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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 41
53. Jahrgang | März
Musikvermittlung
Ein junges Publikum in der Faktorenananalyse
Empirische Studie über ein Familienkonzertmodell in Kooperation
mit Grundschulen · Von Ulrike Schwanse
Die Frage, wie man auch jüngere Menschen zu regelmäßigen
Konzertbesuchen motivieren kann, wird heute vielerorts intensiv
diskutiert. Ulrike Schwanse untersuchte in ihrer an der Universität-GH
Paderborn angenommenen Dissertation Familienkonzerte, die auf einer
Kooperation des Konzertveranstalters mit Grundschulen basieren.
„Familienkonzerte in Kooperation mit Grundschulen –
ein Konzept und seine Wirkungen”
In dieser empirischen Studie wurde ein Familienkonzertmodell in
Kooperation mit Grundschulen untersucht. Derartige Organisationsmodelle
existieren in einigen Regionen Deutschlands bereits seit vielen
Jahren, beispielsweise in Detmold und Velbert. Eine Übertragbarkeit
auf andere Städte – im vorliegenden Fall war es beispielhaft
die Stadt Essen – erwies sich als durchaus realisierbar.
Folgende Fragestellungen standen im Mittelpunkt:
Wie ist das Publikum bei Familienkonzerten in Kooperation mit
Grundschulen zusammengesetzt?
Welche Einflüsse sind dafür ausschlaggebend, ob Familien
ins Konzert kommen oder nicht?
Welche Wirkungen hat das Erlebnis eines Live-Konzerts, und
worauf beruhen diese?
Welche Funktion haben Familienkonzerte in Kooperation mit Grundschulen?
Inhaltliche Abstimmung von
Konzertinszenierung und Musikunterricht
Ein wesentliches Element des untersuchten Familienkonzertmodells
war die inhaltliche Abstimmung von Konzertinszenierung und Musikunterricht.
Eine vorangestellte Lehrerfortbildung diente der Information und
Motivation der Grundschullehrer/-innen sowie der Besprechung eigens
entwickelter Unterrichtsmaterialien. Grundlegende Voraussetzung
für eine solche Herangehensweise war die Kooperation zwischen
Schulamt und Konzertveranstalter. Die zum Großteil den Musikunterricht
fachfremd erteilenden Lehrer wurden so in die Lage versetzt, ihre
Schüler gezielt auf das Konzert vorzubereiten. Die Abstimmung
von Inszenierung und Unterricht erfolgte auch mit dem Ziel, Unterrichtsergebnisse
in das Konzert einzubeziehen. Dazu gehörten Bewegungschoreographien,
Bilder, aber auch Lieder zu Melodien, die von den Kindern im Konzert
wieder erkannt werden konnten. Für das untersuchte Familienkonzertmodell
wurde unter anderem die Suite „Max und Moritz“ op. 127
von J. Koetsier ausgewählt. Im Durchschnitt verwandten die
Grundschullehrer/-innen fächerübergreifend zehn Unterrichtsstunden
für die Konzertvorbereitung.
Untersuchungsmethoden
Die Untersuchung gliederte sich in eine Vor- und eine Hauptuntersuchung
und bezog qualitative (Interviews, Briefe, Gruppendiskussionen)
und quantitative (Fragebögen) Methoden ein. Es wurden Eltern,
Lehrer, Schüler, aber auch Nicht-Konzertbesucher befragt.
Ergebnisse
Bereits der Kartenvorverkauf bestätigte, dass eine derartige
Kooperation zu ausverkauften Konzertveranstaltungen führen
kann. Die Grundschullehrer/-innen erwiesen sich als die wichtigsten
Werbeträger. Das untersuchte Familienkonzert stellte für
viele Eltern ein Schlüsselerlebnis dar. Die Hälfte der
Familien war zum ersten Mal gemeinsam mit ihren Kindern im Konzert.
Für ein Viertel der Eltern war dies überhaupt der erste
Konzertbesuch in ihrem Leben! Das Familienkonzertpublikum bestand
zu 50 Prozent aus Erwachsenen, zu 50 Prozent aus Kindern. Die Eltern
waren im Durchschnitt 39 Jahre alt. Die Hälfte aller Eltern,
die das Konzert besuchten, hatte keinen höheren Schulabschluss.
