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Ausgabe 2004/07
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nmz 2004/07 | Seite 33
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Jeunesses Musicales Deutschland

Fundierte Einführung in Handlung und Szenerie

Lebendige Orchester-Patenschaft in Niedersachsen

Was nach dem Willen von Jeunesses Musicales und Deutscher Orchestervereinigung (DOV) in hoffentlich vielen Orchestern bald Thema sein wird, nämlich die Patenschaft zwischen Profiorchester und Jugendorchester, wird in Niedersachsen bereits seit zwei Jahren praktiziert. Wie sich diese Patenschaft entwickeln würde, welche Formen sie annehmen würde und dass sie gar beispielhaft im Zusammenhang mit dem Kooperationsvertrag der beiden großen Verbände werden könnte, war nicht vorauszusehen.

Gelebte Partnerschaft: Große und kleine Hornisten im Dialog. Foto: Schultze-Florey

Schon für den feierlichen Pakt zwischen den beiden Orchestern mussten erste Hürden übersprungen werden. Der gebündelte gute Wille von Orchesterversammlung des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover einschließlich voller Unterstützung durch die Theaterleitung konnten nichts daran ändern, dass ein Opernhaus seinen Spielplan lange im Voraus planen und veröffentlichen muss und das Niedersächsische Jugendsinfonieorchester (NJO) sich nur während der Oster- und Herbstferien zu seinen Arbeitsphasen zusammenfindet. Um trotzdem schnell die Idee in die Tat umzusetzen wurde eine Delegation in Form eines Blechbläserquintetts aus dem Jugendorchester entsandt. Vor vollbesetztem Saal erklärte der Orchestervorstand im Rahmen eines Festaktes: „Wir möchten jungen Musikerinnen und Musikern in ihrer Berufsentscheidung zur Seite stehen, sie beraten, einen realistischen Eindruck der Berufspraxis vermitteln und unsere Traditionen weitergeben“. Der erste Schritt war getan, von der Öffentlichkeit wahrgenommen und für gut befunden. Aber wie lässt sich eine Patenschaft mit einem Jugendorchester, dessen Mitglieder über ganz Niedersachsen verteilt sind praktisch umsetzen?

Ein wesentliches Band zwischen beiden Orchestern besteht schon seit vielen Jahren. Vier der sieben ständigen Dozenten für die Einstudierung der einzelnen Instrumentengruppen des NJO sind zugleich Mitglieder des Niedersächsischen Staatsorchesters. Diese Eigeninitiative ist unter dem Aspekt der Orchester-Patenschaft nun in die Verantwortung des Staatsorchesters eingegliedert worden. Im NJO bekommt die Aufgabe der Dozenten ein besonderes Gewicht, da die künstlerische Leitung bewusst immer wieder wechselnden Dirigenten übertragen wird. So wird die Kontinuität der Entwicklung des Jugendorchesters und auch der einzelnen Orchestermitglieder von den Dozenten gestützt.

Relativ einfach ließ sich der Besuch des NJO bei einer Probe in der Staatsoper realisieren. Dabei zeigte sich, dass die Patenschaft der beiden Orchester von Beginn an über die Orchestermitglieder hinaus breite Unterstützung findet. Die Konzertdramaturgie hatte die Aufgabe übernommen, vor der Probe eine fundierte Einführung in Handlung und Szenerie der Oper zu geben. In einer extra langen Pause wurde das NJO dann in die Stimmzimmer des Staatsorchesters eingeladen. Das war der erste Kontakt von Musiker zu Musiker. Schnell war die erste Befangenheit überwunden und die Fragen überstürzten sich: „Wie hält man das bloß aus in dem engen Orchestergraben?“ – „Warum sitzen Holzbläser und Blechbläser soweit auseinander?“ – „Ist das nicht langweilig, wenn man gar nichts von der Bühne sehen kann?“ – „An welcher Hochschule sollte man sich für ein Geigenstudium bewerben?“ – „Wie bekommt man die Oboenrohre hin, dass sie so leise ansprechen?“ – „Gibt es die Möglichkeit, wenn man kleine Kinder hat, im Orchester eine Teilzeitstelle zu bekommen?“

