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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 16
53. Jahrgang | März
Portrait
Kein Platz in den üblichen Schubladen
Der Pianist Ralf Schmid kultiviert die musikalische Grenzüberschreitung
Nun gibt es sie also endgültig nicht mehr, die Grenzen musikalischer
Genres, die es einem früher leicht machten, sich hier und dort
heimisch zu fühlen. Die Böden der Schubladen sind morsch
und brüchig geworden. Der Platz in ihnen scheint manchem ohnedies
schon die längste Zeit zu eng: keine Opern-Puristen mehr, keine
introvertierten Kammermusik-Freaks, keine Darmsaiten-Puristen. Und
der klassische Jazzfan zählt sowieso zu den aussterbenden Rassen.
Angebahnt hat es sich ja schon lange. Doch weshalb gerade nun die
Zäsur?
Der 1969 geborene Pianist Ralf Schmid ist dafür verantwortlich:
Jazzpianist und -komponist, Bigband-Arrangeur, künstlerischer
Leiter eines von ihm gegründeten Pop-Labels mit Büros
in New York und München. Jetzt auch noch das: Vor kurzem wurde
sein erstes Ballett „Tribal Dances“ in Frankfurt uraufgeführt.
Will seine Zuhörer
berühren und überraschen: Ralf Schmid. Foto: Archiv
So vielseitig seine Begabungen, so märchenhaft scheint sein
Werdegang: Als junger Mann wagt Ralf Schmid den Sprung von Stuttgart
in den Jazz-Moloch New York, um seine Fähigkeiten als Arrangeur
und Pianist an der anerkannten New School University zur Diskussion
zu stellen. Da ist er gerade 28, hat das Studium der Schulmusik
absolviert und erhält nun seinen ersten regulären Jazz-Unterricht.
Doch nach einem Jahr bricht er ihn ab, weil das Unterrichtswesen
letzten Endes funktioniere wie ein Kindergarten. Im Gegenzug bestellt
Herbie Hancock einige Arrangements bei ihm – scheinbar der
Beginn einer klassischen Auswandererkarriere. Aber dann: zwei Jahre
nach dem Beginn des Abenteuers hält es ihn nicht mehr im Big
Apple. Er geht zurück nach Deutschland. Alle Träume zerplatzt
wie die sprichwörtliche Seifenblase?
Befragt man Ralf Schmid heute zu seiner aufregenden Zeit in Übersee,
ist viel zu erfahren von dem, was den heute 34-Jährigen im
Innersten bewegt – privat wie beruflich: „Der freie
Markt in den USA ist eine knüppelharte Sache. Ich arbeite gern
und viel, aber die Familie in New York über Wasser zu halten,
ist ein 24-Stunden-Job. In Deutschland kann man auch nicht bequem
sein, aber hier kann ich eine Stunde im Garten sitzen, das Wochenende
mal frei nehmen. In Amerika eine Unmöglichkeit, weil die Gagen
niedriger sind. Die Leute, die es dort wirklich schaffen, sehen
mit 40 oft aus wie 55.“ Dennoch: Wenn man seine momentanen
Aktivitäten Revue passieren lässt, ist kaum nachvollziehbar,
dass Schmids Tag auch nur 24 Stunden hat: Pianist im Trio Flügelschlag
und dem Trio Schmid/Hübner/Krill, das für sein erstes
Album „Time Makes the Tune“ gleich den ersten Preis
beim Hennessy Jazz Search einheimste; Komponist und Arrangeur mit
Schwerpunkt Big Band, der 2001 mit dem Jazzpreis Baden-Württemberg
ausgezeichnet wurde; Mitbegründer des Plattenlabels Obliqsound,
das die jazzorientierte Grenzüberschreitung kultiviert.
Dass Ralf Schmid ein Wandler zwischen Welten ist, zeigt sich genauso
an seinen Vorbildern: Chick Corea, Miles Davis, Leonard Berstein
und Gustav Mahler. Eine verwaschene Auswahl vom Grabbeltisch der
Postmoderne? Dazu Schmid selbst: „Entscheidend ist für
mich, dass ich von Musik berührt werde – emotionell und
intellektuell. Wenn beide Seiten ausgewogen sind, dann erlebe ich
die magischen Momente, bekomme im Konzert Gänsehaut. Obwohl
ich mich als Jazz-Musiker begreife, ist das die einzige Maxime,
die für mich und meine Musik gilt. Wenn ich ein Stück
schreibe, dann soll es mich und Zuhörer berühren und überraschen.
Unsere Generation hat das Problem, dass alles schon gespielt wurde.
Den Hörer einfach nur vor den Kopf stoßen, ist ja auch
nicht mehr neu. Es ist nicht politisch korrekt, doch mir geht es
um das ganz einfache – berührt werden.“
Selbst wenn das eine Maxime sein dürfte, die viele anspricht
– es muss einiges an Mut gekostet haben, ein neues Label zu
gründen – in Zeiten, in denen die Plattenindustrie praktisch
danieder liegt. Doch Mut hatte Ralf Schmid schon immer: Bereits
die Entscheidung für den Beruf des Jazz-Musikers erfordert
ebenso Courage wie primär für Big Bands zu schreiben,
die in Deutschland immer seltener werden. Und ein weiteres unter
hunderten von Trios zu gründen, grenzt geradezu an Frechheit.
Aber den Sprung zurück aus dem Jazz-Moloch hat Ralf Schmid
ja auch blendend gemeistert.
Oliver Wazola
Diskografie
Trio Schmid/Hübner/Krill: Time Makes the Tune; Veit Hübner
(Bass), Torsten Krill (Drums)
MR 874 825 (1998)
Nachtfarben (Suite für Jazzensemble); Valerie Trout (Vocals),
Ernst Rejseger (Cello), Veit Hübner (Bass), Torsten Krill
(Drums), Hakim Ludin (Percussion)
Acoustic Music 319.1304.242 (2001)
Trio Flügelschlag: same; Gert Wilden, Andy Lutter (Piano)
Obliqsound 501 (1999)