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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 26
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Arbeitskreis
Musik in der Jugend
Gilgamesch: Oder wenn Götter tanzen lernen
Fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Komponist und Kinderchor
Schon seit 1995 versucht der Arbeitskreis Musik in der Jugend sich
besonders für neue Musik für Kinder- und Jugendchöre
zu engagieren. Er rief ein Projekt mit dem Namen: „Komponisten
schreiben für Kinder- und Jugendchöre” ins Leben,
das zum Ziel hat, neue Impulse in der Chormusik zu setzen. Es werden
Kooperationen zwischen einem Komponisten oder einer Komponistin
und einem Chor gebildet, die ein Jahr zusammen arbeiten sollen,
um ein neues Stück gemeinsam (!) zu erarbeiten.
Zwischen dem ökumenischen Kinderchor aus Neustadt an der Weinstraße
und Uli Führe kam es zu einer intensiven Begegnung, aus der
heraus nicht nur ein neues Projektstück, sondern ein ganzes
Musical zur Uraufführung kam. Jörg Ehni, der den Text
zu diesem Werk geschrieben hat, berichtet von seinen Erfahrungen:
„Kennst du Carola Bischoff?“ fragte mein Freund Uli
Führe. „Sollte ich sie kennen?“ fragte ich zurück.
„Sie macht unseren GILGAMESCH.“ – „Was?
Wo? Wann?“ – „In Neustadt an der Weinstraße,
am 18. September!“ – „Mit wem?“ –
„Mit einem Kinderchor“. – „Wie bitte?“
– „Jungen und Mädchen, sechs bis zwölf Jahre
alt.“ – „Du spinnst wohl, das ist unmöglich.
Das geht nie!“ – „Es geht. Ich war bei einer Probe
dabei.“ – „Bist du sicher?“ – „Ziemlich
sicher.“
So kam ich Mitte Juni nach Neustadt: Es war Donnerstag und ich
kam zur GILGAMESCH-Probe mit der Kinderkantorei. Die Kinder sangen
wie die Nachtigallen. Dabei sind die Chöre nicht gerade einfach,
und bei den Solisten gibt es ausgesprochen haarige Stellen. Kein
Problem für Carola Bischoffs Kinder. Sie sangen so sicher,
so selbstbewusst und mit einer solchen Freude, dass ich am liebsten
gleich mitgesungen hätte.
Dann kam der Abend der Aufführung. Die Generalprobe war noch
eine richtige, dreistündige Arbeitsprobe gewesen, aber jetzt
lief alles wie am Schnürchen. Ich hatte den Text am Schreibtisch
in den PC geschrieben. Nun konnte ich hören und sehen, ob und
wie er sich bewährte.
Die Aufführung war gut besucht. Natürlich war viel Verwandtschaft
der Kinder da. Ein „Heimspiel“ also. Trotzdem waren
Spieler und Publikum ernst und konzentriert bei der Sache. Das Spiel
hatte von Anfang an Tempo und Temperament. Es war farbig und abwechslungsreich.
Sentiment und Spannung ergänzten sich zu einer guten Mischung.
Ulis Musik brachte die Stimmungen wunderbar zum Ausdruck. Ich kenne
ihn schon lange, aber ich bewundere immer wieder, wie sensibel er
dem Text nachspürt und seine Nuancen zum Erklingen bringt.
Viele Lieder meint man sofort nachsingen zu können. Man meint.
Aber so einfach ist das nicht. Denn die Einfachheit ist raffiniert
komponiert und alles andere als banal.
Souveräne Protagonisten
Der Kinderchor (das Volk von Uruk) sang sauber und sicher in allen
Bereichen. Auch die Solisten sangen ausgezeichnet. Sie hatten, kaum
sichtbar, Mikrofone versteckt, die gut eingestellt waren und gute
Dienste leisteten. Besonders bei Gilgamesch stand der wilde Bart
in einem fast grotesken Gegensatz zu der hohen Kinderstimme. Aber
das war nicht störend. Es gewann einen eigenen Reiz und eine
ganz spezifische ästhetische Qualität.
Das Liebespaar Enkidu und Shamat löste manches Tränlein
aus. Es war unbeschreiblich rührend, wie diese beiden miteinander
umgingen, sich ansahen, sich streichelten und ihr Liebeslied sangen.
Sie liebten sich in diesem Augenblick wirklich und sie zeigten es
mutig und zugleich mit einer scheuen Befangenheit. Aber sie genossen
es auch. Shamat ist eine Spielerin, die echte Gefühle zeigen
kann, und Enkidu steht ihr kaum nach – eine Seltenheit in
diesem Alter.
Dann fegte die Liebesgöttin Ishtar mit einer Kraft und einem
Temperament über die Bühne, dass die Funken stoben. Es
hätte mich nicht gewundert, wenn die Glasfenster plötzlich
geborsten wären – bei dieser Stimme. Ihr Stier wurde
von einem Erwachsenen gespielt. Das passte zur Rolle, weil die so
unterschiedlichen Kraft- und Größenverhältnisse
zutreffend dargestellt werden konnten. Ishtar hatte ihre liebe Mühe
mit dem Riesenvieh, und die beiden Kämpfer Gilgamesch und Enkidu
hingen wie Flöhe an seinem zottigen Pelz. Auch der Fährmann,
gespielt von einem jungen, schwarz geschminkten Mann, mit schwarzem
Mantel und Schlapphut, wirkte mit seiner tiefen Stimme und durch
seine Größe als unheimlicher und allmächtiger Herr
über Leben und Tod. Carola Bischoff führte die Sänger
und Spieler sicher durch alle Untiefen und Felsenriffe. Caroline
Leibfried begleitete am Klavier und spielte ihren schwierigen Part
scheinbar mühelos.
Das Publikum fand kaum eine Stelle für Zwischenbeifall, denn
es ging immer gleich weiter, und man wollte ja nichts versäumen.
Eine Stunde und vierzig Minuten saß es mitsamt den mitgebrachten
Kindern gebannt in den Kirchenbänken und ließ die Musik
und die Bilder der alten, archaischen Geschichte fast andächtig
auf sich wirken. – Dann brach der Beifall los. Ein großes
Erlebnis für alle. Und für mich eine wunderbare Uraufführung.