlicher und weltoffener Gastgeber. Geblieben
ist eine runderneuerte kulturelle Infrastruktur, um die wohl jede
deutsche Stadt vergleichbarer Größe Weimar beneiden würde.
Hinter den leuchtenden Fassaden aber gähnt die Hoffnungslosigkeit
einer Stadt, die den Kredit von 1999 nicht zu nutzen verstand.
Ereignisselig, veranstaltungssatt, höhepunktbeschwipst und
von einigen Skandalen aufgekratzt waren die Weimarer und Millionen
ihrer Gäste 1999 aus dem Kulturstadtjahr getaumelt. Weimar,
diese kleine Stadt, sie strahlte. Dass wirklich Schluss mit lustig
und den Events war, das wollte am Ende des Jubeljahres niemand so
recht wahrhaben. Der Sturz aus dem Himmel einer üppigen Alimentierung
auf den Boden leerer Kassen war umso härter. Plötzlich
floß das Leben der europäischen Kulturmetropole auf Zeit
wieder so träge dahin wie in jeder kleinen mitteldeutschen
Stadt.
Nach dem Kulturstadt-Abgesang setzten sich deren Protagonisten
ab. Bernd Kauffmann, der Kulturstadtmanager und Präsident der
Stiftung Weimarer Klassik, stets ein belebender Ruhestörer,
meinte sich an der kleinstädtischen Engstirnigkeit genug abgearbeitet
zu haben. Kulturstadtdirektor Lutz Vogel zog es nach Dresden, wo
er nun den Mut haben muss, den er in Weimar nicht zeigen wollte.
Der Exodus machte schlagartig deutlich: Die Weimarer Aufbruchstimmung
war der Kraft einer kleinen Zahl von Aktiven entsprungen. Seit dem
Ende der Kulturstadt scheinen die Uhren nicht bloß stillzustehen,
es hat den Anschein, sie laufen rückwärts. Was die gewesene
Kulturstadt mit ihren Traditionen heute oder in zehn Jahren bezwecken
will, das steht auf dem unbeschriebensten aller Blätter, über
das sich in der Stadt der toten Dichter je ein lebendiger Kopf gebeugt
hat. Das Stadtmuseum, 1999 aufwändig restauriert und von Grund
auf neu inszeniert, ist geschlossen. Andere Museen beschränkten
ihre Öffnungszeiten. Der Mäzen Paul Maenz denkt darüber
nach, seine Sammlung zeitgenössischer Kunst aus Weimar zurückzuziehen.
1999 sollte sie den Grundstock für ein Museum moderner Kunst
bilden. Man baut für viel Geld eine moderne Forschungsbibliothek,
während das berühmte Goethe- und Schiller-Archiv öffentlich
um Geld zur Restaurierung seiner Handschriften bettelt. Die „Stiftung
Weimarer Klassik und Kunstsammlungen“ agiert inzwischen auf
der Hintertreppe. Der Stillstand der zweitgrößten Kulturstiftung
Deutschlands steht stellvertretend für Weimars kulturelles
Klima fünf Jahre nach der Eröffnung der Kulturstadt. Weimar
war ein Event, eine dekorative Geschäftsauslage im Schaufenster
der Deutschland AG. Seitdem bleiben die Stadt, ihr Erbe und ihr
zwiespältiger Geist sich selbst überlassen. Was für
ein symbolisches Kapital liegt da brach! Und wie symbolisch ist
die Art, in der es nicht mehr zur Kenntnis genommen wird.
Es sollte – das hat Hellmut Seemann durchaus treffend benannt
– jenseits von PISA-Studien und Elite-Uni-Fantastereien mindestens
ebenso zukunftsträchtig bewertet werden wie das Gedankengut
des gerade allseits gefeierten Immanuel Kant. Aber hat der Kanzler,
als er vor ein paar Wochen just im Weimarer Hotel „Elefant“
die neue Liebe der Sozis zum Elitären verkündete, hat
der Kanzler die 200 Meter bis zum Frauenplan in Goethes Haus geschafft?
Nein. Fünf Jahre nach der feierlichen Erhebung Weimars zur
Europäischen Kulturstadt beschreiben die fehlenden Mittel und
Visionen eine sich ausbreitende Fehlstelle im geistigen Etat der
Nation. Weimar und seine Traditionen beginnen überflüssig
zu werden, das Erbe – lästiges Gepäck.
Die Kulturstadt 1999 steht zum Verkauf, wie jüngst bei e-bay
die gesamte Bundesregierung. Ein Euro für Weimar, wer bietet
mehr? – für ein pflegeaufwändiges Auslaufmodell
einer ehemaligen deutschen Nobelmarke.