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Ausgabe 2004/07
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nmz 2004/07 | Seite 15
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Hochschule

Herzstücke der Modularisierung

Der künftige Musiklehrer und seine Hochschulausbildung · Von Bernd Clausen

Allerorts wird in der Musiklehrerausbildung an wissenschaftlichen und künstlerischen Hochschulen darüber nachgedacht, ob der Bologna-Prozess und seine Resultate auf musikalisch-künstlerische Studiengänge und Musiklehrerausbildung nicht eher einen einschränkenden und kontraproduktiven Einfluss haben als einen tatsächlich innovativen. Fallen die Worte Bachelor/Master oder Modularisierung winken Kollegen entnervt ab oder begeben sich in eine Grundsatzdiskussion über den Sinn und Unsinn der Aufpfropfung eines entwicklungsfremden Systems auf die deutsche Ausbildungslandschaft.

In der Tat lässt sich darüber trefflich streiten. Vokaler und instru mentaler Einzelunterricht zum Beispiel lässt sich schwer in Leistungspunkte (Credit Points) übertragen ohne strukturelle Vorgaben vollends zu sprengen. Dazu kommt eine generelle Desorientiertheit, was die Vorgaben in den einzelnen Bundesländern betrifft. Davon betroffen ist vor allem die Musiklehrerausbildung.

Ich möchte aber an dieser Stelle nicht auf das Für und Wider des Bachelor/Master eingehen, sondern vor diesem Hintergrund und ausgehend von einer Prämisse die Musiklehrerausbildung versuchen neu zu verstehen. Die Prämisse lautet: Modularisierung stellt eine Chance dar, die Lehramtsausbildung im Fach Musik zu überdenken, denn Modularisierung darf nicht heißen, wir übertragen das Vorhandene in das neue Ordnungssystem. Als konstitutives Element dieser neu gedachten Musiklehrerausbildung sei auch die Hypothese verstanden, die ich an dieser Stelle bereits äußerte: Das Andere muss das Allgemeine werden; Musik anderer Kulturen muss immanenter Bestandteil von Musiklehrerausbildung werden. (nmz 2/2004, S. 23)

Schulische Realität

Die traditionellen Disziplinen in der Musiklehrerausbildung, vor allem für das gymnasiale Lehramt werden nur ungern aufgegeben. Doch fordert die neue Situation dazu auf, darüber nachzudenken, wie nah tatsächlich an der schulischen Realität ausgebildet wird. Harmonielehre, Kontrapunkt, Generalbassspielen et cetera gehören zu diesen klassischen Fächern und sind sicherlich nicht generell unverzichtbar, müssen sich aber fragen lassen, ob die Intensität mit der sie in der Lehramtsausbildung betrieben werden tatsächlich nötig ist. Offenere Formen in der Ausbildung werden im Grundschulbereich schon des längeren diskutiert und ausprobiert. Diese grundsätzlich unterschiedliche Ausbildung führt aber häufig zu dem wohlbekannten Bruch zwischen den Musikunterrichten der einzelnen Schulstufen. Versteht man aber die Modularisierung als eine Chance, die alten Inhalte neu zu überdenken und bezieht den Aspekt einer transkulturellen Musikpädagogik in diese Überlegungen mit ein, so ist es möglich nicht nur Inhalte zu verändern, sondern auch Lehr- und Lernformen. Voraussetzung dafür ist ein flexibler Austausch mit den Fachwissenschaften. Denn eigentlich könnten sich die Musikpädagogen händereibend auf das Material stürzen, das beide Musikwissenschaften seit Jahrhunderten aufbereitet haben. Sie tun dies vor allem hinsichtlich historisch musikwissenschaftlicher Erkenntnisse. Hingegen wird nur sehr zögerlich auf die Musikethnologie zurückgegriffen. Ich spreche hier vor allem vom Aspekt der Feldforschung und der kritischen Auseinandersetzung im Umgang mit Texten über das Andere sowie von der Kompetenz, auf andere Musiken möglichst unbefangen zuzugehen. Spätestens seit den 90er-Jahren diskutiert die Musikpädagogik andere Musiken mit Hilfe des problematischen Begriffspaars „das Fremde und das Eigene“. Sie ergeht sich einerseits in der Darstellung philosophischer Theoreme, andererseits stürzt sie in einen blinden Eifer, um sich nicht dem Vorwurf eurozentristischer Sichtweisen auszusetzen. Um die bunte Landschaft der unterschiedlichen Umgangsweisen mit anderen Musiken zu sortieren, schlage ich eine Unterteilung in drei Gruppen vor. Alle drei Gruppen berücksichtigen die Schulmusikausbildung genauso wie den im Beruf stehenden Musiklehrer.

