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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 41
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Bücher
Stimulation und Veränderung durch Musik
Therapeutische Zugänge in der Altenarbeit und Gruppentherapie
Klaus Leidecker: Das Leben klingen lassen. Musikintervention
in der Sozialpädagogik, Verlag Die Blaue Eule, Essen 2004,
110 S., € 14,00, ISBN 3-89924-081-2
Unter dem im Untertitel erscheinenden Terminus „Musikintervention“
werden hier therapeutische Zugänge in der Altenarbeit und der
Gruppentherapie, elementar-pädagogische Grundlagen sowie Gedanken
zu einer „Akustischen Ökologie“ und zur Musik im
Märchen präsentiert. Während die therapeutisch orientierten
Abschnitte eine stärkere inhaltliche Einheit bilden, könnten
die anderen Teile auch für sich stehen und komplettieren sozusagen
das Mosaik der Beschäftigungsfelder des Autors. Klaus Leidecker,
Professor für Musikpädagogik an der Fachhochschule Darmstadt,
geht es weniger um die stringente Entwicklung eines logischen Konzeptes;
das Buch wirkt eher skizzenhaft und lässt häufig assoziativ
erzählend Erfahrenes aus der praktischen Arbeit einfließen.
Der Autor verwendet keine trockene Wissenschaftssprache, sondern
sucht die Tiefen der Musik und des Seelischen auszuloten und lässt
Raum für den Sinn zwischen den Zeilen.
Als „schöpferische Handlungsformen“ für
die Altenarbeit nennt Leidecker das Lied, die symbolisch aufgeladene
Instrumentalimprovisation sowie meditative, sitzend ausgeführte
„Gebärdentänze“. Die Planung der Musikstunden
orientiert sich an den Erfahrungen der vergangenen Stunde und an
den Bedürfnissen und der Tagesverfassung der Teilnehmenden.
Den Beginn bilden die „Grundgebärden des Lebens“:
Empfangen, Danken und Loslassen, die zu kreisender Musik ausgeführt
werden. Im „inneren Entwicklungsgang“ der Stunde sind
sodann Elemente der Improvisation, Volkslieder, Raum für Gespräch
und Spürübungen wichtig. Berührend sind die Episoden
aus der Einzelarbeit des Autors mit der 97-jährigen Frau K.,
die schon bereit war „hinüber“ zu gehen, dösend
„drüben“ zu schnuppern schien und sich gleichwohl
auf intensive musikalische Dialoge einließ. Niemals geht es
um Unterhaltung, die am „eigentlichen Leben“ hindert;
immer steht das „Eigentliche“ im Zentrum, das Leidecker
in der Transzendenz und individuellen Besonderheit des jeweiligen
Lebens sieht, die sich im Eigenschöpferischen verwirklicht
und in der Musik Resonanz finden kann.
Im Folgekapitel macht der Autor den Ansatz „Guided Imagery
and Music“ von Helen Bonny, den er in einem Weiterbildungszentrum
kennen lernte, für die Gruppentherapie fruchtbar. Innere „Reisen“
mit Musik unterschiedlicher Qualitäten führen dabei vom
anfänglichen Schutzbedürfnis über Öffnung und
Aufbruch zu Selbst-Begegnungen und schließlich zu Ruhe, Dankbarkeit
und der Wiederhinwendung zum Alltag. Darüber hinaus reflektiert
Leidecker ausgewählte Grundmerkmale von Musik und gibt Hinweise
zur Professionalisierung der „Begleiter“, sprich: Therapeuten,
etwa zur intuitiven und morphologischen Analyse von Musikstücken
für die Therapie. Psychologische Hintergründe (Strobel,
Grof) werden hier nur angedeutet oder erwähnt, nicht aber weiter
entfaltet. Der eher knappe Umfang der Schrift hätte hier sicher
noch Raum für Vertiefungen geboten.
Im Kapitel zur „Akustischen Ökologie“ wird in
Anlehnung an Murray Schafer die Welt als Komposition und die menschliche
Gemeinschaft als akustische Gemeinschaft verstanden. Leidecker beklagt
die akustische Isolation des modernen Menschen und sieht die Wiederermöglichung
des Hörens in einer intakten Lautsphäre als Aufgabe der
Musikpädagogik an. In seiner eigenen Arbeit verfolgt er dieses
Ziel mittels der Gruppenimprovisation, kreativer Entspannungstechniken
und der Beschäftigung mit musikanthropologischen Fragen.
Das folgende, aus einem Vortrag erwachsene Kapitel bringt Thesen
zur Elementaren Musik, die diese im Sinne einer Selbstaktualisierung
und Selbstverwirklichung des Menschen beschreiben. Anschließend
skizziert Leidecker resümierend Arbeitsbegriffe einer „personalen
Musikpädagogik“. Im letzten Teil finden sich schließlich
40 Thesen zur Musik im Märchen aus Leideckers gut 20 Jahre
zurückliegender Dissertation. Zum Ausklang bietet der Autor
ein Gedicht über das Kettenkarussell an, das als Bild einer
Stimulation und Veränderung durch Musik interpretiert werden
kann. Wie diese Zeilen, so will das ganze Büchlein nicht nur
rational begriffen, sondern auch als Einladung zum Nachspüren
verstanden werden.