[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz
2004/07 | Seite 24
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Musikvermittlung
Einstiegshilfen geben, Welten aufmachen
Der zweite Ideenwettbewerb zur Musikvermittlung der Jeunesses
Österreich
Die Entwicklung zeitgemäßer und zukunftsorientierter
Kinder- und Jugendkonzerte ist ein zentrales Anliegen der Jeunesse
Österreich. Dies war Anlass den „Find it Ideenwettbewerb
2004“ zum zweiten Mal auszuschreiben. Künstler, Musiker
und Vermittler waren eingeladen, Konzepte und Ideen zu entwickeln
und einer international besetzten Jury zur Begutachtung vorzulegen.
Aus über 100 eingereichten Projekten aus Deutschland, Frankreich,
der Schweiz und Österreich, mit durchwegs interessanten Ansätzen,
die von vertonten Märchen und Geschichten über thematisch-aufbereitete
Moderationskonzerte bis hin zu Musikvisualisierungen und Tanzperformances
reichten, wurden vier Projekte prämiert. Im Zentrum der Bewertung
durch eine unabhängige Jury, bestehend aus führenden Musikvermittlern,
Konzertpädagogen und -veranstaltern, standen die „Originalität
der Idee“, der Musikanteil, die zielgruppenorientierte Aufarbeitung
eines Themas und der Einsatz von Vermittlungskompetenz.
Im folgenden Interview mit den beiden zweiten Preisträgern,
Elisabeth Naske und Stefan Dünser – erster Preis wurde
keiner vergeben – werden Aspekte der Musikvermittlung beleuchtet.
Strahlende Sieger im nmz-Gespräch:
Elisabeth Naske und Stefan Dünser. Foto: Jeunesses
Musicales Österreich
nmz: Frau Naske, Ihr Erfolg mit der Kinderoper „Die
feuerrote Friederike“ auf dem Dach der Wiener Staatsoper hat
ein sehr positives Echo hervorgerufen. Wo sehen Sie sich als Komponistin? Elisabeth Naske: Ich sehe mich als Suchende. „Was kann
ich heute wie schreiben: Wofür, für wen, in welchem Rahmen
wird ein Werk aufgeführt?“, sind zentrale Fragen meiner
Arbeit. Ich bin ständig bemüht eine aktuelle Sprache zu
finden, ich betrachte es nicht als meine Aufgabe ein neues Vokabular
und damit verbundene Regeln aufzustellen, die dann vermittelt gehören.
Ich will mit dem Material, das bereits da ist, neu umgehen und es
so verwenden, dass es für mich Sinn macht. Kinder und Erwachsene
sollen damit etwas anfangen können.
nmz: Herr Dünser, in den Blech-Arbeitern wird „sandwichartig“
Musik aus allen Jahrhunderten vermischt. Wo liegt der Hintergedanke
Musik von Bach und Fantini mit Kompositionen von Herbert Willi (*1956)
und Gerold Amann (*1939) zu kombinieren? Stefan Dünser: Neuer Musik fehlen oft Sinngebungen,
sie schwebt ohne jede Emotion vor sich hin, ohne Bilder hervorzurufen.
Oft stellt sie Momente dar, die das Publikum nicht versteht. Es
gibt allerdings hervorragende neue Werke, die unbedingt in Konzertprogramme
integriert gehören. Das ist meine Philosophie: Neues mit bekanntem
Vokabular zu kombinieren und so behutsam zur Musik zu führen.
nmz: Sowohl die Glücksfee als auch die Blech-Arbeiter
versuchen Emotionen im Menschen auszulösen. Sehen Sie darin
eine Möglichkeit Kinder für Musik zu begeistern? Naske: Musik ist ein hervorragendes Mittel um Emotionen zu
transportieren! In der „Glücksfee“ versuche ich
darüber hinaus die Sinne – Hören, Tasten, Schmecken,
Sehen, Fühlen – auf eine musikalische Ebene zu übertragen,
die Musik macht dazu Welten auf und schafft eine weitere Dimension
der Wahrnehmung. Kindern kann man fast alles bieten, sie haben keinerlei
Berührungsängste, solange ihnen Einstiegshilfen geboten
werden – sie haben immer spontane Assoziationen. Kinderkonzerte
müssen lediglich in einen formalen oder thematischen Kontext
gestellt werden, der Kinder durch die Musik führt. Dünser: Erwachsene katalogisieren Musik, geben sie in
Schubladen, das ist Bach, Mozart oder Musik des 21. Jahrhunderts.
