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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 25
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Verbandspolitik
Die Laienmusik als Zugangspforte und Schlüsselfaktor
nmz-Interview mit Stefan Liebing, Generalsekretär der Bundesvereinigung
Deutscher Musikverbände
Anfang Mai beging die Bundesvereinigung deutscher Musikverbände
(BDMV) ihr 25. Jubiläum in Stuttgart unter dem Motto „Zukunftistmusik“
mit einem großen Festakt. Zudem standen nach dem Tod des Präsidenten
Gerhard Weiser jetzt Neuwahlen an. Neuer Präsident ist der
ehemalige Postminister Wolfgang Bötsch, MdB. Den beiden langjährigen
Vizepräsidenten Horst H. Sassik und Wolfgang Roggatz wurde
Gitta Connemann, MdB und Vorsitzende der Kulturenquete im Deutschen
Bundestag, zur Seite gestellt. Genug Themen für ein nmz-Interview,
das nmz-Herausgeber Theo Geißler mit Stefan Liebing, dem Generalsekretär
der BDMV, führte.
Stefan Liebing. Foto: BDMV
neue musikkzeitung: Wohin entwickelt sich die Laienmusik
? Stefan Liebing: Das ist eine schwierige Frage, auf die es
keine eindeutige Antwort gibt. Ich glaube, dass die Laienmusik vor
allem deshalb besonders wichtig ist, weil sie wie keine andere Form
dazu geeignet ist, junge Menschen zum Musizieren und zu ehrenamtlichem
Engagement zu bewegen. Dazu muss sie sich ständig an die immer
schneller wechselnden Wünsche dieser Zielgruppe anpassen, ohne
die älteren Leistungsträger zu vernachlässigen. Daher
werden wir künftig viel an zeitgenössischem Repertoire
finden und künftig noch mehr Crossover, also die Vermischung
von unterschiedlichen Stilrichtungen und Besetzungsformen. In der
Regel sind solche Entwicklungen in großen Städten beschleunigt,
in ländlichen Regionen eher langsam. Dennoch geht die große
Tendenz in die gleiche Richtung. Spannend wird vor allem die Frage
werden, ob wir es schaffen, die Jugendlichen auf Dauer zu binden
und sie in den Orchestern zu halten, wenn Ausbildung oder Familienphase
beginnen. Wenn wir weiterhin diese Leistungen bringen wollen, dürfen
wir auf keinen Fall zu einem Verband von Jugendorchestern werden,
so sehr wir uns auch über die hohe Quote junger Mitglieder
freuen. Was die Zahl der Orchester und ihrer Mitglieder angeht,
so sehen wir, dass überall dort Zulauf herrscht, wo ein großes
Programm geboten ist. Orchester, die für Qualität, die
vielen Konzertreisen oder die guten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten
bekannt sind, haben inzwi-schen Aufnahmestopps beschlossen, um dem
enormen Interesse überhaupt noch Herr werden zu können.
nmz: Welche Rolle spielt die Laienmusik im Kanon des gesamten
Musiklebens in Deutschland? Liebing: Die Laienmusik ist die Zugangspforte für junge
Menschen. Sie ist erster Berührpunkt für viele mit kulturellen
Angeboten und aktiver kultureller Betätigung überhaupt.
Deshalb ist ihre Situation immer ein Gradmesser für die gesamte
Branche: Wenn niemand in die Orchester vor Ort gehen und ein Instrument
lernen möchte, werden irgendwann auch die Musikhochschulen,
die Wettbewerbe und die Musikschulen, die Profiorchester ein Nachwuchsproblem
haben. Daneben zeigt die zahlenmäßige Größe
dieser Bewegung, welche politische Macht hinter den Laienverbänden
steckt. Sie auch zum Wohl anderer Zweige der Musikszene einzusetzen,
ist enorm wichtig, weil die Lobby hier besonders stark ist. Insofern
sehe ich die Laienmusik als Schlüsselfaktor. Sie muß
mit ihrer besonderen Rolle verantwortungsbewusst umgehen. Daher
bieten wir gern vielen Organisationen mit gleich gelagerten Interessen
enge Zusammenarbeit an.
nmz: Können Sie etwas zur Struktur der BDMV sagen?