Der Besuch des Familienkonzerts in Kooperation mit Grundschulen
hing entscheidend vom Vorschlag des Lehrers ab. Weder Eltern noch
Kinder gingen in erster Linie ins Konzert, um klassische Musik zu
hören. Das Fernbleiben vom freiwilligen Konzert wurde von den
Nicht-Konzertbesuchern weitestgehend mit anderen Freizeitinteressen
begründet.
Der geringere Stellenwert von Familienkonzertbesuchen innerhalb
der Familienfreizeit verstärkt die wichtige Multiplikatorenfunktion
der Grundschullehrer/-innen. Selbst Eltern, die das Konzert besucht
hatten, bevorzugten generell andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.
Hinsichtlich der Wirkung des Familienkonzerts interessierten drei
Fragen:
Warum hat das Familienkonzert gefallen?
Bewirkt ein Live-Konzert-Erlebnis Präferenzänderungen
bei den Schülern?
Löst das Live-Konzert-Erlebnis den Wunsch nach weiteren
Konzertbesuchen aus?
Das Familienkonzert hat aus folgenden Gründen gefallen:
Lehrerfortbildung
Vorbereitung der Kinder auf das Konzert in der Schule
Verbindung von Musik mit einer Geschichte
Einbeziehung des Publikums während des Konzerts
Konzertmoderation
Instrumentenvorstellung
Konzertraumausgestaltung mit Kinderbildern
Zeigen von Kinderbildern während des Konzerts.
Die Wirkung des Familienkonzerts hing entscheidend von didaktischen
und methodischen Aspekten ab, die sich nur in Kooperation mit Grundschulen
realisieren ließen.
Die Untersuchungsergebnisse einer zusätzlichen Experimentalstudie
(Befragung der Schüler vor und nach dem Live-Konzert-Erlebnis)
zeigten, dass Musikpräferenzen (kurzfristige Vorlieben) bei
den Kindern durch einen einmaligen Familienkonzertbesuch nicht beeinflusst
werden konnten.
Auch die Wünsche der Schüler für die gemeinsame
Freizeitgestaltung ließen sich nicht signifikant beeinflussen.
Das unterstreicht die Notwendigkeit eines regelmäßigen
und kontinuierlichen Angebotes von derartigen Familienkonzerten.
Allerdings beeinflusste das Erlebnis eines Live-Konzerts bei den
Schülern das Gefallen an den vorgestellten Instrumenten signifikant
und initiierte den Wunsch, diese Instrumente erlernen zu wollen.
Das Familienkonzert löste den Wunsch nach weiteren Familienkonzertbesuchen
aus. Familienkonzerte wären in der Lage, ein neues Publikum
zu binden. Dies scheint jedoch nur durch kontinuierliche Information
und Motivation seitens der Lehrer möglich. Deren Bereitschaft
zur aktiven Mitarbeit ist das wichtigste Potential für die
dauerhafte Bindung eines neuen Familienkonzertpublikums.
Das Verfahren der Faktorenanalyse ermöglichte das Auffinden
von übergeordneten Dimensionen, die als Funktionen von Familienkonzerten
definiert werden konnten. Eltern erwarten keineswegs nur Spaß
und Unterhaltung. Ein exzellentes Spiel der Musiker oder die Musikauswahl
stehen ebenso wenig an erster Stelle. Was unsere heutige Elterngeneration
von Familienkonzerten vor allem erwartet, ist musikalische und kulturelle
Bildung für ihre Kinder und für sich selbst. Der eigentlichen
empirischen Untersuchung wird in der Dissertation ein Überblick
zur aktuellen Konzert-, Familien-, Freizeit- und Schulmusiksituation
in Deutschland vorangestellt. Es folgen die Darstellung der Geschichte
des Familienkonzerts, der Grundlagen der musikalischen Wahrnehmungsfähigkeit,
eine Zusammenfassung themenrelevanter Erkenntnisse der Musikpräferenzforschung
sowie eine umfassende Literaturauswertung. Neben diesem grundlegenden
Einblick zum Thema Familienkonzert ermöglichen die ergänzenden
Unterrichtsmaterialien eine unmittelbare praktische Umsetzung.