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nmz 2004/07 | Seite 30
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Verband Bayerischer
Sing- und Musikschulen

Die nie enden wollende Lust am Gestalten

Ein Interview mit dem ehemaligen VBSM-Geschäftsführer Werner Mayer

Er ist der Mann, der in den vergangenen 34 Jahren seines Lebens die Entwicklung des bayerischen Musikschulwesens entscheidend mit vorantrieb: davon 31 Jahre als VBSM-Geschäftsführer und 24 Jahre als Leiter der VBSM-Beratungsstelle. Werner Mayer ist 1941 in Heilbronn geboren. Bereits im ersten Lebensjahr kommt er nach Weilheim, besucht dort die Volksschule und das Weilheimer Gymnasium. Da der Vater Gotthold Mayer, Kaufmann von Beruf, die musikalischen Ambitionen seines Sohnes eher kritisch sieht, studiert er zunächst einmal zwei Jahre Jura. 1962 wechselt der leidenschaftliche Kontrabassist doch zur Musik über und absolviert das Musikstudium am Richard-Strauss-Konservatorium in München. 1966 beginnt Werner Mayer seine berufliche Laufbahn an der Städtischen Musikschule Weilheim und übernimmt schließlich im Jahre 1968 die Leitung der Weilheimer Musikschule. Seine Verbandskarriere startet 1970 als Kassenverwalter des neu gegründeten VBSM. Seit 1973 ist er Geschäftsführer und seit 1980 Beratungsstellenleiter. Werner Mayer, VBSM und Weilheim werden zum Synonym für die rasante Musikschulentwicklung und das bayerische Musikschulwesen.

VBSM: Herr Mayer, der Präsident des Bayerischen Musikrates, Wilfried Anton, bezeichnete Sie in seiner Rede anlässlich der Feierstunde zu Ihrer Verabschiedung Ende Mai in Weilheim als „Urgestein“ des bayerischen Musikschulwesens. Sie waren Gestalter, Motor und Vordenker. Was hat Sie an der Idee Musikschule so fasziniert, dass Sie Ihr berufliches Leben voll und ganz der Verwirklichung dieser Idee gewidmet haben?
Werner Mayer: Damals kannte ich Musikschulen nicht. Während meines Musikstudiums habe ich durch Zufall mitbekommen, dass es in München eine Musikschule gibt und gleich eine Anstellung gewittert, von der ich leben könnte. Ich gab in mehreren Zweigstellen Instrumentalunterricht in verschiedenen Fächern. Erst als ich an die Musikschule in Weilheim kam und dort die Leitung übernehmen sollte, wollte ich mehr über die Musikschule erfahren. Es gab den Verband deutscher Musikschulen, es gab Materialien und es gab einen Strukturplan mit Textanhang. Darin wurde die Musikschule als eine der allgemein bildenden Schule so nahe wie möglich kommende Bildungseinrichtung mit klaren Anforderungen beschrieben.

VBSM: Das also sollte Musikschule sein?
Mayer: Ja. Viele von uns hatten einen „komischen Apparat“ zu Hause: einen Verein, der einige Fächer angeboten hat. Wir haben dafür gesorgt, dass es Musikunterricht gab – mehr nicht. Die Entwicklung der inneren Struktur ist zunächst einmal das Verdienst des Verbandes deutscher Musikschulen. Aber auch in Bayern gab es bereits eine Bekanntmachung des Kultusministeriums, die verbindliche Strukturen enthielt. Angehängt waren ein Satzungsmuster, eine Musterschulordnung und Lehrpläne. Das heißt, wir hatten eine Bundesstruktur und eine Struktur auf Landesebene, die umgesetzt und erfüllt werden mussten. Wir haben das gemacht und tun dies bis heute.

