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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 5
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Der Intellektuelle als Schwankender
Friedrich Schenkers Oper „Johann Faustus“ in Kassel
Die Uraufführung (Pfingstsamstag am Staatstheater Kassel)
von Friedrich Schenkers dreiaktiger Oper „Johann Faustus“
hat eine komplizierte und vielsagende Vorgeschichte, was das Libretto
betrifft. Es wurde 1952, in der damaligen DDR, von Hanns Eisler
– unter Beratung von Bertolt Brecht – geschrieben vor
dem Hintergrund weitreichender theoretischer Überlegungen,
auf welche Weise für die Oper neue Inhalte und breitere Publikumsschichten
zu erreichen seien. Im Gegensatz zur Faust-Figur früherer Jahrhunderte,
schon gar zur Rolle des Weltergründers bei Goethe, ist Faustus
bei Eisler kaum noch der bohrend grübelnde, grenzüberschreitende
Zukunftsvisionär im positiven Sinne, sondern eher ein negativer
Held, der in den Wirren der Bauernkriege seine Sache verrät:
die Befreiung der Unterdrückten und die damit zusammenhängende
Idee des gesellschaftlichen Fortschritts.
Faust und Elsa. Foto: C.
Brachwitz
Dabei gerät dieser Faustus ins Spannungsfeld seiner Zeitgenossen,
das sind vor allem Martin Luther, der sich auf die Seite der Potentaten
schlägt, und dessen später abtrünniger Gefolgsmann,
der Bauernführer Thomas Müntzer. Alles in allem vollzog
Eisler damit die Absage an einen Faustus, der bis dahin im Zeichen
des progressiven Humanismus gestanden hatte und somit als eine der
bedeutendsten Leitfiguren galt. In der Folge wurde der Komponist
und Musikschriftsteller das Ziel ideologischer Kritik und heftiger
Attacken in seiner Wahlheimat DDR.
Nun wäre es zu einfach, den Umstand des gescheiterten Projekts
allein auf die politisch repressiven Gegebenheiten zurückzuführen.
Eisler, eher der Meister der kleinen Form, wurde bei diesem großdimensionierten
Projekt, „einer Volksoper für das 20. Jahrhundert“,
auch zunehmend von kompositorischen Skrupeln, von ästhetischen
Zweifeln geplagt. Er nahm schließlich von einer Vertonung
Abstand, und das Libretto blieb liegen.
Seine dritte Frau und Witwe, Steffi Eisler, wollte sich mit dieser
Situation auf Dauer nicht abfinden und wandte sich schließlich
nach vielen Jahren an den Komponisten Friedrich Schenker mit der
Wunschvorstellung, er solle das Libretto aufgreifen und mit seinen
musikalischen Mitteln vertonen. Schenker (Jahrgang 1942) steht in
der Tradition von Hanns Eisler, von dessen Schüler Günter
Kochan und von Paul Dessau ( bei ihm war Schenker mehrere Jahre
Meisterschüler). Die Faustus-Vertonung ist offiziell eine Auftragsarbeit
des Staatstheaters Kassel, an dem Schenker seit 1999 als Hauskomponist
arbeitet und verschiedene Bühnenmusiken im Bereich des Schauspiels
geschrieben hat. Sein Gesamtoeuvre umfasst nahezu alle Gattungen,
von der Kammermusik über die Sinfonie und das Solokonzert bis
hin zur Kantate und Passion – und „Johann Faustus“
ist seine fünfte Oper.
Die Uraufführung war das letzte größere Musiktheater-Ereignis
am Kasseler Staatstheater unter der Intendanz von Christoph Nix,
der sich nach Ende dieser Spielzeit anderen Aufgaben zuwendet. Und
so bleibt zu fragen, sollte mit dieser Uraufführung am Ende
bewußt ein Akzent gesetzt oder nur rasch noch der Kompositionsauftrag
eingelöst werden, sollte noch ein erhoffter musikalischer Höhepunkt
geboten oder eine politisch gesellschaftliche Abschiedsbotschaft
transportiert werden ? Von allem ein wenig, muss hier wohl die Antwort
lauten.
Entstanden ist ein über dreistündiges Bühnenwerk,
dessen Realisation mit hohen Ansprüchen verbunden ist: die
Partitur fordert Vielseitigkeit und hohes sängerisches Vermögen,
das Libretto verlangt – um dem Inhalt überhaupt folgen
zu können – nach einem Höchstmaß sprachlicher
Artikulation und Klarheit, und die subtil konzipierte und bis ins
Detail stimmige Inszenierung (Sabine Hartmannshenn) zwingt die Akteure
in jedem Augenblick zu einer hochkonzentrierten szenischen Präsenz.
Von daher muß zuallererst die Leistung eines ausgewogenen,
stimmlich beeindruckenden Ensembles betont werden, aus dem Johannes
M. Kösters als Johann Faustus herausragte – und kaum
weniger Ovationen spendete das Publikum dem Chor (Einstudierung:
Adrian Müller) und dem Orchester (Leitung: Arne Willimczik).
Die Ausstattung (Annette Riedel) stand dem in keiner Weise nach;
hier ist als Zentrum des Bühnengeschehens ein Rundbau mit beweglichen
Jalousien errichtet worden, der wechselnd als Welt mit ihren verschiedenen
Schauplätzen oder als Studierzimmer des Faustus erscheint.
Doch gerade dieser raffiniert angelegte Rundbau geriet zur akustischen
Falle, wenn die Sänger hier – was überwiegend geschah
– und nicht auf der Vorbühne mit ihren schwer verständlichen
Texten auftraten (in diesem Fall wäre eine Textprojektion notwendig
gewesen).
Der Komponist Friedrich Schenker zeigt seine musikalischen Tugenden
(man bemerkt schnell, daß er auch Bläser-Solist gearbeitet
hat) und zieht sämtliche Register seiner Kunstfertigkeit in
der Instrumentation, die aber so massiv ausfällt, dass sie
obendrein den Text an vielen Stellen zudeckt. Die Materialarbeit
Schenkers, einem Musikanten, der sich auf die Avantgarde verlegt
hat, vermittelt sich in einem breiten Spektrum: es reicht von der
Zwölftönigkeit über Zitate, Ländler- und Jazz-Elemente,
bis zur Vierteltönigkeit. Dazwischen freilich reihen sich zahllose
Sequenzen von kleinen Nonen-, großen Septimen- oder Tritonus-Intervallen,
die in dieser Weise recht ermüdend wirken können.
Damit hat Schenker einige Chancen beim Publikum vergeben, obwohl
er spürbar ambitioniert mit seinem Faustus von Eisler umgegangen
ist. Im Vordergrund dürfte doch die Frage stehen, wie gerade
ein jüngeres Publikum für ein solch wichtiges Sujet zu
gewinnen ist. Und da wären Überlänge, weitgehende
Unverständlichkeit des Textes und eine sich immer wieder einstellende
musikalische Monotonie vorab zu vermeiden gewesen.