Die Oper Frankfurt erinnerte an frühe Opern von Dallapiccola:
„Volo di notte“ und „Il Prigioniero“
Gabriele d’Annunzios dröhnender, technikbesessener
Poeten-Aktionismus markierte die Anfänge des italienischen
Faschismus, Luigi Dallapiccolas Oper „Volo di notte“
(„Nachtflug“, uraufgeführt 1940 in Florenz) dessen
Endphase. Nur verhalten noch und wie contre cœur werden hier
männliche Tugenden gefeiert. Das Abenteuer des Nachtflugs wirkt
als existenzielle Metapher zudem doppeldeutig: Sphäre des von
physikalischen und moralischen Gravitationen befreiten heldischen
Menschen und zugleich Chiffre für Hybris, Scheitern, Tod.
Nachtflug-Landschaft: das
Bühnenbild zu „Volo di notte“ an der Frankfurter
Oper. Foto: Charlotte Oswald
Der italienische Komponist schrieb sein Libretto nach einem Roman
von Antoine de Saint-Exupéry, dem passionierten Flieger,
dessen Œuvre nach 1945 dem Erbe des Humanismus zugeschlagen
wurde. Gleiches bedeutete auch der internationale Erfolg des Dallapiccola-Werkes.
Unmissverständlich erwies sich die geistige Verortung des Komponisten
dann mit der Oper „Il Prigioniero“ („Der Gefangene“,
1949), einer szenischen Reflexion über die Gewaltsysteme der
letzten Jahrhundertmitte, die in den Jahrzehnten nach ihrer Entstehung
freilich vor allem antikommunistisch instrumentalisiert werden konnte.
Die beiden stattlichen, mit ihrem Ausdrucksgestus und den musikalischen
Mitteln ins Große zielenden Einakter wurden an der Oper Frankfurt
kombiniert in einer präsentablen, ansprechenden Inszenierung
von Keith Warner.
Die Partitur des „Volo di notte“ beginnt und endet
mit hellen, luftigen, schwebenden Klängen, gewinnt nach der
Mitte zu Schicksalsschwere, expressive Wucht und dissonante Rabiatheit.
Landschaftsmusikalischer Impressionismus spielt reichlich hinein,
dagegen gibt es aber kaum heroische Tönungen. Im Zentrum des
Stückes steht der Dialog zwischen der Frau und dem Direktor
der Fluggesellschaft, der angstvoll um das Schicksal des Verschollenen
Bangenden und dem skrupellosen Funktionär der Macht. Die Gewichtung
der Szene zeigt, wie Dallapiccola wirklich über die „Kosten“
des Heldentums denkt. Vorherrschend sind die lyrischen, schmerzvollen
Intensitäten auch bei der vokalen Diktion, die den Stimmen
eine zwar ausgreifende, aber niemals schroff aufgebrochene Kantabilität
gönnt. Die insgesamt schneidendere, auch kleinmotivischer-polyphon
gebaute „Prigioniero“-Musik gewinnt ihr besonderes Raffinement
dadurch, dass der Kerkermeister als Repräsentant der Macht
durchweg sanft und schmeichlerisch gezeichnet ist, vor allem mit
der leitmotivischen Floskel „fratello“ („Brüderchen“),
die sich wie ein Ohrwurm einprägt. Sie ist das Zeichen einer
spezifischen Art von Folter, die beim Opfer Vertrauen und trügerische
Hoffnung erweckt.
Die Pervertierung von „Brüderlichkeit“ könnte
auch als Anspielung auf die verdorbenen Werte der Französischen
Revolution verstanden werden. Dallapiccola, auch hier (wie noch
in seinem späten, zwölftönigen Meisterwerk „Ulisse“,
1969) sein eigener Librettist, verkleidete die Aktualität seines
Stoffes mit einer auf Charles de Coster zurückgehenden Episode
aus dem Imperium Philipps II., in der die Schergen der Heiligen
Inquisition die Rolle des Repressionsapparats innehaben. Die beiden
relativ großformatigen, auch Chorklang einbeziehenden Opern
heben sich von den skrupulösen, skelettierten, überwiegend
kammermusikalischen (gleichwohl oft von Vokalität inspirierten)
Spätwerken Dallapiccolas auch durch ein unspezifischeres, unbedenklicheres
Schwanken zwischen Tonalität und Atonalität, Mitteilsamkeit
und Verschlossenheit, ab.
