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Ausgabe 2004/12
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nmz 2004/12 | Seite 39
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Oper & Konzert

Lieder und Bilder, Trennungsstriche und Konjunktionen

Audio-visuelle Mischformen bei der neu konfigurierten Berliner Reihe „Konzerte | Oper 04“

Früher besaßen die Berliner Festwochen Themenschwerpunkte im Bereich Musik und waren alljährlich im September Marksteine des europäischen Festspielkalenders. Dann kam eine neue Leitung und wollte alles anders machen, um durch Experimente neue Publikumsschichten zu erreichen. Den Begriff „Festwochen“ behielt sie nur noch auf dem Briefkopf bei. Mit diesem Umbruch, dem Verlust der bisherigen Themenschwerpunkte und Veranstaltungsorte sowie der Ausweitung auf drei Monate vergraulte man bisherige Besucher, ohne neue zu gewinnen. Auf einmal standen die bisherigen Festwochen im Schatten neuer spektakulärer Festivals, etwa von Young Euro Classic oder der hochkarätig besetzten Türkei-Woche SIMDI NOW, und wurden kaum noch wahrgenommen. Angesichts leerer Säle bat Kulturstaatsministerin Christa Weiss für die vor allem vom Bund finanzierten Veranstaltungen um wieder stärker publikumsorientierte Programme. So entstand für diesen September die kammermusikalisch besetzte Reihe „Konzerte | Oper 04“, die zwar weiterhin den Festwochen-Begriff mied, eine programmatische Abstimmung mit den Philharmonikern aber nicht länger ausschloss.

Reinbert de Leeuw brachte neue Aspekte ein. Foto: Charlotte Oswald

Nachdem die „Berliner | Festspiele“ bisher bei MaerzMusik und JazzFest typographische Annäherungen bevorzugten, haben sie nun ihre Liebe zum senkrechten Trennungsstrich entdeckt. Trotz dieser (Berliner) Mauer zwischen Wörtern und Ziffern (auch in der Vorschau auf „04 | 05“) haben sie ihren Konfrontationskurs zur Vergangenheit und zu traditionellen Veranstaltungsorten aufgegeben. Auch die Reihe „Konzerte | Oper 04“ suchte nicht die Trennung von Konzert- und Opernaufführungen, die der Strich zu signalisieren scheint, die Splendid Isolation der Einzelteile, sondern Übergangs- und Vermittlungsformen. Wohl programmatisch stand deshalb das neue Werk „Interzone“ von Enno Poppe und Marcel Beyer am Anfang. Weder der Komponist noch der Dichter haben bislang im Opern-Bereich gearbeitet, weshalb sie diesen Begriff ebenso mieden wie den des Musiktheaters. Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit nannten sie im Untertitel „Lieder und Bilder“, damit die gattungsmäßige Zwischenposition, aber auch den Sieg des Visuellen über die Dichtung verratend. Dass man vom englischen Text, einer Adaption der Erzählung „Interzone“ von William S. Burroughs, kaum etwas verstand, schien unwichtig, da es nur „um das Gefühl des Übergangs, um die Existenz im Transitorischen“ ging. Die marokkanische Stadt Tanger war der Schauplatz für die Erzählung eines Bienenforschers. Viel mehr interessierte Marcel Beyer aber die Tonlage der Melancholie, während die Videokünstlerin Anne Quirynen von den Facettenaugen der Bienen schnell zu Fensterfronten amerikanischer Hochhäuser überwechselte. Musik, Sprache und Bild hatten für sich ihren Reiz, bildeten aber nicht plausible Zusammenhänge oder anregende Interaktionen. Trotz der Gleichzeitigkeit der Medien dominierte so der Trennungsstrich über das „und“, wurde die „Interzone“ zur „Inter|Zone“. Dies bedauerte man vor allem angesichts der faszinierenden Musik des in Berlin lebenden Enno Poppe mit ihrem klaren Gegenüber von Ensemble und Solo und einer „Bienenmusik“ von Countertenor, Bass und Sprecher im Zentrum. Poppes Material-Trilogie „Holz – Knochen – Öl“, die den seriellen Ansatz originell mit Klangvorstellungen des Spektralismus verbindet, kam in einem eigenen Konzert-Abend mit dem Klangforum Wien stärker zur Geltung.

