[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 1
53. Jahrgang | März
Leitartikel
Beispielhaft
Zur Abwechslung an dieser Stelle einmal kein Klagegesang über
den Untergang des Abendlandes, kein Protestsong wider den Ausverkauf
unserer Musikkultur. keine Schmährede an die Adresse der Kulturpolitik.
Stattdessen etwas Positives, wie es gern, speziell von Politikern,
gefordert wird. In Stuttgart sind die Tage der Neuen Musik, die
sich den griffigen Titel „Éclat“ zugelegt haben,
vom alten Theaterhaus im Stadtteil Wangen in das neue Theaterhaus
auf dem Pragsattel umgezogen. Für rund 22 Millionen Euro, aufgebracht
von Stadt Stuttgart und Land Baden-Württemberg, verwandelte
sich ein ehemaliger Fabrikkomplex in ein modernes Kulturzentrum,
in eine zünftige, dem aktuellen Kulturverständnis angemessene
Kultur-Fabrik.
Die Institution „Musik der Jahrhunderte“, die dem
Stuttgarter Musikleben immer wieder bemerkenswerte Impulse verleiht,
hat auf dem Pragsattel eine feste Heimstatt für ihre Arbeit
gefunden, nicht nur die nötigen Büroräume, sondern,
und das ist wirklich faszinierend, eine regelrechte Flucht von Konzert-und
Proberäumen, wozu auch ein geräumiges Foyer zählt,
das zusätzliche Auftrittsmöglichkeiten bietet. Vier Konzertsäle
in verschiedenen Größen und die Probenräume gestatten
dem „Éclat“-Festival eine großzügige,
vielgestaltige Programmplanung. Das diesjährige erste Festival
im neuen Haus demonstrierte das überzeugend ( Bericht auf Seite
33). Lebendig und interessant ging es zwar auch schon im charmanten
Provisorium im alten Theaterhaus zu, doch jetzt bewegt sich das
Festival doch in einer anderen Dimension, strahlt nicht zuletzt
durch seine zentrale Lage weit in Stadt und Region, auch überregional
aus, was schon beim Auftakt unschwer am Publikum zu erkennen war.
Dass im neuen Theaterhaus auch andere Stuttgarter Kulturinitiativen
eine Arbeitsstätte gefunden haben, sei nicht nur am Rande vermerkt.
Beim diesjährigen Festival wurde auch wieder der Kompositionspreis
der Landeshauptstadt Stuttgart übereicht: Arnulf Herrmann und
Gianluca Ulivelli nahmen die Auszeichnung aus der Hand des Stuttgarter
Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster entgegen – auch
dieser setzte mit seinem Engagement für die Neue Musik ein
nachahmenswertes Zeichen: Kultur sollte überall zur, zumindest
geheimen, Chefsache erhoben werden. Schuster erinnerte daran, dass
der Beschluss, einen Stuttgarter Kompositionspreis zu stiften, immerhin
schon 1949 gefasst wurde (vergeben wird der Preis dann seit 1955).
Was waren das noch für Stadtväter: Gerade war die „Welt“
(fast) untergegangen, die Stadt lag in Trümmern, die existentielle
und soziale Not war unvorstellbar – da pflanzten Stuttgarts
Ratsherren ein hoffnungsvolles „Bäumchen“ in die
„Wüste“ und nannten es „Neue Musik“.
An dieses Beispiel sollte man gerade heute wieder erinnern.