Das korrespondiert mit den „altmodischen“ Zügen,
die den auf sympathische Weise verunsicherten, im luftleeren Raum
treibenden Humanismus Dallapiccolas hier grundieren. Ein vergleichbarer
deutscher Komponist wäre Karl Amadeus Hartmann insbesondere
mit seinem „Simplicius Simplicissimus“, der derzeit
wieder an der Oper Stuttgart zu erleben ist.
Die vielumjubelte Frankfurter Aufführung unterstrich szenisch
das Altmodische, aber auch den Drive der zum „Prigioniero“
führenden Entwicklung. Kaspar Glarners Bühnenbild baute
die imposante Kulisse einer pionierhaften Flugstation in der südamerikanischen
Pampa vor einem gewitterschweren Fjordprospekt; eine Atmosphäre
zunehmender Beunruhigung hielt die Drehbühne in unaufhörlicher
Bewegung. Vielleicht um eine Spur zu fingerzeigerisch die monströse
Vergrößerung des Bürokratenschreibtischs am Ende.
Der Mann, der das ihm anvertraute „Menschenmaterial“
(die Piloten) bedenkenlos in den Tod schickt, wird in dieser Sicht
schonungslos demaskiert. Zeljko Lucic imaginiert ihn, mit voluminöser
Stimmsubstanz, auf der Scheidelinie zwischen autoritärer Selbstherrlichkeit
und psychopathischer Getriebenheit. Als Frau vehement: Taina Piira.
Charaktervolle Erzählung des Funkers: Peter Bronder.
Den weiten Horizonten des „Volo“ war die Enge des
Gefängnisstückes scharf entgegengesetzt: kleine Räume,
überwiegend grell ausgeleuchtet, zwischen denen der Eingesperrte
in seiner illusionären Befreiungshoffnung hin- und her irrte
bis zum Ende in einem Verlies, in dem sich ein Tod signalisierender
Verbrennungsofen öffnete. Zuvor hatte er auf seiner vom Kerkermeister
observierten Wanderschaft auch die vermeintliche Freiheit der „Nachtflug“-Landschaft
erreicht, deren glazialer Rückprospekt vor seinen Augen krachend
zusammenbricht. Aus einer Gondel hoch über der Bühne kommentiert
der Machthaber höhnisch die Desillusion und die anstehende
Exekution des Delinquenten. Auf historisierendes Kolorit wurde nahezu
verzichtet. Mit der trügerischen Sanftmut eines zum Tode verführenden
schwarzen Engels glitt der Tenor Stuart Skelton als Machtagent durch
die Bilder, niemals seinen lyrischen Schmelz ins Brutale ziehend,
wie er denn auch auf jegliche Anwendung von körperlicher Gewalt
verzichtete. Der Gefangene, namenlose Inkarnation der Erniedrigung,
des Aufbegehrens und der unzerstörbaren Hoffnung, wurde von
dem markanten Bariton Lucio Gallo mit allen Facetten expressiver
Eindringlichkeit wiedergegeben. Den Prolog der Mutter gab wiederum
Taina Piira mit aufblühendem Duktus.
Dallapiccolas Musik ist auch in ihren dramatischsten Färbungen
kaum mehr als schockierend wahrnehmbar, oft geradezu ein samtener,
gepolsterter Klangteppich oder ein fein ausziseliertes Gewebe. So
mutete auch das Dirigat von Martyn Brabbins nie brachial oder martialisch
an, vielmehr in vielerlei Nuancen abgestuft, hellhörig disponiert,
mit dramatischem Spürsinn verdichtet und gesteigert. Neben
den zahlreichen Vokalsolisten agierten der Chor (einstudiert von
Alessandro Zuppardo) und das Museumsorchester in lebhafter Klangsicherheit
und Wohlproportioniertheit.