Dem künftigen Musiklehrer wird in seiner bisherigen Ausbildung – und ich spreche von allen Schulstufen – fast gar nicht oder äußerst mangelhaft die Möglichkeit gegeben, Ressourcen für sich zu erschließen, die ihm ein paritätisches Bild des Umgangs mit Musik vermitteln. Nun kann man die Gründe für die Einbindung anderer Musiken in den Unterricht diskutieren und kann eine ablehnende Position diesbezüglich einnehmen. Eine solche Position, die sich allein auf die Vermittlung abendländisch musikalischer Inhalte konzentriert und dies mit der kontextuellen Gebundenheit an die umgebende Kultur begründet, bezeichne ich als affirmativ-konservative Haltung. Dabei übersieht diese Einstellung nicht unbedingt die schulische Realität von multi-ethnischen Klassen an deutschen Schulen, sieht aber ihre Aufgabe in der Konsolidierung einer wie immer definierten abendländischen Musik durch Vermittlung von Musikgeschichte, -theorie und Formenlehre. Die affirmativ-konservative Musikpädagogik lässt sich vor allem in der Gymnasialausbildung beobachten und an solchen Standorten, denen das Fach Musikethnologie fehlt.

Wird nicht selten trotz eines affirmativ-konservativen Impetus die Notwendigkeit gesehen, in irgendeiner Weise auf andere Musiken zuzugehen, dann ergibt sich daraus die sozial-konservative Haltung. Sie zeichnet sich durch den Umstand aus, punktuell und oftmals eigeninitiativ Wissen und Erfahrungen zu sammeln, mit dem Ziel diese im eigenen Unterricht weiterzugeben. Beispiele dafür finden sich in den Veranstaltungsprogrammen außerschulischer Bildungseinrichtungen und Verbänden, wie Trommel- oder Didgeridoo Workshops. Die Klientel umfasst nicht nur ausgebildete Lehrer und Lehrerinnen, sondern oftmals auch Studierende. Impulse für die Beschäftigung mit anderen Musiken ergeben sich vermutlich aus der schulischen Wirklichkeit oder einem individuell persönlichem Interesse (etwa motiviert durch eigene musikalische Erlebnisse und Urlaubsreisen). Die sozial-konservative Position versucht einen Missstand, zumindest aber ein Defizit auszugleichen, lässt aber in der Regel eine kritisch theoretische Reflektionsebene vermissen, da das musikalische Tun allein im Vordergrund steht.

Die dritte und letzte Gruppe kennzeichnet einen offenen, paritätischen Musikbegriff in der Musiklehrerausbildung. Prämisse ist ein so weit wie möglich emischer Zugang (aus der Sicht der Untersuchten, also eine Innenansicht) auf andere Musiken, um die in der Vergangenheit zu beobachtenden ethischen Rezeptionszyklen (aus der Sicht des wissenschaftlichen Beobachters) zu durchbrechen, die im Unterricht andere Musiken als das Besondere zum Gegenstand machen. In einem solchen Modell würde den Studierenden zum Beispiel die Möglichkeit gegeben, sich über mehrere Semester mit einem nicht europäischen Musikinstrument zu beschäftigen, das als Haupt- oder Nebeninstrument erlernt würde. Ergänzt würde ein solches Angebot durch Vermittlung von Techniken der musikalischen Feldforschung sowie eine nicht eurozentristisch ausgerichtete Musikgeschichte und -theorie. Diese Umgangsweise bezeichne ich als transkulturelle Musikpädagogik. Ich verzichte bewusst auf den etablierten Begriff von der Interkulturellen (Musik)erziehung, da hinter „Inter“ und „Trans“ zwei gegensätzliche Vorstellungen stehen.

Es kann also zusammenfassend festgestellt werden: Die affirmativ-konservative Musikpädagogik ist ausgerichtet auf Konsolidierung abendländisch musikalischer Inhalte. Die sozial-konservative Musikpädagogik ist in der Ausbildung weiterhin konservativ, ergänzt aber den Aspekt der anderen Musiken in beruflichen und universitären Alltag durch einzelne Angebote. Die transkulturelle Musikpädagogik setzt ein verändertes Verständnis von Musik voraus und greift in gewohnte Ausbildungsstrukturen ein. Auch musikalische Identitäten sind in unserer gegenwärtigen kulturellen Situation transkulturell und eben nicht interkulturell. Schule und Universität dürfen nicht kosmetisch darauf reagieren, sondern müssten eigentlich grundsätzliche Veränderungen, vor allem in der Ausbildung, vornehmen.

Prospektiver Lehrplan

Im folgenden habe ich einen prospektiven Lehrplan aufgestellt, um die Einzelheiten einer meinem Verständnis nach transkulturellen Musikpädagogik zu verdeutlichen.

Die Ziele einer solchen Musikpädagogik lassen sich folgendermaßen definieren. Der Studierende soll

  • Strukturen und Prinzipien anderer Musiken praktisch kennen lernen;
  • Musik als Ausdruck von Kulturen, sowie als Abbild und Spiegel gesellschaftlicher Zustände und Vorgänge kennen lernen und damit
  • den eigenen musikalischen Standort erkennen und verändern lernen;
  • andere Musiken in interdisziplinären Zusammenhängen erproben.

Inhalte der Ausbildung sollten sein:

  • Methoden ethnomusikalischer Erschließung von Musiken,
  • Musikinstrumentenkunde,
  • Musizieren – Singen,
  • Tonsysteme,
  • Musik und Bewegung.

Im Idealfall ist eine viersemestrige Ausbildung an einem nicht-europäischen Musikinstrument vorgesehen, welches das zweite Instrument in der gegenwärtigen Ausbildung ersetzen könnte. Alle anderen Veranstaltungen sind in Kooperation mit Kollegen/-innen aus dem Haus und außerhochschulischen Einrichtungen.

Vier Lehrformen

Des weiteren unterscheide ich vier Lehrformen:
Theorieveranstaltungen betrachten Musik in interdisziplinären wie transkulturellen Zusammenhängen, wobei abendländische und außereuropäische Ausdrucksformen vorwiegend beschrieben und weitgehend wissenschaftlich betrachtet werden. Theorieveranstaltungen sind kooperative Veranstaltungen, beispielsweise mit einem (historischen) Musikwissenschaftler. Mögliche Titel wären Musik und Ritus, (Be)Schreibungen von Musik, Musikpädagogik international, Körper-Musiken, Musik und Medizin.
Die Exkursionen (Besuch von Museen oder Festivals) dienen der Erkundung von Erfahrungsräumen, die auch später in der Schule genutzt werden können. Exkursionen sind verpflichtend (Gagaku, Capoeira, Besuch von Instrumentensammlungen, „ein Tag im Tempel“ oder Weltmusikfestival).
Die Werkstätten dienen der eigenen Erprobung und Erfahrung musikalischer Sachverhalte. Sie haben daher keine unmittelbare Multiplikatorenfunktion! Werkstätten sind blockseminarisch angelegte Veranstaltungen, die von Gästen und/oder Lehrenden des Hauses gestaltet werden. Die Teilnahme an mindestens zwei dieser Werkstätten ist verpflichtend (wie etwa Gamelan, Feldforschung – Polnische Volkslieder, taqsim – makam oder Singen mit Kindern)
Die Projekte sollten in der Musiklehrerausbildung grundsätzlich mit didaktischen Anteilen versehen werden und beinhalten ein hohes selbstverantwortliches Moment seitens der Studierenden. Projekte können Musiktheater oder Schüler komponieren sein und sollten über den Zeitraum eines Semesters stattfinden.

Auf der Basis der hier genannten Lehrformen ist eine Modularisierung relativ einfach. Herzstück wären die Werkstätten und Projekte (mit didaktischen Anteilen) sowie die Exkursionen. Flankiert wird diese Mitte vom Instrumental- und Vokalunterricht sowie den begleitenden Theorieveranstaltungen. Die offenen Lern- und Lehrformen wie Werkstätten und Projekte betonen einerseits die Eigenarbeit, andererseits fördern sie Schlüsselqualifikationen, die für die schulische Wirklichkeit von entscheidender Bedeutung sind. Hochschulen könnten in ihrer Ordnungsstruktur beispielhaft sein für die Bündelung außerhochschulischer Potentiale (Kooperationen) wie auch Schule im Bereich der ästhetischen Erziehung dies mancherorts bereits zeigt.

 

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