VBSM: War Ihnen von Anfang an bewusst, wie wichtig Strukturen für die außerschulische musikalische Bildung sind?
Mayer: Mir war klar, dass ähnlich einem Firmenaufbau gewisse Dinge zusammen stimmen müssen. Ein Gebilde kann nicht nur etwas Amorphes, Zufälliges sein, sondern es muss einen inneren Halt haben. Eine Bildungseinrichtung, die sich mit Kunst beschäftigt, braucht Grundstrukturen, um das vorgeben zu können, was für eine gesunde musikalische Bildung notwendig ist.

VBSM: Landrat Hanns Dorfner nannte Sie ein „Energiebündel“ und meinte, Ihnen würde die 38,5 Stundenwoche so viel Spaß bereiten, dass Sie sie wöchentlich gleich zweimal absolvierten. Sind Sie ein Workaholic?
Mayer: Das Wort mag ich nicht. Ich habe alles gerne gemacht. Aber niemals im Sinne einer Sucht und nie unter Zwang, sondern immer mit einer großen Lust am Gestalten. Ständig ist mir etwas eingefallen, was ich noch tun oder was ich besser machen könnte – das geht mir bis heute so.

VBSM: Vergleicht man das bayerische Musikschulwesen 1970 und 2004 miteinander, was ist der Unterschied?
Mayer: 1970 haben insgesamt 67 Einrichtungen – darunter hochentwickelte Einrichtungen wie auch „letzte Klitschen“ – in der Musikhochschule in München den bayerischen Landesverband aus der Taufe gehoben. Heute können 220 Musikschulen eine kontrollierte und aufbauende Unterrichtsstruktur vorweisen, verfügen über einen ausgebauten Grundfächer-, Instrumental- und Ensemblebereich und arbeiten in geregelten Rechtsverhältnissen. Musikschulen arbeiten heute nur mit Fachpersonal. 1970 hätten Hochschulen keine Gitarren- oder Flötenlehrer ausgebildet. Sozialermäßigungen sind heute Standard. Das Veranstaltungswesen gehört zum Alltag der Musikschulen.
Die leisten oft regelrecht Lokomotivarbeit, sie schieben das kulturelle Leben in einer Kommune ganz schön an. Der allergrößte Unterschied liegt aber in den rechtlichen Grundlagen. Wir haben heute mit der Verankerung im Unterrichts- und Erziehungsgesetz, mit der Schulaufsicht der Regierungen und mit der Sing- und Musikschulverordnung des Kultusministeriums rechtliche Rahmenbedingungen, die einen Schutz des Namens „Musikschule“ herbeigeführt haben, und wir haben staatliche Mitverantwortung.

VBSM: Und wie hat sich die allgemeine Stimmung in den Musikschulen entwickelt?
Mayer: Damals war Aufbau angesagt, heute ist Unsicherheit an der Tagesordnung. Ich habe damals nicht geahnt, welchen Riesenaufbau im Gesamten wir vollzogen. Heute ist es ein sorgenvolles Dasein in relativ guten Verhältnissen. Es ist vieles da, und doch ist alles gefährdet.

VBSM: Haben sich die Bedürfnisse der Kinder verändert?
Mayer: Nicht die Bedürfnisse der Kinder haben sich verändert, sondern die Erwartungshaltungen der Pädagogen und Eltern. Sie lassen die Kinder nicht in Ruhe, wollen immer früher mit der musikalischen Ausbildung beginnen. Das habe ich nie mitgemacht, weder in meiner Musikschule noch in der Verbandsarbeit. Ich bin aber davon überzeugt, dass eine Zeit kommen wird, in der man den Kleinen wieder mehr Ruhe gewähren wird.