Brecht und Weill, Hofmannsthal und Strauss – solche Idealkonstellationen ergeben sich nicht alle Tage. So wenig wie es bei „Interzone“ zwischen Enno Poppe und Marcel Beyer wirklich „funkte“, so wenig zwischen dem österreichischen Komponisten Johannes Maria Staud und dem deutschen Dichter Durs Grünbein bei ihrer Oper „Berenice“. Joachim Sartorius, der Intendant der Berliner Festspiele, und André Hebbelinck, ihr Musikchef, hatten diese zwei Künstler, die noch niemals für das Musiktheater gearbeitet hatten, zusammengebracht. Ihre Ratlosigkeit war dem bereits in München und Wien gezeigten Werk anzumerken. Die gleichnamige Erzählung Edgar Allan Poes, die Staud wegen ihrer dramatischen Spannung ausgewählt hatte, übernahm Grünbein über weite Strecken wörtlich. Die Hinzufügung weiterer Figuren wie die von Poe und eines ihn bedrängenden Vamps machte den Stoff nicht opernhafter, sondern steigerte nur die Textmenge. Überhaupt schien der Gattungsbegriff Oper verfehlt. Zu erleben war im Haus der Berliner Festspiele eine Art missglücktes Songspiel, eine Reihung von 27 Szenen, denen trotz musikalisch gelungener Songs (makellos gespielt vom Klangforum Wien) die dramatische Spannung fehlte, die die Autoren in die Gegenwart hatten übertragen wollen. Warum Egaeus seine Cousine Berenice so grausam entstellte, machten weder die langen Monologe noch die Videoprojektionen verständlich. Während die Titelfigur erst zum Schluss ihre Zähne verlor, war die Oper schon von Beginn an ohne Biss.

Wenn auch die Musiktheater-Versuche in diesem Jahr weniger überzeugten als 2003, so können doch die Bemühungen um audio-visuelle Vermittlungsformen nicht rundweg als gescheitert betrachtet werden. Dabei hatte der kleine Debussy-Schwerpunkt, der verwandte Philharmoniker-Programme Simon Rattles ergänzte, literarisch oder malerisch orientierte Werke gerade ausgespart. Debussys Streichquartett, gespielt vom Quatuor Diotima, wurde mit einem neuen, streng strukturell gedachten Werk von Hanspeter Kyburz kombiniert, während zwei Debussy-Sonaten unter dem Titel „Saariaho | Debussy“ mit zwei Werken Kaija Saariahos gekoppelt waren. Die Finnin will ganz bewusst Emotionen entfalten und mit ihren Hörern kommunizieren. Bei den tanzenden Vögeln aus dem Flötenkonzert „Aile du Songe“ gelang ihr das besser als bei der naiv-direkten Darstellung der Gefühle bei Liebe und Schwangerschaft in ihrer fünfsätzigen Komposition „Je sens un deuxiéme coeur“, deren Finale unter dem Titel „Ich spüre ein zweites Herz ganz nah an meinem schlagen“ („Doloroso, sempre con amore“) die Kommunikation zwischen Mutter und Kind beschreibt. Glücklicherweise hat die Komponistin hier auf die ursprünglich geplante Opernform verzichtet. Dass auch ihre Komposition „Graal théâtre“ trotz des Titels kaum dramatisch wirkte, mochte an dem wenig suggestiven Spiel des Geigensolisten John Storgårds gelegen haben. Bei „Continuum“ von Colin Matthews kam mehr Spannung auf, obwohl die Sopranistin Rikka Rantanen die Texte von Eugenio Montale fast unverständlich sang.