Liebing: Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
hat derzeit etwas mehr als 1,3 Millionen Mitglieder, die in über
18 000 Orchestern und Ensembles musizieren und sich in anderen Formen
engagieren. Diese sind in 26 Landes- und Fachverbänden organisiert.
Auf Bundesebene findet ein großer Teil der Arbeit in den Fachbereichen
statt, die jeweils Verantwortung für ein Themengebiet übernehmen.
Deren Vorsitzende koordinieren die Arbeit im erweiterten Präsidium.
Für das Management des Verbandes, für das politische Tagesgeschäft
und für Öffentlichkeitsarbeit zeichnet das fünfköpfige
geschäftsführende Präsidium verantwortlich, dem derzeit
zwei Bundestagsabgeordnete angehören. Die Aufgabe des ehrenamtlichen
Generalsekretärs ist es, die Beschlüsse des geschäftsführenden
Präsidiums in konkrete Verbandsarbeit umzusetzen und die hauptamtlichen
Mitarbeiter des Verbands zu führen.
nmz: Aus der Bundesvereinigung Deutscher Blas- und Volksmusikverbände
e.V. (BDBV) wurde die Bundesvereinigung deutscher Musikverbände
(BDMV). Ist der Imagewechsel gelungen? Liebing: Ich glaube, wenn man die Gattungsbezeichnung Blasmusik
in akademisch korrekter Weise anwendet, dann ist sie richtig: In
unserem Verband sind alle Arten von Ensembles organisiert, die ganz
oder teilweise mit Blasinstrumenten arbeiten. Jazz und Weltmusik,
Ska und Pop, böhmisch und zeitgenössisch, all das sind
Stilrichtungen, die Blasmusik sind. Leider denkt die Öffentlichkeit
nur an volkstümliche Musik, wenn Sie diese Begriffe verwenden.
Daher haben wir den Namen geändert. Als Dachorganisation von
Verbänden, die sich überwiegend Landesmusikverband nennen,
scheint mir das auch vollkommen in Ordnung zu sein. In den vergangenen
Jahren haben wir viel erreicht: Zunächst musste unsere eigene
Arbeit modernisiert und bei den Mitgliedern ein Bewusstsein für
diese neuen Herausforderungen geweckt werden. Das ist im Zug eines
großen Generationswechsels der Verantwortungsträger auch
gelungen. Nun müssen wir noch stärker werden bei der Presse-
und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverbands und der Mitgliedsorchester.
Im einen Fall geht das durch Verstärkung unseres hauptamtlichen
Teams. Daran arbeiten wir trotz enger finanzieller Restriktionen.
Im anderen Fall müssen wir nicht nur weiter Bewusstsein schaffen,
sondern vor allem Schulungen und Weiterbildung anbieten. Hier alle
zu erreichen, erweist sich bei einer so großen Organisation
als nicht einfach.
nmz: Mit dem Titel Bundesvereinigung suggeriert die BDMV,
ein Dachverband der deutschen Musikverbände zu sein. Wie positionieren
Sie Ihren Verband innerhalb des Deutschen Musikrates? Liebing: Nun, wir suggerieren nicht, sondern wir sind ein
Dachverband von 26 der mitgliederstärksten Musikverbände
in Deutschland, der Landesmusikverbände. Als solcher haben
wir ein gewisses Selbstbewusstsein, was unsere Wahrnehmung in Politik
und Öffentlichkeit, aber auch bei Sponsoren und Medien angeht.
