Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2004/07
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2004/07 | Seite 32
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Jugend musiziert

Die Provinz existiert nicht

41. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ im Schwarzwald

„Provinz ist nicht gut. Provinz ist nicht schlecht. Provinz ist eine Möglichkeit. (...) Provinz ist, was du daraus machst.”

Walter Höllerer, Literaturwissenschaftler, Dichter, Kosmopolit, Professor in Houston und Tokio und gebürtiger Oberpfälzer verdichtete 1977 in diesen Zeilen, was wir alle schon immer vermutet und mal mehr, mal weniger prägnant auch schon formuliert haben. Der Höllerer’schen Bilanz können sich auch die Veranstalter des 41. Bundeswettbewerbs “Jugend musiziert“ anschließen. Er hatte vom 26. Mai bis 3. Juni in den Städten Villingen-Schwenningen und Trossingen stattgefunden.

Begleitet gleichermaßen von Unkenrufen und Staunen. Denn was sich auf Landesebene bereits abgezeichnet hatte, wurde auf Bundesebene neuerlich Wirklichkeit: Die Rekordzahl von 1.907 Landespreisträgerinnen und -preisträgern hatte sich qualifiziert und folglich die Absicht, sich über die Pfingsttage in der Schwarzwald-Region aufzuhalten.

Nun folgen Logistik und Aufbau des Bundeswettbewerbs Jahr für Jahr demselben Muster. Das gilt nicht nur für die Planung und Platzierung der Konzerte, sondern auch für die Themen Verpflegung, Übernachtung und Aufbau der Orga-Zentrale. Der Nervenkitzel liegt allerdings darin, diese Struktur am „grünen Tisch“ auf den jeweiligen Wettbewerbsort zu adaptieren, und zwar so geschmeidig, dass alle Improvisationen und Blitzlösungen für die Hauptpersonen vor den Kulissen nicht spürbar werden. Der organisatorische Aufwand für einen Bundeswettbewerb “Jugend musiziert“ im 21. Jahrhundert ist buchstäblich unvergleichlich, die Planung olympischer Spiele mag man vielleicht noch heranziehen, mit dem entscheidenden Unterschied dass das IOC dort eben dann neu bauen lässt, wo die örtlichen Gegebenheiten unzulänglich sind. Die Bundesgeschäftsstelle kooperiert hingegen in sensibelster Weise mit den örtlichen Gastgebern, um Unmögliches möglich zu machen. Dabei wird, um das an dieser Stelle einmal deutlich zu sagen, den Städten die Gastgeberrolle nicht etwa von außen „aufgezwungen“, der „Flying circus“ “Jugend musiziert“ folgt vielmehr einer offiziell ausgesprochenen Einladung, die die Städte und das zugehörige Bundesland im Wissen aussprechen, dass sie die Durchführung des Bundeswettbewerbs in dieser Rolle mitfinanzieren müssen. Die Einladung wird mit der Maßgabe angenommen, die Bedürfnisse für “Jugend musiziert“ vor Ort zuvor schnellstmöglich auf Herz und Nieren zu prüfen. Insofern hatten sich auch Villingen-Schwenningen und Trossingen dieser Prüfung zu unterziehen – und sie mit ausgezeichneten Noten bestanden! In einem Radius, kleiner als von Berlin-Mitte nach Berlin-Charlottenburg, befanden sich eine Musikhochschule, eine Bundesakademie, ein Konservatorium und zwei Musikschulen. Für die Bereitstellung von Einspiel-, Übe- und Wertungsräumen waren diese Voraussetzungen günstig, dennoch wurden weitere zwölf Räumlichkeiten auf ihre akustische Tauglichkeit getestet, damit sie den Ansprüchen von rund 1.100 Wertungsspielen standhielten.

