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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 13
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Musikwirtschaft
Neubauten in einer digitalen Welt
Musikwirtschaft im Kongress-Boom und der „forward2business“-Kongress
in Halle · Von Barbara Haack
Wer gerne reist, andere Menschen trifft und sich daneben für
musikalische Themen interessiert, kann sich heutzutage einem durchaus
zeitfüllenden Hobby widmen: dem Kongress-Tourismus. Allerorten
lässt sich – mit den entsprechenden Fachleuten –
trefflich über Musikpädagogik, Musikwissenschaft, Kulturpolitik,
Musikvermittlung und anderes diskutieren. Vor allem, wenn sie mit
einer entsprechenden Wirkung in der Öffentlichkeit verbunden
sind, haben solche Veranstaltungen durchaus ihre Berechtigung; dokumentieren
sie doch in der Regel Schwerpunkte, die in der aktuellen Diskussion
jeweils vorherrschen.
Rege Teilnahme am Vortrag
des VW-Zukunftsforschers Lothar Grabner. Foto: Forward2Business-Büro
Nicht von ungefähr also haben die Macher von Kongressen und
Symposien in der jüngsten Vergangenheit zunehmend die Musikwirtschaft
als Referenten wie Teilnehmer lockendes Thema entdeckt. „Musik
als Wirtschaft“ machte vor zwei Jahren den Vorreiter und wurde
in diesem Jahr wiederholt. In Mannheim trafen sich die Kenner der
Pop-Wirtschaft, in Berlin lud Steffen Kampeter zum Diskurs über
den „Patienten Musikwirtschaft“ ein. In der Tat erwies
sich die Branche gerade hier als genesungsbedürftig: Gab es
doch – im Anschluss an eine immerhin spannende, kontroverse
(und nicht unbedingt neue) Diskussion über die Tonträgerwirtschaft
– zum Thema „Perspektive der Veranstalter, Clubbetreiber
und Kreativen“ nichts Wichtigeres zu be-streiten als die unterschiedlichen
(und aus Veranstalter-Sicht viel zu hohen) GEMA-Tarife in den Berliner
Clubs. Dem Zuhörer vermittelten sich hier zwar keine Perspektiven,
wohl aber das Zustandsbild einer Branche, die dem Titel der Veranstaltung
alle Ehre machte. So attestierte Steffen Kampeter in seinem Schluss-Resümee
der Musikwirtschaft zwar, dass sie (noch) nicht auf der Intensiv-Station
liege; Positiveres konnte er jedoch – wohl auch angesichts
des Diskussions-Verlaufs – nicht vermelden.
Anderes erlebten die Teilnehmer des von MDR Sputnik veranstalteten
Zukunftskongresses „forward2busi-ness“, der in diesem
Jahr bereits zum dritten Mal stattfand. Zwei Tage lang versammelten
sich ausgewählte Teilnehmer aus der Musik- und Entertainment-Branche
in Halle, um die Zukunft des Geschäfts mit der Musik zu präsentieren,
auszumalen, vorzudenken. Wer hier Gespräche über das „Produkt
Musik“ als solches, also über Inhalte und zukünftige
musikalische oder stilistische Richtungen erwartete, wurde enttäuscht.
Allenfalls am Rande klang es an, beispielsweise als Andreas Borcholte
von der Spiegel-online-Redaktion in seinem Eingangs-Statement den
Majors die inzwischen übliche Dresche erteilte, alldieweil
sich diese nicht in ausreichendem Maße um Entwicklung und
Nachwuchs-Förderung gekümmert hätten. Hauptsächlich
aber wurde über zukünftige Vertriebswege, Kundenbedürfnisse
und technische Entwicklungen gesprochen. Hier allerdings war Spannendes
und Neues zu hören.
Während der Microsoft-Referent die „intelligente Küche“
und das vom Handy allerorts regierte Familienleben präsentierte
– Zukunftsbilder, die weder besonders wünschenswert noch
wirklich innovativ erschienen –, ging es im Panel über
Mobiles Entertainment um reale Perspektiven. Nicht Download-Plattformen
im Internet seien der Musikmarkt der Zukunft, so Janko Röttgers,
sondern die Handys als „kleine Computer, eine Art Fernbedienung
für unser Leben“. Das Handy werde nicht nur Musikplattform,
sondern auch Kommunikationsmittel Nummer eins werden – hierin
waren sich Referenten und Teilnehmer weitgehend einig. Eins lässt
sich sicher positiv feststellen: über das Download-Piraterie-Gejammer
waren die hier Versammelten längst hinweg. Sie sind offenbar
in der Gegenwart, wenn nicht gar in der Zukunft angekommen, wenn
es um die Frage des „Wie“, nicht des „Ob“
eines digitalen Musikvertriebs geht.