Dagegen hat sich durch diesen Namen die Positionierung innerhalb
des Deutschen Musikrats überhaupt nicht verändert. Wir
sehen uns als eine der mitgliederstärksten Organisationen im
Deutschen Musikrat in einer besonderen Verantwortung für seinen
Erfolg. Deshalb haben wir beispielsweise in der Sanierungsphase
engagiert Ideen eingebracht. Auch jetzt denken wir darüber
nach, wo eine enge Zusammenarbeit das Leben für beide erleichtern
könnte. Klar ist allerdings auch, dass wir kritisch auftreten,
wenn unser Gefühl ist, dass der Deutsche Musikrat als unser
Dachverband unsere Interessen nicht oder nicht ausreichend vertritt.
Das tun unsere Landesverbände übrigens zu Recht in gleicher
Weise bei uns. Wir sind regelmäßig im Gespräch mit
dem Deutschen Musikrat und optimistisch, dass wir die – zugegebenermaßen
unzureichende – Arbeit der vergangenen Jahre gemeinsam verbessern
können.
nmz: Was verspricht sich die BDMV von den neuen Persönlichkeiten
im Präsidium? Liebing: Zunächst einmal haben wir nicht die Politiker
gewählt, sondern die Menschen, die sich in besonderem Maße
für unsere Arbeit engagieren möchten und die eine große
Nähe zur Musik haben. Dafür bin ich dankbar. Wer einen
Verband führen will, muss bis zu einem gewissen Grad allerdings
auch politische Tugenden mitbringen: Das Zusammenführung von
unterschiedlichen Ideen und Meinungen, das Organisieren demokratischer
Prozesse und Entscheidungen will gelernt sein. Daneben hoffen wir
natürlich darauf, dass unsere neuen Kollegen im Präsidium
durch ihre Erfahrungen aus dem Hauptberuf dabei helfen können,
interessante Gesprächspartner und Förderer anzusprechen
oder die Interessen unserer Mitglieder gegenüber der Politik
durchzusetzen.
nmz: In kurzen Worten: Um was geht es in den kürzlich
verabschiedeten „Stuttgarter Thesen zur Kulturpolitik“? Liebing: Wir haben aufgeschrieben, welche Form der Unterstützung
durch Politiker unsere Orchester brauchen, damit sie auch in Zukunft
ihre gesellschaftlich wichtige Arbeit leisten können. Das ist
eine Art kulturpolitisches Grundsatzprogramm, das das Präsidium
nun Schritt für Schritt in den politischen Diskussionsprozeß
einbringen soll. Die Inhalte sind übrigens nachzulesen unter
www.zukunftistmusik.de
nmz: Welche kulturpolitische Rolle will die BDMV in Zukunft
spielen? Liebing:Nun, wir wollen auch zukünftig die politische
Macht nutzen, die sich aus unserer hohen Mitgliederzahl und den
Entscheidungsträgern ergibt, die im Hauptberuf politisch tätig
sind, um unseren Mitgliedern das Überleben zu sichern. Und
wir werden mit allem Nachdruck darauf hinweisen, dass auch die nicht-professionellen
Kulturschaffenden Unterstützung und Förderung brauchen.
nmz: Die Ganztagsschule: Bedrohung oder Chance für den BDMV?
Oder ändert sich sowieso nichts? Liebing: Was konkret die Auswirkungen sein werden, ist noch
nicht absehbar. Sicher ist aber, dass immer dann die Beteiligung
an Ensembles im Ehrenamt bei jungen Menschen nachlässt, wenn
mehr Stunden an der Schule zu verbringen sind. Insofern habe ich
große Sorge, dass unsere Orchester unter dieser Idee leiden
müssen. Sie gibt Eltern und Jugendlichen weniger Entscheidungsraum
und damit weniger die Möglichkeit, sich ehrenamtlich einzusetzen
für Kultur, soziale Anliegen oder Sport. Das wird auch der
positive Effekt nicht kompensieren können, dass unsere Orchester
in den Schulen sicher am Nachmittag ein interessantes Angebot machen
können.