Betten im Rotationsverfahren

Ungleich schwieriger mag die Quartiersuche für Wettbewerbsgäste in Städten solcher Größe sein, denn nicht nur müssen taugliche Massenquartiere für die Jugendlichen gefunden werden, auch die Gäste und Begleiter im Schlepptau der erwarteten 1.900 Teilnehmer möchten adäquat untergebracht sein, oder zumindest auf einen Pool von Hotels und Pensionen zurückgreifen können, um sich dann auf eigene Faust ein Quartier zu suchen. Gerechnet wurde in diesem Jahr mit rund 4.000 Gästen aus dem In- und Ausland, für die die Kapazitäten von fünf Hotels, einem Hotelfachschul-Internat, der Trossinger Musikakademie und der Villinger Jugendherberge bereit standen. Natürlich sind dies summa summarum nicht 4.000 Betten, sie sind auch gar nicht nötig, denn sie wären es nur, wenn jeder Besucher die Gesamtdauer des Bundeswettbewerbs vor Ort bliebe. So aber ist „Wechsel“ das Prinzip, der, zumindest für die Teilnehmerquartiere, unter den Argusaugen eines Mitarbeiters abläuft, denn jedes freie Bett ist wertvoll. Die Kooperation zwischen den örtlichen Anbietern und ihren Ansprechpartnern im Team von “Jugend musiziert“ war auch hier vertrauensvoll, umso mehr, als die Hoteliers die angekündigten Tausende von Gästen schließlich wirklich zu sehen bekamen. Bis dato war über den Nutzen für die Region in Sachen Hotellerie und Gastronomie spekuliert worden, und das mit unverhohlener Skepsis. Sie ließ sich bis zum Startschuss zum 41. Bundeswettbewerb “Jugend musiziert“ nicht vollständig ausräumen, auch wenn der Projektleiter Hans Peter Pairott mehrmals in nicht-öffentlichen Gemeinderatsitzungen und auf der Auftakt-Pressekonferenz über positive Erfahrungen aus den vergangenen Wettbewerbsjahren berichtete. Zu nebulös schien der Kandidat “Jugend musiziert“ den Stadtverantwortlichen, mussten sie schließlich ihren Wählerinnen und Wählern gegenüber die Ausgaben für eine externe Veranstaltung rechtfertigen, und dies in Zeiten leerer Stadtsäckel. „Was kriegen wir dafür?“ lautete in der Verhandlungsphase der immer wieder gehörte Satz, der auch in den Lokalausgaben der drei in der Region erscheinenden Zeitungen in schöner Regelmäßigkeit zu lesen war.

Prüfstein Zeitungsmeldung

Apropos: Drei voneinander unabhängige Zeitungen für zwei Städte mit insgesamt 95.000 Einwohnern, in manch anderer deutschen Großstadt ist die Medienvielfalt nicht so groß! Und Villingen-Schwenningen und Trossingen signalisierten bereits hier ihren Gästen, dass sie so einfach nicht zum großen Chor der Begeisterten umzustimmen sein würden. Dass dann doch alles anders kam, dass “Jugend musiziert“ das Event der Pfingstferien wurde, daran war maßgeblich eben jene, zunächst in Teilen störrisch wirkende Presse beteiligt. Als Veranstalter wünscht man sich für die eigene Veranstaltung gleich von Anbeginn den Zuspruch massenhaft und uneingeschränkt. Gleichzeitig kennt man die „Schlaglöcher“ des Events und weiß aus Erfahrung, wie lange es dauert, bis der Funke auf diejenigen überspringt, die als Konzertpublikum gewonnen werden sollen.

Jedoch bereits beim Begrüßungskonzert 2004 konnten sich die Verantwortlichen bei “Jugend musiziert“ überrascht, aber zufrieden die Hände reiben: Alle 1.000 Sitzplätze im Franziskaner Konzerthaus Villingen waren im Handumdrehen besetzt, und ein begeisterungswilliges Publikum lauschte dem Landesjugendorchester Baden-Württemberg.

Die umfangreichen Ankündigungen des Konzertes durch die örtlichen Medien waren ganz offensichtlich aufmerksam gelesen worden. Wie geradezu vergnüglich Öffentlichkeitsarbeit sein kann, wenn die Wege in die Reaktionen nicht nur kurz, sondern auch breit und komfortabel wie Boulevards sind! Kein Buhlen um Aufmerksamkeit zwischen hundert anderen, nicht minder engagiert werbenden Mitveranstaltern, kein Kampf um Glaubwürdigkeit, keine „Kaltakquise“, wo zunächst der Sinn der Veranstaltung selbst gerechtfertigt werden muss, bevor man sich überhaupt mit den aktuellen Inhalten beschäftigt. Und so kurz wie der Weg in die Redaktion, so kurz war auch der Weg der Zeitung zu ihren Lesern. Der Grad an Glaubwürdigkeit, nicht nur in Villingen-Schwenningen und Trossingen, sondern in allen kleineren Städten, ist ungleich höher als in Metropolen und die Zeitungsaussage lässt sich auch mit Leichtigkeit am beschriebenen Objekt überprüfen. Stimmt dann auch noch das Produkt, was im Falle des Bundeswettbewerbs “Jugend musiziert“ unbestritten ist, ist mit dem ersten Konzert bereits ein treuer Fan gewonnen. Städte wie Villingen-Schwenningen oder Trossingen mit ihrer vergleichsweise homogenen Bevölkerungsstruktur haben noch dazu die Wirkung, dass sehr schnell eine Identifikation mit Veranstaltungen, die man für gut befunden hat, stattfindet, und dass überzeugte „Erstbesucher“ nach dem Domino-Stein-Prinzip für immer mehr Publikum sorgen.

