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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 11
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Forum
Von der Tendenz, die Neue Musik für tot zu erklären
Zu den Artikeln von Udo Zimmermann, Max Nyffeler und Christian
Wilckens, nmz 2-04, Seite 8
(…) Die Neue Musik nimmt eine Sonderstellung ein. Sie lässt
sich vielleicht epigonalisieren und verbeliebigen, jedoch nicht
banalisieren. Es geht unter anderem schlechterdings nicht einfach
zu sagen: diese Musik soll das und das ausdrücken, symbolisieren,
et cetera und basta, als dpa-Bildunterschrift. Deshalb gibt es die
Tendenz, Neue Musik für tot zu erklären. Sie wird in der
Folge dann verdrängt von populärerer Musik und ersetzt
durch etwas, das eigentlich in den Bereich der Bildenden Kunst gehört:
Skulpturen/Objekte, die zusätzlich Klänge von sich geben
und so mit den beschriebenen Bildunterschriften versehen werden
können, deren Gestaltung sich als alternative Beschäftigung
zur Komposition für Musikhochschüler angeboten wird. Die
banalisierende Verkürzung ist zu unterscheiden von ernst zu
nehmender Konzeptkunst.
Wie sind im Licht der distanzierten Situationsbetrachtung das
Dossier zur Lage der Neuen Musik vor etwa einem Jahr und jetzt der
Themenschwerpunkt zum gleichen Gegenstand in der nmz zu bewerten?
Im Dossier waren wesentliche interne – intern in der oben
beschriebenen Bedeutung – Gründe auf einzelne Beiträge
verteilt klar und überzeugend beschrieben. Jedoch stieg beim
Lesen ein Gefühl der Leere und Kälte auf ob der sofort
erkennbaren, körperlich fühlbaren, absoluten Folgenlosigkeit
des Dossiers und der verbundenen Aktionen. Es war a priori zweifelsfrei,
dass die aufgezeigten Institutionen und Personen nicht auch nur
im Ansatz das Glied eines Fingers bewegen würden aufgrund der
in die Öffentlichkeit gesetzten Beobachtungen, Gedanken und
Argumente.
Bis vor etwa 15 Jahren lebte die Neue Musik im Turm aus Elfenbein.
Die Essenz des letzten Schwerpunktes zur Krise der Neuen Musik in
der nmz ist das Akzeptieren des Ghettos durch die mit Neuer Musik
Beschäftigten –die Postmoderne sang den lntroitus –
oder noch schlimmer: Komposition Neuer Musik als Totgeburt im Beenden
jeden Werkes ausschließlich zur wissenschaftlichen Sektion.
„Die Neue Musik bedarf keiner Rechtfertigung“ heißt
es über einem Artikel, in dem Neue Musik als Futter für
eine so selbstreflexive Wissenschaft gerechtfertigt und hingerichtet
wird. Nein, nein, dreimal nein! Kunst als solche braucht, solange
sie lebt, keinen sie begründenden Zweck. Der Schwerpunkt ist
übersät mit weißen, grauen und schwarzen Flecken
des Nicht-Ergründens und Drum-Herum-Tanzens und des Dogmatischen.
Dazu das Wichtigste: „E und U im Streit“ ? Darum geht
es eigentlich. Die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung von „E“
und „U“ ist seit langem und ausschließlich von
Seiten der Kunst, der Neuen Musik verleugnet. Warum wollen einige
Komponisten unbedingt beweisen, Unterhaltsames komponieren zu können?
Woher kommt das Harmoniebedürfnis von Künstlern der Neuen
Musik, dass sie aus eigener Initiative Unterschiede verwischen und
nicht aufhebbare Ausschließungen nicht aushalten? Die Geister
werden sie nicht mehr los. Das „E“ der ernsten Musik
steht im Gegensatz zum „S“ der Spaßgesellschaft,
das weite Flache und das Tiefe gehen nicht zusammen: dies nicht
denken wollen, ist fatal. Das Ernste der Kunst ist das Existentielle.
Das existentiell Ernste sollte nicht kleinmütig versteckt werden,
um sich nicht im Gegensatz zur Spaßgesellschaft zu outen.
Es gibt alle Gründe des Menschlichen, sich offensiv gegen die
Spaßgesellschaft zu stellen, wenn klarsichtig wird, was sie
alles in sich trägt.
Was ist zu tun? Jede Aktion, die auf Symptom statt auf Ursache
gerichtet ist, ist hier nicht nur zum Scheitern verurteilt, sie
verschlimmert noch die Lage durch Erschweren nachfolgender Operationen.
Es gibt etwas, das getan werden kann, das gemieden wird wie das
Weihwasser: das kollektive öffentliche Stehen zu der Erkenntnis,
dass das Verhalten der Gesellschaft zur Kunst und besonders zur
Neuen Musik nicht haltbar ist und – das Wort ist auszusprechen
– dass es schlecht ist. (Von Moralisten wird gesprochen, wenn
das öffentliche Handeln der so Sprechenden dem entsprechend
ist.)
Dieses öffentlich „auf das Richtige Beharren“
würde eine Säule des Trivialisierens, des libertären
Wirtschaftens, des Amputierens umstürzen, eine veränderte
Situation schaffen. Das Äußern des nicht durch Medien
und „in group“ legitimisiert selbst Gedachten scheint
die notwendige Basis für alles Weitere.
Mit Fantasie sind überraschend viele mögliche politische,
mediale und rechtliche Aktionen zusammentragbar, die dann beschrieben
werden können, wenn an einer Stelle ein gemeinschaftlicher
Wille zur echten Veränderung vorhanden ist.
Die Aufgabe der Lobbyarbeit ist es, den Patienten so lange dem
Leben zu erhalten, bis die Rückkehr in die Gesellschaft möglich
wird.
Was war der Anlass zum nmz- Schwerpunkt? Nein, nicht die Lage
der Neuen Musik! Es war einzig ein Vorfall in der GEMA, es ging
um die machtpolitische Manifestation des selbst gewählten Ghettos
und es geht um die Lächerlichkeit des Erschreckens darüber.
Hier zeigt sich das eindimensionale, verkürzte Denken des
Globalisierten, das nicht wahrhaben will, wenn etwas nicht linear
gewollt werden kann, dort wo Pushen und Machbarkeit ein Ende haben
und Haltung und Stellungnehmen unverzichtbar ist. Tiefer begründet
werden kann das Geschehen im Denken über die Stellung von Kunst
mit dem Denken über den Nihilismus einer ganzen Gesellschaft.