Für die NJO-Mitglieder ist Berufsberatung ein wichtiges Thema. Mit einem Durchschnittsalter von 16-17 Jahren sind Entscheidungshilfen für die eigene Karriere gefragt. Die meisten der jungen Musiker haben sich bereits durch den Wettbewerb „Jugend musiziert“ auf ihrem Instrument hervorgetan und alle haben sich durch ein Probespiel für das NJO qualifiziert. Damit ist eine besondere Begabung attestiert. Aber reichen die Fähigkeiten für den immer härter werdenden Konkurrenzkampf um eine berufliche Existenz? Ist es überhaupt noch anzuraten, die berufliche Zukunft auf musikalische Begabung aufzubauen? Für manche ambitionierte Nachwuchs-Orchestermusiker, die zum Teil in der ländlichen Umgebung ihres Wohnortes nur wenige Vergleichsmöglichkeiten haben, ist es sicherlich gut, dass ein Berufsmusiker mit seiner realistischen Einschätzung eindringlich zu guter schulischer Leistung und Abitur rät. Zunehmend wichtig wird es aber auch, diejenigen hochbegabten Instrumentalisten für den Beruf des Orchestermusikers zu begeistern, die zugleich in den schulischen Leistungen hervorragende Ergebnisse aufweisen können und aus Unsicherheit lieber nicht Musik studieren wollen. Für die Instrumentalausbildung sind ergänzende Hinweise von den Berufsmusikern eine sehr gute Möglichkeit Fehlerquellen aufzudecken und Anregungen aufzunehmen ohne deshalb gleich den Lehrer wechseln zu müssen. Der persönliche Kontakt, den die Orchestermitglieder des Staatsorchesters ihrem Patenorchester anbieten wird ergänzt durch die Möglichkeit, jederzeit zur Hospitation zu Proben und auch Vorstellungen in den Orchestergraben zu kommen. Auch für ein schulisches Praktikum stehen den NJO-Mitgliedern die Türen der Staatsoper offen. Alle Mitglieder der Fachgruppe des Staatsorchesters bieten ihre Fachkompetenz bei der Auswahl neuer Instrumente für das Jugendorchester an. Im Orchesterbüro des Staatsorchesters findet das NJO ebenfalls uneingeschränkte Unterstützung. Das Ausleihen besonderer Schlaginstrumente, die Beschaffung eines Cellopodestes oder die Vermittlung eines Kontaktes zu Notenverlagen im Rahmen der Patenschaft wird vom persönlichen Engagement der Orchesterdirektion getragen.

Aus den vielen Verbindungen, die sich schnell zwischen den beiden Orchestern entwickelten, konnte ein besonderes Projekt entstehen, das bereits als Produkt der Patenschaft bezeichnet werden darf. Im Herbst 2003 gastierte das Niedersächsische Jugendsinfonieorchester erstmalig mit eigenem Programm im Opernhaus Hannover. Die künstlerische Leitung hatte Lutz de Veer, 1. Kapellmeister an der Staatsoper, der im engen Kontakt mit den Dozenten auch in der Programmgestaltung die Möglichkeiten der Patenschaft ausschöpfen wollte. So entstand die Anfrage an Johannes Harneit, Musikdirektor der Staatsoper Hannover, eigens für das Jugendorchester eine Komposition mit szenischen Elementen zu schaffen. Für die Umsetzung des Notentextes mussten die Jugendlichen nicht nur in der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Partitur angeleitet werden, sondern auch ihren szenischen Part bühnenwirksam einstudieren. Wieder erweiterte sich der Kreis um die Patenschaft der beiden Orchester. Mit viel Ausdauer und Engagement moderierte die Konzertdramaturgin der Staatsoper die engagierten Diskussionen der jungen Musiker über die Hintergründe des neuen Werkes. Unter ihrer professionellen Anleitung bekamen auch die szenischen Aufgabenstellungen Profil. Die Aufführung des Werkes mit dem vieldeutigen Titel „Rendezvous“ gelang schließlich zum eindrucksvollen Beweis gelebter Patenschaft.