Andere Zukunfts-Szenarien brachten Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts
mit. Während Torsten Linz über „mobile Elektronikkonzepte
zur Integration in Kleidung“ referierte und hier unter anderem
den in den Ärmel integrierten MP3-Player vorstellte, präsentierte
der MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg ein neues Soundsystem, IOSONO
mit Namen, das, so hieß es, „nach Einschätzung
von Experten den Kino-, Theater- und Clubsound in den kommenden
Jahren weltweit revolutionieren wird“. Der in der Gegenwart
lebende Kongress-Teilnehmer durfte sich schon fragen, ob denn nun
alle hier gepriesenen Neuheiten genau das sind, was die Menschheit
braucht und inwieweit tatsächlich neue Produkte auf nachgewiesene
Kundenbedürfnisse hin entwickelt werden. Faszinierend waren
die Ideen allemal. So wurde denn Karlheinz Brandenburg für
seine jüngste Erfindung auch mit dem SPUTNIK Innovator Award
2004 ausgezeichnet.
Teilen musste er sich diesen – und dies war sicher die überraschendere
Entscheidung – mit Blixa Bargeld, dem legendären Frontman
der „Einstürzenden Neubauten“. Die in den 80er-Jahren
Furore machende Band stellte in Halle – wie sollte es anders
sein? – ein neues Vertriebsmodell vor. Fans der Band konnten
sich bereits vor Produktionsbeginn die erst im Entstehen begriffene
CD kaufen, zahlten einen Preis von 35 Euro, durften nun als Beobachter
im Internet die Studio-Produktion der Songs mitverfolgen, erhielten
eine nicht im Handel käufliche CD und andere Zusatz-Schmankerl.
Immerhin 2.000 Vorabkäufer konnten die „Neubauten“
verzeichnen: eine in der digitalen Welt möglich gewordene moderne
Form der Subskription, die vermutlich Nachahmer finden wird.
Besonders heftig diskutiert – übrigens nicht nur in
Halle – wurde und wird die Frage zukünftiger Bezahl-Regeln
für digital empfangene Musik. Befürworter der heute üblichen
individuellen Abrechnung (der „Downloader“ zahlt pro
empfangenem Song) streiten hier heftig mit den Vertretern einer
Pauschal-Gebühr, die, einmal bezahlt, zum grenzenlosen Konsum
digitaler Musik berechtigt. Letztere Idee vertrat Oliver Moldenhauer,
Mitbegründer von „attac“, auf dem Abschluss-Panel.
Dem geballten Protest aus dem Publikum war er kaum gewachsen. Wenn
auch faszinierend einfach, erscheint das Modell nicht ausgereift,
offene Fragen blieben und bleiben unbeantwortet. Wer zum Beispiel
soll die Zuteilung an die Urheber regeln und durchführen: eine
zweite „GEMA“? Die Zunahme bürokratischer „Behörden“
dürfte gerade den Attac-Vertreter nicht gerade zu Begeisterungsstürmen
veranlassen? Der nicht downloadende Internet-User muss sich im Fall
der Pauschal-Abgabe zudem doppelt ärgern. Nicht nur, dass er
für eine nicht genutzte Leistung zahlen muss, die Preise der
CD, die er, altmodisch, im Laden kauft, würden vermutlich eher
an- denn absteigen, kann man doch von zukünftig kleineren Auflagen
des real existierenden Tonträgers ausgehen.
Ein breites Spektrum von Fragen und Antworten allemal, die diese
zwei Tage in Halle erbrachten. Den Veranstaltern ist es durch intelligente
Planung und Vorbereitung gelungen, einen Rahmen zu schaffen, der
– längst nicht nur in den Diskussionszelten – Kommunikation
und Information, regen Austausch und neue Kontakte ermöglichte.
Nicht zuletzt die Einbeziehung branchenfremder Referenten und Teilnehmer
trug dazu bei. Der anfänglich erwähnte Kongressbesucher,
der sich eigentlich nach Inhalten gesehnt hatte, konnte sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass die schnöde Geschäftswelt
manches Mal kreativer ist als die „Kreativen“.
Bleibt zu wünschen, dass die am Musikleben Beteiligten unterschiedlicher
Couleur ins Gespräch kommen. So geschehen in der dem Kongress
folgenden „taktlos“-Sendung „Zukunftsmusik“
im Bayerischen Rundfunk, in der Musikrats-Generalsekretär Christian
Höppner, direkt eingeflogen vom Bundeswettbewerb „Jugend
musiziert“, auf den „forward2business“-Manager
Sven Gábor Jánszky stieß. Anlaufschwierigkeiten
bei dem Versuch, eine gemeinsame Gesprächsebene zu finden,
wurden im Verlauf der Diskussion zunehmend überwunden. Die
Welten sind höchst unterschiedlich – aber letzten Endes
wohl doch nicht so weit voneinander entfernt. Die „konservative“
auf Inhalte konzentrierte Welt sollte akzeptieren lernen, dass keiner
ein Verbrecher ist, der darüber nachdenkt, wie man mit Musik
(möglichst viel) Geld verdienen kann. Diejenigen wiederum,
die sich genau damit beschäftigen, sollten die Anregung Christian
Höppners aufnehmen, auch über die gesellschaftliche Verantwortung
ihres Handelns nachzudenken, über ihre Verantwortung für
eine kultur-bewusste musikalische Bildung der Zukunft. Vielleicht
ist das ein Thema für den Kongress im nächsten Jahr?