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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 9
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Kulturpolitik
Im Zeichen Europas und der Kreativen
5. pop.forum-Branchenmeeting am 5. Juni 2004 im Musikpark Mannheim
Bereits zum dritten Mal fand im Rahmen des pop.forum-Branchenmeeting
der Popakademie der Fachkongress ZukunftPop 2004 statt. Experten
aus Szene, Wirtschaft, Medien, Politik und Forschung erarbeiteten
unter Ausschluss der Öffentlichkeit neue Ideen und Thesen für
die Musikwirtschaft. In diesem Jahr befassten sich alle drei Arbeitsgruppen
thematisch mit dem europäischen Kontext der Popkultur.
Die Ergebnisse des Fachkongresses wurden im Rahmen des pop.forum
Branchenmeeting dann erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Die erste Arbeitsgruppe unter Leitung von Udo Dahmen (künstlerischer
Leiter Popakademie Baden-Württemberg) und Andrea Hartmann (Popakademie
Baden-Württemberg) befasste sich mit dem Thema „Der
universale europäische Popmusiker – Plattform für
die Popmusik“. Wie kann der europäische Musiker 2010
aussehen, lautete eine der Kernfragen, mit denen sich Gerard Boontjes
(Rockakademie Tilburg), Stu Lambert (Westminster University, London),
Simon Pitt (Rockschool UK) und Dr. Hans-Jörg Reiter (Staatsministerium
Baden-Württemberg) befassten.
Die Kernthesen im Überblick:
Wir sehen Europa als unsere Zukunft und Popmusik-Ausbildung
auf universitärem Level als notwendige Investition, um Popmusik
als europäisches Kulturgut zu etablieren.
Ein zu entwickelndes europäisches Curriculum für
Popmusik-Ausbildung soll auf den bereits bestehenden Curricula
der einzelnen Länder und deren Einrichtungen basieren und
damit auch deren Ausbildungsschwerpunkte widerspiegeln.
Welche Möglichkeiten und Wege es gibt, erfolgreiche Musikprodukte
auch im europäischen Ausland zu vermarkten und bekannt zu machen
beschäftigte die Teilnehmer des Panels „Die Renaissance
der Kleinen in Europa: The Music lingers on...“ Unter
Leitung von Jens Michow (Präsident des Bundesverbandes der
Veranstaltungswirtschaft) diskutierten Gerd Gebhardt (Vorsitzender
der Phono-Verbände), Matthias Holtmann (Musikchef SWR 3) und
Prof. Dr. Karl-Heinz Brandenburg (Fraunhofer-Institut).
Die Kernthesen im Überblick
Derweil zahlreiche kleinere Labels wie SPV, Indigo, Nuclear
Blast oder K7! längst international Präsent sind, betrachten
viele Indies nicht die europäische Expansion, sondern die
Konzentration auf verkaufsträchtige Nischen als vorrangiges
Ziel.
Das Kernproblem sowohl der Majors als auch der Indies besteht
im Raubkopieren und den illegalen Downloads. Dessen Lösung
ist aktuell die vordringlichste Aufgabe der Branche.
Das dritte Panel „Man singt deutsch? Deutsche Texte und
Europa?“ unter der Leitung von Theo Geißler (Chefredakteur
neue musikzeitung) befasste sich mit der deutschen Sprache im Popkontext.
Nach Herbert Grönemeyer, Xavier Naidoo, Blumfeld, Wir sind
Helden und den Sportfreunden Stiller ist die deutsche Sprache und
die Popmusik offensichtlich versöhnt. Ist ein internationaler
Erfolg in deutscher Sprache in Zukunft somit denkbar und wie stark
sind die derzeitigen Charterfolge in den Jugendsprachen verankert?
Es arbeiteten mit: Heinz Rudolf Kunze, Pe Werner, Jannis Androutsopoulos,
Edo Zanki und andere.
Die Arbeitsgruppe wurde von Theo Geißler und Klaus Harten
in der Flow Methode moderiert und kam zu detaillierten Ergebnissen:
Die deutsche Sprache und Kultur bilden ein von Humanismus und
Toleranz geprägtes Identifikationsangebot für alle in
Deutschland lebenden Menschen, egal ob deutscher oder anderer
Herkunft. Jenseits aller Glaubensüberzeugungen und politischen
Einstellungen beschreibt dieses Angebot einen Raum, den man „offene
Heimat“ nennen darf und nutzen sollte.
Pop-Texte sind ein Teil der Kultursprache. Sie zeigen wie ein
Kompass an, wie wir uns in unserer unmittelbaren Umgebung orientieren
und finden. Dieser kreative Prozess vollzieht sich seit nunmehr
über drei Jahrzehnten. Die Hörer und Hörerinnen
nehmen diese Entwicklung sehr bewusst wahr und an: Von großen
Teilen der Medien wird sie hartnäckig ignoriert.
Entgegen einiger Vorurteile gibt es eine Fülle von Beispielen,
die belegen, dass die deutsche Sprache melodisch und singbar sein
kann; im Kontext des Weltmodells „Rockmusik“ ist sie
imstande, eine eigenständige Rolle zu spielen.
Unser Angebot in der Ausdrucksform, die uns gemäß
ist, soll auf gleicher Augenhöhe mit den internationalen
Produktionen stattfinden und wahrgenommen werden.
Wir fordern alle Entscheider und Multiplikatoren auf, endlich
öffentlich zu dem zu stehen, was sie mehrheitlich insgeheim
längst zugeben: Es existiert bereits eine „inoffizielle“
Quote. Sie wird gegen die Vielfalt des hiesigen Angebots ausgelegt
und eingesetzt. Also geht es darum, das Instrument „Quote“
so zu nutzen, dass deutschsprachige Rock- und Popmusik eine faire
Chance hat.
Dem deutschen Musikexportbüro German Sounds und anderen
Institutionen kann eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung
deutschsprachiger Popmusik im Ausland zuwachsen. Gerade bei unseren
östlichen Nachbarn gibt es ein historisch gewachsenes Interesse
nicht nur an der deutschen Wirtschaftskraft, sondern auch an der
deutschen Kultur. Sobald wir in Ländern wie Polen, Tschechien
oder den baltischen Staaten Resonanz erfahren, wird sich dies
auch auf die Wahrnehmung unserer Angebote im westlichen Ausland
auswirken.
Dazu müssen diese Mittler-Institutionen finanziell und
inhaltlich angemessen aufgestellt sein. Hierzu gehört, dass
sie jungen Rock- und Popmusikern und ihren Netzwerken internationale
Begegnungen ermöglichen.
Deutsche Popmusik als Teil des gesamten deutschen Kulturschaffens
sollte ihre Vielfalt und Attraktivität bei allen sich bietenden
Gelegenheiten internationaler Events (Biennale Venedig, Midem,
Filmfestspiele Berlin) unter Beweis stellen können.
Auch im Bildungsbereich sollte der Dialog zwischen den Kultusbehörden
und den Aktiven intensiviert werden mit dem Ziel, Texte und Songs,
die das Lebensgefühl von Schülern/-innen akut betreffen,
zeitnah ins Curriculum der Fächer Deutsch und Musik aufzunehmen.
Unser Ziel ist, dass die deutsche Sprache im Zusammenhang mit
Popmusik zu einer Selbstverständlichkeit wird, die nicht
mehr hinterfragt und gerechtfertigt werden muss.