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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 16
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Forum Musikpädagogik
Umsatzsteuer und Elementare Musikpädagogik
Michael Dartsch zur Frage berufsvorbereitender Aspekte der Musikalischen
Früherziehung
Der Autor dieser Zeilen wurde im Dezember 2003 vom Ministerium
für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes aufgefordert,
eine Stellungnahme dazu abzugeben, „inwieweit die Musikalische
Früherziehung als berufsvorbereitende Maßnahme angesehen
werden kann“. Hintergrund der Bitte war die Frage, ob Lehrkräften
und Musikschulen für die Musikalische Früherziehung eine
Befreiung von der Umsatzsteuer gewährt werden kann. Für
den Instrumentalunterricht ist dies auf Grund seiner berufsvorbereitenden
Funktion möglich. In einigen Bundesländern wird eine solche
Befreiung unter Bezugnahme auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtes
Düsseldorf nun auch für die Musikalische Früherziehung
ausgesprochen. Der Autor dieser Zeilen möchte seine Stellungnahme
zu dieser Frage hiermit der Fachdiskussion zugänglich machen.
Die Musikalische Früherziehung ist als Elementare Musikpädagogik
mit Kindern im Vorschulalter zu verstehen. Als Fachkräfte für
diesen Unterricht darf man daher in erster Linie Absolventinnen
und Absolventen eines Studiums im Hauptfach Elementare Musikpädagogik
oder Rhythmik ansehen. Daneben gibt es qualifizierende Maßnahmen
des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) und einiger Fortbildungsakademien,
die jedoch nicht den Charakter eines Vollstudiums haben.
Wird die Musikalische Früherziehung von Fachkräften
in diesem Sinne unterrichtet, dann darf man dort folgende Inhaltsbereiche
erwarten:
Singen und Sprechen
Elementares Instrumentalspiel
Musik und Bewegung
Musikhören
Instrumenteninformation
Allgemeine Musiklehre
Zu den Lernzielen
Diese sechs Inhaltsbereiche werden im „Lehrplan Musikalische
Früherziehung“ des VdM (1994) beschrieben, weiter ausdifferenziert
und konkretisiert, so dass sich hier spezifische Lernziele herauskristallisieren,
die für alle Mitgliedsschulen des Verbandes verbindlich sind.
Der Verband deutscher Musikschulen darf als gewichtigster Musikschulverband
bezeichnet werden, gehören ihm doch rund tausend Schulen in
ganz Deutschland an, an denen etwa eine Million Schülerinnen
und Schüler Unterricht erhalten.
Lernziele der Elementaren Musikpädagogik finden sich natürlich
ebenso in der Fachliteratur; als beispielhaft sei das Buch „Elementare
Musikpädagogik“ von Juliane Ribke (1995) genannt. Es
lässt sich feststellen, dass die Zielebenen ebenso kognitiver
wie auch emotionaler Art, ebenso motorischer wie auch sozialer Natur
sind und damit alle wichtigen Dimensionen des Umgangs mit Musik
betreffen. Denn dazu bedarf es sowohl kognitiver, wie auch emotionaler,
sowohl motorischer wie auch spezifischer sozialer Kompetenzen. In
allen diesen Bereichen – und natürlich auch in motivationaler
Hinsicht – wird der Elementaren Musikpädagogik in der
genannten Fachveröffentlichung auch eine propädeutische
Funktion attestiert. Die Musikalische Früherziehung schafft
mithin Voraussetzungen für das Erlernen eines Instrumentes,
indem sie erste Einsichten in musikalische Zusammenhänge und
Strukturen sowie in die grafische Repräsentation der Musik
(Notation) vermittelt, den Kindern Musik als Mittel des persönlichen
Ausdrucks nahe bringt, spontanen musikalischen Ausdruck anregt und
die Ausdrucksmöglichkeiten der Kinder weitet, erste Erfahrungen
mit der Handhabung von Klangerzeugern und mit deren Einfluss auf
das Klangergebnis ermöglicht und schließlich das Aufeinanderhören
und -eingehen im musikalischen Prozess einübt. Ribke weist
darüber hinaus der sensorischen Sensibilisierung einen großen
Stellenwert zu.
So wird die propädeutische Rolle der Musikalischen Früherziehung
auch und besonders vom VdM (1994) betont. Im für alle Mitgliedsschulen
richtungweisenden Strukturplan steht die Musikalische Früherziehung
an erster Stelle der musikalischen Ausbildung. Erst danach ist der
Einstieg in den Instrumentalunterricht vorgesehen.
