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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 11
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Cluster
McGesellschaft
Dass die Kulturwellen des Rundfunks nicht mehr das sind, was sie
einmal waren, wissen wir und spüren es immer wieder neu. Dass
aber die so genannten Musiksender (gemeint sind Viva und MTV) mittlerweile
zu Gag- und Pseudo-Realitäts-Komposthaufen degenerieren, das
ist neu. MTV kündigt seine Sendung „MTV Spin“ und
Viva „Fast Forward“ (und damit Charlotte Roche). In
Zukunft soll es am besten gar keine Musik mehr geben zwischen 13
und 23 Uhr. Einerseits könnte man sagen: Prima, das war sowieso
nur Poprotation vom Langweiligsten und ging ohnehin nur nach Bezahlung.
Andererseits, ja andererseits, wird die Rotation von Musik nur
durch die Rotation von fehlendem Herz und Hirn ersetzt. Man wiederholt
Big Brother und füllt den Rest mit anderem Trash (das deutsche
Wort „Müll“ ist noch zu vornehm) aus. Sind die
Schlüpper der Susi wirklich pinkfarben, wer scheißt am
schnellsten, wie werde ich ein Star, wo gibt’s die nervigsten
Klingeltöne? Wir haben damals ja noch Klingelstreiche gemacht
und Zahnpasta unter Türklinken platziert und legen uns heute
einfach eine gepflegte Brahms-Sinfonie auf den Plattenteller. Was
heute den Jugendlichen per Fernsehen zugemutet wird, das hat eine
andere Qualität. Aber haben sie denn die Wahl? Andere suggerieren
ihnen doch auch nur, dass ein Bausparvertrag eben gerade nicht uncool
ist und dass zugleich weder Rente noch Gehalt noch Gesundheit sicher
sind. Wo Perspektiven fehlen, bricht die Panik aus. Panik ist aber
kein guter Ratgeber. Die Online-Enzylopädie Wikipedia über
Panik: „Panik ist ein akuter, extremer Angstzustand als Reaktion
auf eine tatsächliche oder scheinbare Bedrohung, der archaische
Notfallprogramme im Gehirn aktiviert. Besonders gefährlich
sind Massenpaniken, beispielsweise bei Feuersbrünsten, da die
Selbstkontrolle bei vielen Menschen gleichzeitig versagt und somit
Schwächere blindlings niedergerannt werden.“ (Und für
alle Kulturbeflissenen: der Begriff Panik leitet sich vom griechischen
Hirtengott Pan, ja genau der mit der Panflöte, her.)
Noch befinden wir und unsere privaten und öffentlichen Insititutionen
uns am Rande des Zentrum dieses medialen und gesellschaftlichen
Panikzyklons. Noch ist es fast ruhig, noch.