Kinder sind viel offener, egal ob Musik alt oder neu, laut oder
leise ist. Stil und Epoche sind für Kinder nicht relevant,
Musik muss Gefühle, Bilder und Gedanken auslösen. Wir
versuchen in den Blech-Arbeitern ausschließlich Musik einzubauen,
die ausgezeichnet komponiert oder arrangiert ist. Die Erfahrung
zeigt, dass Kinder und Jugendliche mit einer Bach-Fuge mehr anfangen
können als mit einer schlechten Musicalmelodie. Schlicht und
einfach: Über die Qualität der Musik, verpackt in eine
Geschichte, sprechen wir Kinder direkt an und wollen ihnen ein künstlerisches
Erlebnis bieten und so Emotionen auslösen.
nmz: Kinderkonzerte funktionieren für Kinder von drei
bis zwölf sehr gut. Danach brechen Jugendliche meistens weg.
Woran liegt dieses Phänomen: Sind die Dominanz der Bilder (MTV-Generation),
neue Medien, das Verlorengehen der Stille und das Freizeitverhalten
stärker oder ist es einfach natürliches Verhalten von
Teenagern? Naske: Jugendliche brechen nicht weg, sie befinden sich in
einem natürlichen Reifeprozess, sie werden selbstständig
und lassen sich nicht mehr von den Eltern an der Hand ins Konzert
führen. Ich finde das nicht weiter dramatisch. Teenager wollen
selber entscheiden, was sie machen. Trotzdem bin ich überzeugt,
dass man diese Altersschicht erreichen kann. Aber über andere
Mittel. Das beginnt bei der Wahl des Konzertortes. Wir werden sie
nur schwer in ein Konzerthaus bringen, ein Konzert an einer ausgefallenen
Location, wie auf einem Skaterplatz, ist viel realistischer. Dünser: Jugendliche dürfen nicht zwangsbeglückt
werden. Warum kommen sie nicht? Es ist „uncool“ ins
Konzert zu gehen. Es geht um einen Lockvogel, wie hole ich sie ab.
Wir werden nicht umhinkommen, uns mit „deren“ Themen
und Problemen, uns mit „deren“ Gedankenwelt zu beschäftigen.
nmz: Das Feld Kinderkonzerte weitet sich immer mehr aus.
Trotzdem ist zu beobachten, dass Kinder oft „nur“ als
Publikum von morgen gesehen werden. Wie sehen Sie Kinder als Publikum? Naske: Gerade Kinder als Publikum sind ernst zu nehmen und
keineswegs als Publikum von morgen zu betrachten. Ich will sie zum
aktiven Hören und Erleben sensibilisieren, ich will einen Beitrag
zu einem intensiven Konzerterlebnis schaffen und sie mit einfachsten
Mitteln mitreißen. Musik soll zum Grundbedürfnis, ein
Konzert zu einem essentiell bereichernden Teil unseres Lebens werden.
Dünser: Bei einem Kinderkonzert versuche ich mir immer
die Kinder vorzustellen, ich überlege mir, wer sitzt mir gegenüber,
wie kann ich sie „jetzt“ erreichen? Musiker, Schauspieler
und Vermittler zugleich zu sein, ist meine Idealvorstellung. Es
ist ein zauberhafter Moment, wenn ich Kinder im Publikum sehe und
ihre Begeisterung spüre.
nmz: Musik hautnah erleben, neues Publikum ansprechen, offen sein
für Neues? Sind inszenierte Konzerte für Erwachsene eine
Chance der Zukunft? Naske: Ich stelle den Konzertbetrieb an sich in Frage. Krawatte,
Abendkleid, dasitzen und das klassische Standardprogramm anhören
– Werke, die oft als Gebrauchsmusik gedacht und von den Komponisten
niemals für den Konzertsaal, so wie wir ihn heute kennen, vorgesehen
waren – ich finde es absurd, wenn gerade diese Werke zelebriert
werden. Viel lieber möchte ich Erwachsenen Einstiegshilfen
über eine Choreographie, literarische Ergänzungen oder
bildende Kunst bieten, die das Hörerlebnis vertiefen können.