VBSM: Worin liegt der bleibende Wert der Musikschule?
Mayer: Die Bildungseinrichtung Musikschule zeichnet einen Weg vor, der meiner Meinung nach für 98 Prozent der denkbaren Kundschaft der richtige ist. Ein Weg, der in einer großen Breite dem wenig, dem besser und dem sehr begabten Kind die Möglichkeit gibt, erstens Basisfähigkeiten zu erwerben und zweitens in einer dauerhaften und zuverlässigen Breite ein instrumentales Fachangebot wahrzunehmen. Und das unabhängig von Lehrpersonalveränderungen. Die Musikschule wird dem einzelnen Kind gerecht. Je nach Leistungsstand und Bedürfnis kann der Schüler entweder in der Gruppe oder im Einzelunterricht gefördert werden, schließlich verfügt die Musikschule über einen erheblichen „Schülerpool“ – die Zusammenstellung macht´s. In diesem Zusammenhang hat die Musikschule einen großen Vorteil: Sie kann Breite mit Spitze verbinden. Wir vermitteln zunächst eine Grundausbildung und bauen im Anschluss Schritt für Schritt darauf auf.

VBSM: Massive Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand spielen eine immer größere Rolle für die Musikschulen. Wie sollen die Musikschulen darauf reagieren?
Mayer: Dafür gibt es kein Rezept. Die örtlichen Verhältnisse sind sehr unterschiedlich. Die Musikschulen müssen akzeptieren, dass sie als freiwillige Leistung in einer Zeit, in der objektiv die Gelder weniger zur Verfügung stehen, etwas weggeben müssen. Nun müssen sie sich überlegen, was sie abgeben wollen. Ein Musikschulleiter muss sich fragen: Was will ich erreichen, und was muss ich vom Leistungsempfänger dafür erwarten? Welches Ensemble arbeitet wirklich so, wie ich es erwarten muss? Strengeren Maßstab ansetzen und pädagogische Gesichtspunkte mit finanziellen Gesichtspunkten kombinieren – unter diesen neuen Vorzeichen müssen wir denken. Und noch eines: Wir müssen rechtzeitig denken. Viele von uns leben in zu großen Ängsten und stecken gleichzeitig zu lang den Kopf in den Sand. Wir sollten ein Gespür dafür entwickeln, was im politischen Umfeld und was in der eigenen Musikschule geschieht und schnell darauf reagieren. Ganz entscheidend ist unsere ständige Präsenz in der Öffentlichkeit. Das, was gut ist, müssen wir immer wieder zeigen.

VBSM: Werden Strukturveränderungen notwendig?
Mayer: Die Grundstruktur ist aufwandneutral. Nehmen wir zum Beispiel eine Musikschule mit 100 Schülern. 60 Prozent lernen ein Instrument, 20 Prozent sind im Grundfachbereich und 20 Prozent im Ensemblefächerbereich. Muss ich die Musikschule verkleinern, kann ich jederzeit die Struktur erhalten, ich muss nur alles kleiner machen. Oder aber ich belasse die Grundfächer so groß wie sie sind, dann wird der Instrumentalbereich kleiner und auch der Ensemblebereich, weil es nicht mehr so viele Instrumentalisten gibt. Die wichtige Strukturanforderung – das Kind zuerst ein Jahr lang im Grundfach zu unterrichten, bis es zur Instrumentalausbildung kommt – muss ich keineswegs verändern.
Im Gegenteil, ich kann diese Anforderung viel überzeugter aufrecht erhalten: Wir haben nur noch wenige Mittel, wir nehmen nur noch Kinder die in der Musikalischen Früherziehung oder in der Grundausbildung waren. Was also bislang schon immer gegolten hat, können Musikschulen jetzt noch viel überzeugender sagen: Liebe Leute, wird sind keine Bedürfnisbefriedigungsanstalt, in der es ausschließlich Abholware gibt – dafür sind andere zuständig. Wir haben noch immer einen öffentlichen Auftrag und wir müssen das Geld im Sinne einer öffentlichen Bildungseinrichtung verbrauchen, und zwar nach immer engeren Kriterien, das bedeutet: Die Strukturen werden wichtiger.