Das von Reinbert de Leeuw geleitete Asko & Schönberg Ensembles brachte erfolgreich neue Aspekte in die traditionelle Konzertform ein. Dies verdankte sich dem niederländischen Komponisten Michel van der Aa, dessen Kammeroper „ONE“ im Vorjahr Aufsehen erregt hatte. Nun war seine thematisch verwandte HERE-Trilogie in deutscher Erstaufführung zu erleben. Wie bei ONE wird der Gegenstand von Schönbergs Monodrama „Erwartung“, die Einsamkeit einer Frau, weiterentwickelt und mit dem Prinzip der Täuschung konfrontiert. Ging es in der Kammeroper beim verwirrenden Gegenüber von Bühnen- und Videorealität um die optische Täuschung, so jetzt um das Gegenüber von live erklingender und vom Band eingespielter Musik – um die akustische Täuschung. Der Gegensatz von Live und Konserve bestimmte auch die angedeutete „Handlung“: die Hauptfigur, die fabelhafte Sopranistin Barbara Hannigan, war im ersten Teil der Trilogie als Puppe in einem Schrank verborgen, bevor sie im zweiten leibhaftig das Konzertpodium betrat. In der Hand hielt sie einen Kassettenrecorder, der die aus elf Basisakkorden bestehende Musik aufnahm und plärrend wiedergab, aber auch die Live-Wiedergabe beeinflusste. Denn das Ensemble wiederholte plötzlich eine Motivkette, als sei es selbst eine gestörte Maschine.

Auch wenn die Sängerin ein Duett mit ihrer eigenen Aufnahme anstimmte, wurden Struktur und Handlung zur untrennbaren Einheit. Obwohl Michel van der Aa, ein Schüler etwa von Louis Andriessen, damit erneut eine eher schlichte Partitur vorlegte, lieferte er ein multimediales Konzept, das insgesamt wegen seiner Schlüssigkeit überzeugte.

Theatralische Momente besaß auch die Gesamtaufführung der Klavierstücke von Karlheinz Stockhausen. In der Klangregie des Meisters begann sie ausgerechnet am 11. September, wobei nun allerdings Kommentare zu den Ereignissen am World Trade Center wohlweislich unterblieben. Mehrfach konnte man an den drei Abenden die Entwicklung von der noch ganz von Webern geprägten Strenge zu einer dem Improvisatorischen und Theatralischen sich öffnenden Freiheit erleben. Dem perkussiven, gelegentlich hölzernen Spiel von Benjamin Kobler und Antonio Pérez Abellán stand die katzenhafte Eleganz von Frank Gutschmidt gegenüber. Der „neue Mensch“, den Stockhausen zufolge diese Klaviermusik ausbildet, ist also nicht notwendig ein uniformes Wesen. Waren am ersten Abend sogar die frühen Klavierstücke durch Lautsprecher verstärkt worden, so unterblieb diese Verfremdung glücklicherweise später. Notwendig waren Verstärkung und Klangregie dagegen bei allen Stücken, bei denen ein Synthesizer oder ein Tonband das Klavier beziehungsweise das Keyboard ergänzte. Unfreiwillig komisch wirkte das aus der Oper „FREITAG aus LICHT“ kondensierte Klavierstück XVII mit seinen jaulenden, an Mickey Mouse und Geisterbahn erinnernden Bandeinspielungen, während das aus der gleichen Oper gewonnene Klavierstück XVI durch einen viel größeren Reichtum an Bewegungsformen und Gesten beeindruckte.

Die drei Stockhausen-Veranstaltungen fanden im Haus der Berliner Festspiele, der ehemaligen Freien Volksbühne, auf der normalen Bühne und nicht auf der kleinen Hinterbühne statt. Wie hier das Parkett kaum zur Hälfte gefüllt war, so verloren sich an den anderen Abenden die Zuhörer im Kammermusiksaal der Philharmonie. Die prinzipiell richtigen Änderungen der Programmkonzeption haben sich auf den Besuch bislang kaum ausgewirkt, kaum auch auf die Presse, die weiterhin von den „früheren Festwochen“ spricht. Ob der Reihentitel „Konzerte | Oper 04“ bestehen bleibt, ist noch offen. Man befindet sich, wie es heißt, „in einer konzeptionellen Phase“. Der nächste September soll bei noch stärkerer Terminkonzentration ein internationales Orchestertreffen bringen. Die einstigen Festwochen verbünden sich damit wieder mit den Philharmonikern. Sie treten dann in Konkurrenz mit dem jüngeren und vom Publikum weitaus besser akzeptierten Festival Young Euro Classic.

Albrecht Dümling

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