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nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 29
53. Jahrgang | Juli/Aug.
ver.die
Fachgruppe Musik
Wenn der Agent… – pennt
Liebe zur Musik? Über Independent Labels, Teil II ·
Von Udo Feist
EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti und seine Kommission scheinen
nun doch keine Bedenken mehr zu haben, der Fusion zwischen den Musiklabels
Sony Music und BMG den europäischen Segen zu erteilen. Es wäre
ein Zusammenschluss mit Folgen: Die Fusion würde das neu entstehende
Label Sony-BMG oder BMG-Sony oder Sonymann zum größten
Musiklabel der Welt machen. Nach aktuellen Zahlen der IFPI ist der
Marktanteil des derzeitigen Weltmarktführers Universal auf
23,5 Prozent gefallen. Sony-BMG hätten miteinander 25,1 Prozent
(auf den Plätzen drei und vier folgen EMI mit 13,4 Prozent
und Warner Music). Die Fusion wird jedoch die wichtige Rolle der
Independent Labels beim Künstleraufbau nicht überflüssig
machen. Lesen Sie Teil II von Udo Feists Artikel über die Indies
(Teil I in nmz 06/04).
Gerade ist der Sampler „Müssen alle mit 2“ erschienen,
der unter anderem Geschmeido, Schorsch Kamerun, Tomte und Knarf
Rellšm an Bord hat. Ein ästhetisches Programm wie bei
den sich ideologisch von den Majors abgrenzenden Indies der 70er
und 80er ist das noch nicht. Gegründet von Musikern, Fans und
Journalisten aus dem Umfeld von Punk und Wave hatten sie die erste
Hochzeit der Indies eingeleitet – aus pragmatischer Notwendigkeit,
um selbst über Inhalte und Produktion zu entscheiden, wie aus
Protest gegen den (Selbst-) Ausverkauf der Superrockgruppen ans
Big Business. So konnte man damals fast unbesehen allem trauen,
wo Factory, 4AD, SST oder Rough Trade draufstand. – Ein großes
Versprechen von großer Musik zu kleinen Budgets ist Tapete
heute aber auch längst.Kooperationen mit einem Major (die es
nach wie vor gibt, etwa bei „Wir sind Helden“, die von
„Labels“ bei EMI vermarktet werden) lehnt Darmstaedter
jedoch ab: „In einer funktionierenden Nahrungskette wäre
das okay, weil kleine Firmen manches nicht schaffen. Mittlerweile
bedienen Majors aber eine ganze Ebene nicht mehr. Derzeit wäre
es das Schlimmste, was du einer Band antun kannst, sie einem Major
zu vermitteln. Das ist der Tod – da findet keine Betreuung
statt. Letztlich interessiert es Majors nur ab 40.000 aufwärts.
Und wer verkauft heute, bitte schön, in Deutschland 40.000
Platten?“
„Wir sind Helden“ zeigen aber, dass die Grauzone nicht
diffus sein muss. Die Band hatte auf dem Label Supermodern bereits
die 5-Track-EP „Guten Tag“ veröffentlicht, die
in vielen Radiosendern lief, jedoch keine Firma, die zu ihren Konditionen
ein ganzes Album produzieren wollte. „Aber“, sagt Sängerin
Judith Holofernes, „wir waren in der glücklichen Lage,
uns einen Deal aussuchen zu können, da wir ja bereits ohne
Plattenfirma im Rücken sehr viel erreicht hatten“. Den
Zuschlag erhielt Christof Ellinghaus, Chef von Labels Germany. Für
die „Helden“ war er zugleich Wunschkandidat. In der
Szene genießt Ellinghaus seit 1990 mit dem auf „Americana“
spezialisierten Berliner Label City Slang einen guten Indie-Ruf
(er brachte die damals unbekannten Nirvana in Deutschland heraus
und verhalf dem Mariachi-Sound von Calexico sowie The Notwist zur
soliden Anerkennung).
Mit „Labels“, einem europäischen Independent-Verbund
unter dem Dach von Virgin/EMI, praktiziert Ellinghaus seit rund
zwei Jahren ein Bündnis zwischen groß und klein. Dort
sind inzwischen so viele Acts erschienen wie bei manchem Major in
einer Dekade nicht. Das hat offenbar auch die Bosse überzeugt:
EMI gibt nämlich den Standort München auf (63 Entlassungen)
und führt Virgin nun von Berlin aus weiter – unter einem
Dach mit „Labels“ und „Mute“ (wo Depeche
Mode oder Nick Cave erscheinen) und mit Tina Funk (Mute) und Ellinghaus
an der Spitze. Sicher keine ästhetische Konversion, aber zweifellos
doch die Einsicht, dass Musikbegeisterung nicht mit ökonomischer
Irrelevanz einhergehen muss.
Glaube an den Sieg der Besseren im Pop verbindet denn auch die
erste mit der zweiten Indie-Blüte. Wie die sich entwickelt?
Ermutigendes gibt es genug, herausragend das triumphale Comeback
des 2003 verstorbenen Johnny Cash. Sein langjähriger Major-Partner
CBS hatte ihn gefeuert, als er kaum noch verkaufte. Dann kam die
Renaissance, eingeleitet mit dem Album „American Recordings“
– Cash mit Düstersongs zur Gitarre, die vor Kraft und
kalter Wut barsten, betreut von Punk-Produzent Rick Rubin, der zuvor
mit Beastie Boys, Slayer oder Red Hot Chili Peppers gearbeitet hatte.
Das Album erschien (wie drei weitere – alle mit Preisen überhäuft
und gut verkauft) auf Rubins eigenem Indie „American Recordings“.
Manche haben laut gejubelt, viele still genossen und alle gedacht:
Siehste! Prophetisch nahm’s gar der bayerische Schriftsteller
und Musikenthusiast Franz Dobler, der 2002 zu Cashs 70. Geburtstag
im „Gentelmen’s Quarterly“ schrieb: „Als
düsterer Prediger eroberte er sogar ein neues, junges Publikum
– und war damit ein Alptraum für die, die Musik nur als
Gold interessiert. Jesus, werden die geflucht haben, warum hast
du uns nicht diese Idee gegeben! Aber Rubin hatte keine Idee gehabt,
sondern das, was ihnen fehlte. Respekt, Verständnis, Intelligenz,
Wissen, Courage, Vertrauen, Zuneigung.“