Ungelöst war zunächst die Frage, wie sich praktische Möglichkeiten finden ließen, Mitglieder beider Orchester gemeinsam musizieren zu lassen. Der gemeinsame Auftritt in kammermusikalischer Besetzung anlässlich der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen DOV und JMD in Berlin ist ein Beispiel dafür. Aus beiden Orchestern hatten sich die Holzbläserquintette zu einem Dezett zusammengefunden. Während in den Proben noch das Lehrer-Schüler-Verhältnis dominierte und das musikalische Ziel im Vordergrund stand, war auf der Rückreise nach dem gemeinsamen Auftritt ein herzliches Verhältnis zwischen den Musikern entstanden. Schon am darauf folgenden Tag gab es Gelegenheit in Orchesterbesetzung gemeinsam aufzutreten. Den Rahmen bot ein von der Landesregierung veranstaltetes Festkonzert anlässlich der EU-Erweiterung. Der Schlusschor aus der 9. Sinfonie von Beethoven wurde ausgewählt, das Staatsorchester mit Streichern und Bläsern des Jugendorchesters zu durchmischen. Schon nach der Probe für diesen Programmpunkt zeigte sich, dass die Patenschaft auch gemeinsame Auftritte ohne künstlerische Kompromisse ermöglicht, wenn die Rahmenbedingungen günstig gewählt werden.

Aus der Perspektive des Landesjugendorchesters und dessen Mitglieder ist die Patenschaft ohne Zweifel eine Förderung, wie sie kompetenter kaum von anderer Seite erbracht werden kann. Auch in der Öffentlichkeit wird die Kooperation durchweg positiv und als Aufwertung beider Orchester wahrgenommen. Kulturpolitisch müsste man angesichts der wirtschaftlichen Grundlage beider Orchester durch Mittel des Landes Niedersachsen eher aufmerksam werden, wenn solch eine Patenschaft nicht existieren würde. Haben möglicherweise auch noch die Profimusiker einen Gewinn aus ihrer Rolle als Pate?

Mehr als die Hälfte der Mietglieder des Niedersächsischen Staatsorchesters waren selbst während ihrer Schulzeit Mitglieder eines Landesjugendorchesters oder des Jugendorchesters auf Bundesebene. Ganz wesentlich unterscheidet sich die Tätigkeit eines Orchestermusikers von der überwiegend solistischen Ausbildung vor und während des Studiums. Die Besonderheit und die Faszination eines Sinfonieorchesters bestehen nicht zuletzt darin, dass die individuellen Ambitionen der hoch qualifizierten Orchestermitglieder zu einer bedingungslosen Gemeinschaftsleistung zusammenfließen. Was bleibt da noch für Freiraum sich individuell zu entfalten, so wie das ja während der Zeit der Ausbildung gefördert und gefordert wurde? Wo ist der Platz dafür, sich als Musiker auch verbal in den Beruf einzubringen? Welche Möglichkeiten der Einbindung in den Beruf bieten sich für die Fähigkeiten, die zusätzlich zu der instrumentalen Qualifikation existieren?

Wie gut ist es, wenn ein Staatsorchester die Möglichkeit hat zu zeigen, dass seine Mitglieder wesentlich mehr zu leisten im Stande sind, als schöne Konzerte für ein ausgesuchtes Publikum zu produzieren. Für das Niedersächsische Staatsorchester Hannover ist die Patenschaft zum Niedersächsischen Landesjugendorchester ein Schritt zur Übernahme von kultureller Verantwortung.

Andreas Schultze-Florey

 

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