Zu den Voraussetzungen
Was in einem fachgerecht gestalteten Unterricht in der Musikalischen
Früherziehung geschieht scheint tatsächlich auch im Lichte
der einschlägigen empirisch gestützten und ausgerichteten
Forschungen eine Voraussetzung zu sein, auf der spätere spezialisiertere
musikalische Ausbildungen aufbauen. So zeigt Maria Manturzewska
(1990) in einer beachtenswerten Studie, dass auch die musikalische
Biografie professioneller Musiker mit einer Phase der sensorisch
emotionalen Sensibilisierung und des spontanen musikalischen Ausdrucks
beginnt. Nach den Studien von Keith Swanwick und June Tillman (1986),
denen in Fachkreisen ebenfalls eine hohe Bedeutung zukommt, gehen
dem musikalisch-formal ausgerichteten Erfinden von Musik Phasen
des Explorierens von klingendem Material und des imitativen Gestaltens
voraus (vgl. auch Gembris, 1998, S. 406). Der bedeutende amerikanische
Musikpädagoge Edwin Gordon schließlich sieht vielfältige
frühe Hörerfahrungen, das imitative Singen und das eigenständige
Spiel mit gehörten und gelernten musikalischen Mustern als
unverzichtbare Voraussetzungen des „Denkens in Musik“
(er prägte dafür den Fachbegriff „Audiation“)
an (1990). Gordon geht sogar so weit, zu postulieren, dass das musikalische
Potenzial eines Kindes mit jedem Tag weniger wird, an dem es kein
musikalisches „Futter“ bekommt. Da sich das musikalische
Potenzial (die „Aptitude“) etwa im Alter von neun Jahren
verfestige, vertritt und praktiziert er eine möglichst frühe
Förderung der kindlichen Musikalität und hat dafür
pädagogische Leitlinien entworfen, die auch in deutschen Fachkreisen
der Elementaren Musikpädagogik mit großem Interesse aufgenommen
werden.
All das legt nahe, dass typische Inhalte der Musikalischen Früherziehung
– hier war von sensorischer und emotionaler Sensibilisierung,
spontanem musikalischen Ausdruck, Materialexploration, imitativem
Gestalten, reicher Hörerfahrung sowie von imitativem und freiem
Singen die Rede – ein unerlässliches Fundament für
die musikalische Entwicklung und Förderung darstellen, auf
das die Instrumentaldidaktik schwerlich verzichten kann (vgl. Dartsch,
2002). Komplettierend sei noch auf die Studie Hans Günther
Bastians mit dem Titel „Jugend am Instrument“ (1991)
hingewiesen, die zeigt, dass ein nicht geringer Anteil erfolgreich
musizierender Jugendlicher in der Musikalischen Früherziehung
nach eigener Auskunft prägende Schlüsselerlebnisse für
die weitere Laufbahn erhalten hat. Es ist davon auszugehen, dass
Musiker, die keinen Unterricht im Fach Musikalische Früherziehung
genossen haben, die erforderlichen Grundlagen mittels ähnlicher
Anregungen in einem förderlichen Elternhaus erfahren konnten
– etwa indem dort gesungen, getanzt, Musik gehört, immer
wieder einmal etwas erklärt oder gezeigt und jede musikalische
Aktivität des Kindes mit Wohlwollen und Ermutigung begleitet
wurde.
Der Argumentation des Verwaltungsgerichtes Düsseldorf folgend,
wie sie auf Seite 7 des Urteils mit dem Aktenzeichen 25 K 5979/02
(2003) zum Ausdruck kommt, das auf Grund einer mündlichen Verhandlung
vom 10. März 2003 gefällt wurde, darf man die Musikalische
Früherziehung mithin sicher als geeignet für eine professionelle
musikalische Laufbahn ansehen. Ihre Inhalte dürfen für
das spätere Ergreifen eines Musikberufes als Erfordernis gelten,
unabhängig davon, ob sie an einer Musikschule kommunaler oder
privater Trägerschaft, oder von anderen privaten Personen –
gegebenenfalls auch von entsprechend disponierten Eltern –
vermittelt werden.