Ich will dazu beitragen, dass Musikvermittlung ein wichtiges Gestaltungselement
des modernen Konzertlebens wird. Dünser: Die Sinngebungen bei Erwachsenen sind ähnlich
wie bei Kindern. Wenn es uns gelingt Qualität mit Vermittlung
zu kombinieren, haben wir eine große Chance Erwachsene für
Musik zu gewinnen und zu begeistern. Alle Sinne ansprechen, wie
ein mehrgängiges Menü eines Haubenkoches: nicht von der
Musik ablenken, sondern zur Musik hinführen!
Interview: Christoph Thoma
Glücksfeen, Blecharbeiter und verlorene Töne
Die prämierten Projekte des „Find it Ideenwettbewerbes
2004“
1. Preis:
wurde keiner vergeben
2. Preis:
Die Glücksfee von Elisabeth Naske
Musiktheater, das alle Sinne schärft!
Wie klingt Kakao, wie schlechte Laune? Wie klingt die Liebe?
Für Kinder von 5 bis 8, nach einem Buch von Cornelia Funke.
Die „Glücksfee“ erzählt nicht nur die Geschichte
von Lukas, der immer schlechte Laune hat und allmählich das
Glücklichsein erlernt, sondern bringt fast alle Sinne gleichzeitig
zum Schwingen: Hören, Tasten, Schmecken, Sehen.
Dabei sind die Kinder, die zuhören, aktiv miteinbezogen: Sie
ziehen Lukas die Decke weg, streuen ihm Feenstaub in die Augen,
verwandeln seine graue Welt Stück für Stück in eine
bunte.
Die Blech-Arbeiter von Stefan Dünser Musik, die Fassaden fallen lässt.
Musik über die kindlichen Wünsche, Träume, Ängste
und Sehnsüchte!
Musik für Kinder von 8 bis 11
Fünf Blech-Arbeiter in blauer Arbeitskluft machen Musik zum
Geburtstag ihres Direktors. Man merkt ihnen die jahrelange, harte
Arbeit in der Fabrik an, und deshalb streiten, diskutieren, rebellieren
sie – auf ihren Instrumenten. Doch schließlich zeigt
jeder, wie er sonst noch ist, wenn er nicht gerade arbeiten und
schuften muss: Wünsche, Träume, Ängste und Sehnsüchte
kommen zum Klingen. Und die Kinder, die das Konzert entschieden
mitgestalten, stiften zu Fanfaren, Ständchen, Schrammelmusik,
Jazz, Blecharbeiter-Rap oder Walzermusik an. »Ehrliche«
Musik: Schräg, schön und eigen!
3. Preis:
Manege frei für 100 und 4 von Bernhard Costa Polyphonie auf der Zirkusplane
Viele Stimmen, ein Klang!
Musik für Kinder von 8 bis 12
Der Innsbrucker Musiker Bernhard Costa, Kinderliedermacher, Geigenbauer
und erfahrener Musikvermittler, macht wenig Worte und wenig Geschichten.
Lieber lässt er die Musik kursieren, genauer gesagt: die Musik
singen und eine ganz bestimmte Mehrstimmigkeit erzeugen. Ein kreisförmiger
Manegeteppich mit vier kleeblattförmigen angeordneten Feldern
in vier verschiedenen Farben ist seine Zauberfläche, um die
Wahrnehmung der Kinder zu trainieren. Dass sie dabei verzaubert
werden, versteht sich von selbst.
Sonderpreis mit Einladung zum Jeunesse-Festival 2004 in Wien vom
8. bis 10. Oktober:
mubuntu – oder das Geheimnis um den verlorenen Ton, ensemble
mubuntu
Musik für Kinder von 5 bis 8
„Was ist passiert? Sind wir die einzigen, die hier noch Musik
machen?“, fragt ein Musiker seine Bassklarinette.
Gerade hatten sich fünf Freunde zum gemeinsamen Musizieren
auf der Bühne gefunden, schon ließ ein wilder Klangsturm
sie wieder verstummen ... Inspiriert von dem afrikanischen Wort
„mubuntu“ für Menschsein ist es den fünf Mitgliedern
des Hamburger ensemble mubuntu ein großes Anliegen, besonders
die menschlich-kommunikative Seite des gemeinsamen Musizierens in
ihren Konzerten hervortreten zu lassen. Das abwechslungsreiche Programm
verbindet vielfältige Spiel- und Klangszenen mit improvisatorischen,
kammermusikalischen und experimentellen Elementen unterschiedlicher
Musikstile.