Kleine Städte – große Wirkung

Von ganz ähnlichen Erfahrungen mit Veranstaltungen außerhalb der Metropolen berichten auch die Organisatoren anderer Musikrats-Projekte. Beispielsweise der Deutsche Orchesterwettbewerb (DOV) oder der Deutsche Chorwettbewerb: Auch hier bewerben sich Städte als Veranstaltungsort, auch hier müssen sie sich mit Geld- oder Sachleistungen an der Finanzierung der Veranstaltung beteiligen. Als kleinere Städte für diesen Wettbewerb gelten Fulda, Osnabrück, Karlsruhe oder Goslar. An die Wettbewerbe in großen Städten wie Stuttgart, Berlin, oder Hannover hat der Projektleiter Helmut Schubach keine allzu guten Erinnerungen: „Wir gingen medientechnisch unter.“ Auf die Frage, welche Nachteile er bei der Durchführung in kleineren Städten sehe, gibt Schubach die knappe Antwort: „Keine.“ Und nennt anschließend die bekannten Argumente: „Die Identifikation mit der gesamten Veranstaltung ist ungleich höher, die Wahrnehmung ist optimal. Die Laienorchester und auch die Laienchöre bespielen praktisch alle kommunalen Einrichtungen. Nicht zuletzt für die gastgebende Stadt ist dies eine ideale Möglichkeit, ihre finanzielle Beteiligung an der Veranstaltung zu dokumentieren: Am Ende unserer Wettbewerbe bleiben zwischen 600.000 und 700.000 Euro in der Stadt.“

Sönke Lentz, Projektleiter des Bundesjugendorchesters, bringt die Vorliebe für kleinere Städte auf die Formel: „Je kleiner der Ort, desto erfolgreicher das Konzert.“ Denn oft, so seine Erfahrung, gebe es in der Provinz besser laufende Konzertreihen mit einem an der Sache interessierten Publikum. Häufig werde dort Kammermusik gespielt. Daher verspreche das Erscheinen eines großen Klangkörpers ein außergewöhnliches Konzertereignis mit seltener gehörten Werken. „Eine ähnlich gute Wahrnehmung in Städten wie Köln oder Berlin setzt entweder einen potenten Sponsor voraus, in jedem Fall aber ein ungeheuer aufwändiges Marketing.“, so sein Resümee.

Thomas Rabbow, Projektleiter des Deutschen Musikwettbewerbs bestätigt die Beobachtung seines Kollegen: „Der DMW findet im jährlichen Wechsel in Bonn und Berlin statt. Zwar sind die Räumlichkeiten an der Universität der Künste musikgerechter als in der Beethovenhalle in Bonn, aber in Berlin sind wir an einem Abend mit bis zu 14 Konkurrenzkonzerten konfrontiert, während wir in Bonn nach 25 Jahren zu den etablierten Konzertveranstaltungen gehören und entsprechend gut besucht sind.“

Muss man also am Charakter des jeweiligen „Produkts“ feilen, um es metropolentauglicher zu machen? Soll man andererseits die Großstädter am Kragen packen und ihnen zurufen: Eure Kultur ist nichts als Ware, in der Provinz spielt die wahre Musik? Sicher nicht, es wird auch nichts falsch gemacht, in Sachen Produktgestaltung ebenso wenig wie im Konsumverhalten. Das Angebot ist, wie es ist und irgendwann fährt jeder mal nach Berlin, München, Hamburg, um Konzerte zu besuchen, die nur dort stattfinden. Aber ehrlich gesagt: den warmen, wohlwollenden, stürmischen Luftzug des Applauses, den spürt man doch am ehesten in der Provinz!

 

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |