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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 8
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Hochschule
Der Musiker der Zukunft und seine Ausbildung
Musikhochschulen Frankfurt und NRW reagieren auf veränderte
Orchesterlandschaft
Die deutsche Orchesterlandschaft erodiert. Allerorten soll gespart
werden. Öffentliche Hand und Rundfunkanstalten gehen am Stock
– nicht an dem, der den Takt schlägt. Für des Bürgers
liebstes Instrument gibt es schon lange keine Spartabus mehr.
Als Gegenbewegung dazu gab es noch nie so viele Spezialistenensembles
wie heute. Der Typus variable Telefonband bis auf romantische Orchesterstärke
nebst Sonderinstrumenten der zeitgenössischen Musik scheint
sich besonders in der freien Szene immer mehr zu etablieren. Das
Ensemble Modern macht es mit seinen unterschiedlichen Konzertreihen
und Aktivitäten allen vor. Das Ensemble Modern Orchestra ist
dabei nur eines von vielen Formationen. Nicht zuletzt als potenzieller
Arbeitsplatz von Musikhochschulabsolventen sind Orchester lebensnotwendig.
Der Bedarf an freien Stellen legitimiert zu einem guten Teil auch
die Hochschulausbildung. Die verschärften Existenzbedingungen
stellen die ebenfalls zu Verschlankung und Transparenz aufgerufenen
Hochschulen und nicht zuletzt die Studenten selbst vor eine große
Herausforderung.
Daher ist mittel- und langfristig vor allem Ausbildungsprofil
gefragt. Üppige Etats und renommierte Solisten sind keine Lehrinhalte
an sich und helfen dem Studenten bei seiner Orientierung und Selbstfindung
wenig weiter. Genau das hat man in Frankfurt und Nordrhein-Westfalen
erkannt und mit zwei gänzlich unterschiedlichen Ausbildungsmodellen
darauf reagiert.
An der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst hat man einen Lehrplan erstellt, der die bisher getrennten
Ausbildungsbereiche Instrumentalausbildung und Dirigieren sowie
Instrumental- und Gesangspädagogik in einem gemeinsamen Grundstudium
zusammenfasst. Nach bestandener Aufnahmeprüfung kann der Student
in diesem breit angelegten Grundstudium, das extern auch Allgemeine
Grundwissenschaften an der Frankfurter Uni umfassen soll, feststellen,
welcher Bereich tatsächlich seinen Neigungen und Fähigkeiten
entspricht. Erst nach den grundierenden vier Semestern wird eine
Wahl zum Solisten, Orchestermusiker, Ensemblespieler oder Pädagogen
getroffen. Wurde früher während des Studiums die Zielrichtung
geändert, war das meist mit Zeitverlust verbunden. Durch die
jetzt erst später einsetzende Spezialisierung werden diese
Korrekturen, Zeitverluste und Frustrationen möglicherweise
ganz vermieden und damit die statistische und tatsächliche
Ausbildungseffizienz der Institution und das Wohlbehagen des Studenten
maßgeblich gesteigert. Wer sich also zum Orchestermusiker,
Solisten oder Pädagogen berufen fühlt, kann das in Frankfurt
nach dem Grundstudium gezielt anpeilen. Gleichwertig nebeneinander
stehen als Studienrichtungen auch die Historische Interpretationspraxis,
die zeitgenössische Musik und Streicherkammermusik. Ab dem
Wintersemester 2005/2006 soll der neue Lehrplan gelten.
In Frankfurt, so der neue Präsident Thomas Rietschel, lege
man zudem starken Wert auf den selbstverwalteten Musiker als Modell
der Zukunft. Er soll an der Hochschule auch Vertragsrecht und Selbstvermarktung
lernen. Falls die Orchester weiter schrumpfen sollten, wäre
ein derart auf die Realität hin ausgerichteter Künstler
flexibel genug, um sich selbst zu managen und dadurch attraktive
Engagements in den ihm entsprechenden Aufführungsformaten als
„Ich-AG“ zu bekommen. Es würde mehr und mehr Musikerpools
geben, aus denen heraus für die jeweiligen Zwecke Personal
rekrutiert würde. Nur gut zu spielen, meint Rietschel, reichte
heute nicht mehr aus.
Das ist auch die Meinung von Martin Pfeffer, Rektor der Essener
Folkwang Hochschule. Ihm ist verwaltungsmäßig das neu
gegründete Orchesterzentrum NRW in Dortmund als gemeinsame
Einrichtung der vier Musikhochschulen des Landes (Köln, Düsseldorf,
Detmold, Essen) zugeordnet. Zunächst ganz pragmatisch sollen
begabte Hochschulabsolventen während eines zweijährigen
Aufbaustudiengangs mental, spieltechnisch und künstlerisch
auf das Vorspiel für freie Orchesterstellen vorbereitete werden.
NRW allein unterhält gut zwanzig Kulturorchester, Nachwuchsbedarf
ist also schon im eigenen Land immer noch da. Der Instrumentalunterricht
findet nach wie vor an der Mutterhochschule statt, zum Training
und zu den Orchesterproben kommen die Studenten dann nach Dortmund,
wo das Orchesterzentrum in zwei Jahren einen veritablen Neubau erhalten
soll. Das Planfeststellungsverfahren dafür wurde so rasch wie
selten vorangetrieben, freut sich Martin Pfeffer. Die Essener Philharmonie
und das Dortmunder Konzerthaus, beides ebenfalls Neubauten, sind
feste Kooperationspartner des Orchesterzentrums. Kürzlich konnte
sich das Orchester unter der Leitung von Johannes Kalitzke mit Werken
von Webern, Georg Friedrich Haas und Hans Zender (dessen Bearbeitung
von Schuberts „Winterreise“) in beiden Städten
erfolgreich Profil zeigen. Im Herbst wird mit zunächst siebzig
Studenten der Lehrbetrieb aufgenommen werden. In enger Zusammenarbeit
mit den Stimmführern der etablierten Klangkörper soll
der Student die klanglichen Spezifika der jeweiligen Orchester studieren
können, um sein Vorspiel darauf hin auszurichten. Eine Gratwanderung
zwischen solistischem Können bei gleichzeitigem Einfügen
in das Kollektiv gilt es dabei auszutarieren. Außerdem plant
man, ebenso wie die Frankfurter es auch vorhaben, Weiterbildungsangebote
für Berufsmusiker anzubieten. Pfeffer hofft, dass sich in diesem
engen und wechselseitigen Kontakt zu den Orchestern mittelfristig
die Auffassung vom Probespiel überhaupt verändern lasse.
Taktilität und künstlerischen Ausdruck müssen sich
dabei die Waage halten, mit reiner Motorik ist es nicht getan: Fähigkeiten,
die auch der selbstverwaltete Musiker beherrschen muss. Ein Aufbaustudiengang
Orchestermusiker, inklusive Lehrangebot Management und Vertragsrecht,
wäre daher auch eine weitere Profilierung für die freie
Szene mit ihrer hohen Fluktuation. Denn je mehr die subventionierten
Orchester auf Rumpfgröße schrumpfen sollten, desto mehr
freie und gute Orchestermusiker würden gebraucht. Frankfurt
und Dortmund hätte sie dann.