VBSM: Beschreiben Sie uns den Musikschullehrer. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen muss jemand mitbringen, der den Anforderungen eines Musikschullehrers in Zukunft optimal gerecht wird?
Mayer: Es gibt nicht den Musikschullehrer. Es gibt Spezialisten, die auf unterschiedliche Art und Weise mit den Strömungen der Zeit gehen. Ein erfolgreicher Lehrer ist jemand, der weiterlernt. Ein Musikschullehrer versauert, wenn er 40 Jahre lang Kindern Gitarre beibringen soll und selber nichts mehr zu seiner Lust, zu seiner Vervollkommnung und seinem eigenen Wachsen tut. Das macht ihn lebendig für seinen Unterricht und interessant für seine Schüler. Denn die Schüler spüren und wissen genau, ob der Lehrer hinter seinem Instrument steht. Ich wünsche meinen Kolleginnen und Kollegen, dass sie ihren Ausbildungsweg weitergehen, dass sie sich Anregungen von vielen Seiten holen, Orchestererfahrung sammeln, Kurse belegen und Kontakte pflegen. Je besser sie ausgebildet sind, je mehr Türen sie öffnen, desto länger halten sie den Atem des beruflichen Lebens durch.

VBSM: Wie werden Musikschulen in Zukunft ihre Stärken vermitteln können?
Mayer: Musikschule muss sich als Bildungseinrichtung für die Jugend, als Kulturvermittler und -pfleger ernst nehmen. Wenn Musikschule weiß, was sie ist, was sie will, dem Neuen eine Chance gibt und sich nicht von äußeren Umständen irgendwelche Ausreden einholt, dann steigt ihr Ansehen. Ein Pianist, der nur im klassischen Bereich tätig ist, wird sich innerhalb der Musikerziehung eben auch mit zeitgenössischer Musik beschäftigen müssen. Eine große Stärke der Musikschule ist es, dass sie nicht im Formalen hängen bleibt, sondern Phantasie aufwendet. Nehmen wir die Zusammenarbeit mit allgemein bildenden Schulen als Beispiel. Die Schulen brauchen uns im Grunde nicht, aber wir brauchen die Schulen. Deshalb warten wir nicht, bis die Schule sagt, was sie will. Wenn wir auch zunächst keinen Einfluß auf die Gestaltung des Stundenplans haben, bringen wir uns ein. Denn, stecken wir erst in einer von uns initiierten Kooperation, wird die Schule auch darauf Rücksicht nehmen.

VBSM: Musikschulen müssen schließlich ihren Bildungsgegenstand in die Welt hinaus tragen.
Mayer: Ganz klar. Wir haben die Aufgabe, etwas zu bieten und nicht nur zu erfüllen, was andere verlangen. Im Vergleich mit den Schulen sind wir formal der schwächere Partner, obwohl wir so viel zu bieten haben.

VBSM: Was wünschen Sie den Musikschulen für die Zukunft?
Mayer: Eine eigenständige Verankerung im bayerischen Unterrichts- und Erziehungsgesetz und eine eigene Lehrgangs- oder Schulform Musikschule. Ich wünsche den Musikschulen die angestrebten 25 Prozent Lehrpersonalkostenanteil durch den Staat, um das restliche Drittel der bayerischen Bevölkerung erreichen zu können. Wünschenswert ist, dass vergleichbare musikalische Bildungsbedingungen bei grundsätzlicher kommunaler Verantwortung im ganzen Land geschaffen werden. Dabei kann die Musikschule freiwillige Leistung bleiben, sonst könnte es qualitativ den Bach runtergehen. Wir müssen wie Bergfichten unsere Nahrung immer mühsam zusammen suchen, um dauerhaft stark zu bleiben.
Und noch einen Wunsch habe ich: Der Fachverband der Musikschulen möge immer wieder Menschen in Funktionen finden, die sich verantwortungsvoll, visionär und mit großem persönlichen Engagement für die Weiterentwicklung des bayerischen Musikschulwesens einsetzen.

VBSM: Herr Mayer, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute!
Das Gespräch führte Susanne Lehnfeld

 

 

 

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