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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 7
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz, Rock, Pop
Das Falschere ist schon mal das Richtigere
Was ist schon verkehrt? Ein Interview mit dem Sänger von
Cake, John Mc Crea
„I will survive“. Gloria Gaynor hat es damals geträllert.
Das war schön. 1997 wurde eine Band namens Cake mit einer Coverversion
voller Pauken und Trompeten, dicker Bässe und falscher Gitarren
auch hier in Deutschland bekannt. Das fünfte Album eben dieser
Amerikaner, die Rockmusik herrlich schräg mit Country-, Folk-,
Hip-Hop- , und anderen Elementen vereinen, ist raus. Und obwohl
sie in Deutschland bisher noch nicht den großen kommerziellen
Erfolg hatten (gut, „I will survive“ war mal irgendwo
irgendwann in den Single Charts, das Album „Fashion Nugget“
schaffte es 1997 auf Platz 49 und die Platte „Prolonging the
Magic“ 1998 auf Platz 84, aber richtig groß ist das
ja nicht), musste man schon die gute alte Blutgrätsche auspacken,
um ein Interview zu ergattern. Der Ansturm der Journalisten war
enorm. Was macht diese Band nur so interessant? Sänger John
Mc Crea im Visier der neuen musikzeitung.
nmz: Erzähl’ etwas von der neuen CD „Pressure
Chief“ John Mc Crea: Sie hält die Tradition der früheren
Cake-Platten aufrecht: wir haben sie selbst, ohne viel Einfluss
von außen, produziert. Anders als früher, richteten wir
uns jedoch das Studio und das ganze Equipment diesmal selbst ein,
was ein Album hervorbrachte, das anders ist als die bisherigen.
Eines, das von Leuten aufgenommen wurde, die zwar eigentlich nicht
wissen, wie man eine Platte aufnimmt, aber sehr wohl wie man Musik
arrangiert. Die Aspekte der Musik sind darum ein wenig „low-fi“,
was zwar nicht intendiert war, was ich aber sehr schätze, da
ich kein Fan von Überproduziertem bin.
nmz: Auf „Pressure Chief “ gibt es einiges
Ungewöhnliches. Zum Beispiel hört sich das Schlagzeug
auf diversen Tracks nicht echt an, ja wie in „Waiting“
erinnert es gar an einen waschechten Hip-Hop-Beat. Es sind auch
einige komische Keyboards und andere Sounds zu hören, die auf
den letzten vier Cake-Alben kaum oder gar nicht vertreten waren. Mc Crea: Wir wollten ein wenig herumexperimentieren. Das
kommt davon, dass wir keinen Tontechniker im Studio hatten, der
uns sagte, wie wir etwas zu machen hatten. Das führte auch
dazu, dass wir einige Regeln der Authentizität übertraten.
Außerdem haben wir ein ganzes Haus in ein Studio verwandelt.
Wir mussten also nicht jeden Tag von neuem die Keyboards oder große
Verstärker ins Studio schleppen wie früher. Das Equipment
war permanent da und deshalb konnten wir mehr experimentieren.
nmz: Cake Platten klingen so, als
würden die Instrumente manchmal durchaus gewollt falsch gespielt.
Mc Crea: Das ist sehr diplomatisch formuliert. Was ich die
ganze Zeit zu erklären versuche, ist, dass es kein „richtig“
oder „falsch“ gibt. Es ist eine Geschmackssache. Auf
meinen liebsten alten Blues-Aufnahmen hört man ungestimmte
Gitarren und ich denke, dass sie sich wohl nicht so gut anhören
würden, wenn sie perfekt gestimmt wären.
nmz: Heißt das also, dass die Gitarren bewusst nicht
richtig gestimmt sind, wenn Cake ins Studio gehen? Mc Crea: Nein, das sind sie natürlich größten
Teils schon. Aber manchmal, wenn wir merken, da klingt etwas nicht
ganz genau, müssen wir uns entscheiden, ob wir es „ausbessern“
müssen, oder ob es sich besser anhört, wie es ist. Im
Moment nehmen wir zum Beispiel einen Song auf, in dem ein richtig
altes Keyboard vorkommt, dessen Stimmung nicht zum Rest des Liedes
passt. Nun steht die Entscheidung an, ob wir es lassen wie es ist
oder nicht.
Ich glaube aber, ich werde es lassen; es gibt schon so viel Perfektion
auf dieser Welt. Wir sind pragmatisch in unserer Ansicht, Dinge
unperfekt zu lassen und das Hauptaugenmerk auf das zu legen, was
sich für uns gut anhört, im Gegensatz zu dem, was allgemein
als „richtig“ oder „falsch“ bezeichnet wird.
nmz: Was bedeutet der Albumtitel „Pressure Chief“? Mc Crea: Ich bin nicht sicher. Ich glaube, es geht darum,
wie sich die Dinge, kulturell momentan auf der ganzen Welt, vor
allem aber in den Vereinigten Staaten anfühlen. Es gibt viel
Druck, viel Autorität, und Zweifel darüber, wie die Dinge
wirklich sind.
nmz: Es geht aber in keinem der Titel der neuen Platte
direkt um Politik. Mc Crea: Es gibt eine Art Leitfaden auf dem Album: „Du
bist dein eigener schlimmster Feind“. Ich denke, dass dies
in gewisser Beziehung zu dem steht, was momentan in Amerika geschieht.
nmz: Aber was hat ein Lied wie die erste Single „No
Phone“ mit dem Refrain „No Phone, no Phone I just want
to be alone today“ mit dem „eigenen größten
Feind“ zu tun? Mc Crea: Es geht um die Probleme, die das Annehmen und das
gleichzeitige Abstoßen einer Sache hervorbringen. Es handelt
vom Krieg mit den eigenen Imperativen. Und das ist das Leitmotiv
dieses Albums, aber auch der ganzen Kultur.