Seit einigen Jahren hat sich der 1938 in Athen geborene Komponist
Dimitri Terzakis einer neuen Form der semantisch-musikalischen Erzählform
zugewandt, der Rapsodia, die etwa in „Daphnis und Chloe“
(1993/94), der 2000 entstandenen Platon-Vertonung „Mythen“
oder in „Hero und Leander“ erste Ergebnisse zeitigte.
Greift auf Sklalenformen
der Antike zurück: Dimitri Terzakis. Foto: privat
Der Grundgedanke sei eine Gattung zwischen Musiktheater und Kammermusik,
erklärt er. Die Rapsoden hatten in der griechischen Antike
einen bedeutenden gesellschaftlichen Stellenwert und ließen
sich damals sogar von einer Art Gewerkschaft vertreten. Es waren
Dichter, die ihre Vorträge, also Erzählungen, Berichte,
auch Fabeln oder Märchen mit Musik begleiteten. Der Begriff
Rapsodia bedeutet in etwa „Gesänge zusammennähen“.
Und in dieser Form sieht Terzakis eine Möglichkeit, die Form
der Oper, die gegenwärtig in einer Krise sei, auf andere Kombinationen
von Text und Musik hin zu erweitern. „Rapsodia ist kein Musiktheater,
aber auch keine Kammermusik. Sie passt in keinen Schubkasten. Die
Aktion kann improvisiert werden, oder inszeniert. Die Werke dieser
Gattung können im Konzert oder im Theater aufgeführt werden,
allerdings nicht auf der Bühne“, erklärt Terzakis.
Er stellt sich einen Raum vor, in dem sich das Publikum zum Akteur
nicht in der üblichen Bühnen-Zuschauer-Relation befindet.
Es könnte wie in einem Kaffeehaus verteilt sein, der Erzähler
könnte zwischen den Stühlen herumgehen. Terzakis spricht
von einer anderen Hörpsychologie, von unmittelbarem, engerem
aber auch entspannterem Kontakt. Geschichten sollen erzählt
werden, die von Humor, Witz, Lust auf Abenteuer wie auf Reflexion
getragen sind. Selbstverständlich bieten sich zunächst
ältere Stoffe, also Mythen und Sagen, auch philosophische Gleichnisse
dafür an. Denn diese Texte entstanden, als der erzählende
Vortrag noch allgemeiner künstlerischer Usus war (so wurde
auch vom Umfang her die Erzähldauer mitgedacht). Doch Terzakis
wünscht sich durchaus auch gegenwärtige Sujets, die sich
in die musikuntermalende Erzählform bringen lassen (und spricht
nicht auch der gegenwärtige Trend zu Hör-Kassetten oder
CDs dafür?) „Bisher habe ich antike Stoffe benutzt, doch
zeitgenössische schließe ich nicht aus, ja, ich bin sogar
auf der Suche. Wenn zeitgenössisch, dann original und nicht
beispielsweise Antigone als Krankenschwester, oder Prometheus als
Zahnarzt“, erläutert Terzakis.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Musik? Zunächst
stellt Terzakis klar, dass der Musik keine illustrierende Funktion
wie in manchen Programm-musikalischen Ansätzen zukommt. Die
Musik soll selbst zum Akteur werden, soll etwa in verschiedene Rollen
schlüpfen, soll in Interludien Zeiträume des reflektierenden
Entspannens (und Neu-Anspannens) schaffen. Beim Verfolgen des Wechselspiels
von Bedeutung und Musik erlernt der Zuhörer gleichsam Schritt
für Schritt ihr Vokabular. Der Schwerpunkt wird hierbei auf
die melodische Ausformung gelegt. In der Melodie sieht Terzakis
gegenwärtig die größten Möglichkeiten für
eine Ausweitung der musikalischen Sprache. Allzu sehr habe im Abendland
die Harmonie dominiert, hier sei die Musik heute an einem Erschöpfungszustand
angelangt. Diese Gewichtung habe der Melodie wesentliche Fähigkeiten
der Nuancierung geraubt, die sich nicht zuletzt in der melodisch
armen temperierten Stimmung niedergeschlagen habe. Terzakis verweist
auf die Schönheit und auf die differenzierende Gestaltungskraft
von Mikrointervallen, auf die Schattenwürfe von ihren Ungenauigkeiten
und strebt selbst immer wieder Linien an, die sich wegen ihres inneren
Reichtums gar nicht harmonisieren lassen. Dabei greift er auf Skalenformen
der griechischen Antike zurück und erweitert sie. „Die
Quelle ist das von Aristoxenos beschriebene Systima, nämlich
die Kombinationen von Tetrachorden verschiedener Strukturen (diatonikon,
chromatikon etc.). Dadurch und mit von mir erfundenen Tetrachorden
entstehen zahlreiche Skalen mit oft zwei tonalen Zentren und
gemischten Tongeschlechtern (etwa diatonikon mit enharmonion). Das
Letzte ist in der Musik der Antike unbekannt. Für das Klavier
benutze ich das Diatonon syntonon wie der Fall bei dem Instrument
Sandouri ist. Ich verzichte auf die Vertikale um die Linien sehr
flexibel entfalten zu lassen.“ Auf diese Weise entsteht eine
musikalische Gattung, die auf die zeitlichen Formen des Erzählens
Rücksicht nimmt, die Plastik und Tiefendimension des Inhalts
aber mit gleichsam sprechend musikalischem Gestus hervormodelliert.
Die bisherigen Ergebnisse (und ihre Wirkungen aufs Publikum) gaben
Terzakis Recht und ermuntern ihn, diesen Ansatz in weiteren Arbeiten
fortzusetzen.