Es sei gestattet, über die fachlichen Argumente hinaus auch
einen fachpolitischen Gedanken in dieser Angelegenheit anzureißen
(vgl. Dartsch, 2002b): De facto ergreift tatsächlich nur ein
kleiner Teil der Instrumentalschülerinnen und -schüler
später einen Musikerberuf, was dem vorbereitenden Aspekt des
von ihnen besuchten Unterrichts jedoch keinerlei Abbruch tut. Auch
wird eine professio- nelle Musikerlaufbahn wohl nur selten von Eltern
bei der Anmeldung ihrer Kinder zum Instrumentalunterricht intendiert.
Diesbezüglich sind also die Musikpädagoginnen und -pädagogen
der Instrumentalfächer durchaus in einer ähnlichen Lage
wie die Lehrkräfte der Elementaren Musikpädagogik. Sie
alle leisten grundlegende und wertvolle Bildungsarbeit und sind
nicht mit wirtschaftsstarken Unternehmen zu vergleichen, sondern
müssen sich – oftmals aus Gründen des Fehlens oder
Wegfalls fester Musikschulstellen – mit privatem Unterricht
auf dem freien Markt behaupten und oft genug regelrecht „durchschlagen“.
Ihre besondere Stellung und spezifische Situation gegenüber
Wirtschaftsunternehmen spiegelt sich ja auch in der gesetzlich verankerten
Künstlersozialkasse, die für sie eine Benachteiligung
gegenüber angestellten Musikern und Lehrkräften auszugleichen
sucht.
Zur Besteuerung
Vor dem Hintergrund eines sich rapide verschlechternden Arbeitsmarktes
für Musikschul-Lehrkräfte ist es meine Sorge, dass die
finanziellen Einbußen, die durch die Umsatzsteuer entstehen,
zu einer weiteren Abnahme der Attraktivität des Berufes und
damit schließlich auch der musikalischen „Grundversorgung“
und „Grundkompetenz“ unserer Kinder und Jugendlichen
beitragen könnten. Gerade im Saarland mit seiner aufs Ganze
gesehen geringen Musikschulförderung seitens der öffentlichen
Hand und seinen nur sieben VdM-Musikschulen – wobei selbst
an diesen überwiegend weit schlechtere berufliche Bedingungen
herrschen als an vergleichbaren Schulen anderer Bundesländer
– ist die Bedeutung des privaten Unterrichtes für die
potenziellen Kunden ebenso hoch einzuschätzen wie für
die Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Hier sei besonders
an die Hochschule für Musik Saar gedacht, deren reformorientierte
Anstrengungen im Studienbereich Musikerziehung für die Studierenden
auf diese Weise ins Leere zu laufen drohen.
Anmerkung: Das zuständige Ministerium im Saarland folgt inzwischen
der Leitlinie, die Musikalische Früherziehung als berufsvorbereitend
anzusehen und für sie eine Befreiung von der Umsatzsteuer zu
gewähren, sofern der Unterricht von Lehrkräften mit einem
Diplom für Elementare Musikpädagogik erteilt wird.
Literatur
• Bastian, Hans Günther: Jugend am Instrument. Eine
Repräsentativstudie. Mainz: Schott, 1991
• Dartsch, Michael: Spielräume im Instrumentalunterricht.
Die Unterrichtskonzeption der Reihe „Musik und Tanz für
Kinder“ als Stein des Anstoßes für die Instrumentaldidaktik.
In: Üben & Musizieren, 19, 2002a, 3, S. 6–11
• Dartsch, Michael: Lebendigkeit, Tiefe und ökonomische
Stabilität. Herausforderungen für Musikschule und Hochschule.
In: neue musikzeitung (nmz), 51, 2002, 11, S. 3
• Gembris, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und
Entwicklung. Augsburg: Wißner, 1998
• Gordon, Edwin E.: A music learning theory for newborn
and young children. Chicago: GIA, 1990
• Manturzewska, Maria: A Biographical Study of the Life-Span
Development of Professional Musicians. In: Psychology of Music,
2, 1990, S. 112–139
• Ribke, Juliane: Elementare Musikpädagogik. Persönlichkeitsbildung
als musikerzieherisches Konzept. Regensburg: ConBrio, 1995
• Swanwick, Keith; Tillman, June: The sequence of musical
development. A study of
children’s musical composition. In: British Journal of Music
Education, 3, 1986, S.
305–339
• Verband deutscher Musikschulen (VdM): Lehrplan Musikalische
Früherziehung, Kassel:
Bosse, 1994
• Verwaltungsgericht Düsseldorf: Urteil 25 K 5979/02