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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 14
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Missstände in der Breitenkultur beseitigen
Einsparungen fordern mehr ehrenamtliches Engagement
Leere Kassen, rekordverdächtige Arbeitslosenzahlen, ein marodes
Gesundheitssystem – die Bundesregierung hat viel zu tun. Mit
der Agenda 2010 soll nun alles besser werden. Und plötzlich
steht eine ganz andere Frage im Raum: Die Frage nach der Situation
der deutschen Breitenkultur. Insgesamt 57 Fragen hat sich die Opposition
hierzu einfallen lassen, mit dem Ziel, dass dieser Bereich des kulturellen
Lebens mehr Beachtung findet.
Gitta Connemann und Wolfgang
Bötsch. Fotos: Archiv
Deutschland wirkt wie ein einziges Problemfeld. Die Reformdiskussion,
wie man den Kahn wieder flott kriegt, dreht sich im Kreis, und die
Anzahl derer, die noch durchblicken schrumpft. Ein neues Abkürzungsdeutschland
wird derzeit geschaffen, das alte wurde von den Fantastischen Vier
bereits besungen. Heutzutage ist bei Hartz IV, Alg II, SGB XII kaum
mehr einem zum singen zu Mute. Aber der Bürger lernt das neuen
Kürzel-AbisZ mit römischen Ziffern kombiniert fleißig
mit und ist gespannt, was sonst noch droht. Die Einsparungen, die
landauf, landab getroffen werden erstrecken sich auf vielerlei Bereiche
und fordern immer mehr ehrenamtliches Engagement. Auch im kulturellen
Bereich. Und genau dieses Problemfeld versuchen Unionspolitiker
jetzt in den Fokus zu rücken.
Deshalb reichten Bundestagabgeordnete und die Fraktion der CDU/CSU
Mitte November eine Große Anfrage bei der Bundesregierung
ein. Diese trägt den Titel „Situation der Breitenkultur
in Deutschland“. Federführend hierbei waren die Bundestagsabgeordnete
und Vorsitzende der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland Gitta
Connemann und der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bötsch. Beide
stehen auch gemeinsam der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
als Präsident und Vizepräsidentin vor. Die Wahl des Instruments
der Großen Anfrage zeigt, dass den Abgeordneten die Angelegenheit
sehr wichtig ist. Denn im Gegensatz zur Kleine Anfrage, die die
Bundesregierung nur schriftlich beantworten müsste, zieht die
Große Anfrage in der Regel eine Diskussion im Bundestag nach
sich. Dies geschieht dann innerhalb einer Fragestunde des Bundestags.
„Die Große Anfrage kann nur mit der Fraktion gemeinsam
gestellt werden“, erklärt Gitta Connemann. Sie sei sehr
dankbar, dass die Fraktion mitgezogen habe. Da die Situation der
Breitenkultur dringend mehr Öffentlichkeit benötige.
Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff der Breitenkultur?
Ein anderer, gebräuchlicherer Begriff für Breitenkultur
ist Laienkultur. Nun ist „Laie“ in der Umgangssprache
keine positiv besetzte Bezeichnung, denn gemeint ist damit ein Nichtfachmann.
Da aber nicht jeder Zugehörige der Laienkultur nichts von seinem
Fach versteht, verständigte man sich auf den Begriff der Breitenkultur,
was sich immer mehr durchsetzt. Die Breitenkultur erstreckt sich
über den Musik- und Theatersektor bis hin zur Pflege von Kultureinrichtungen
wie beispielsweise Museen und Bibliotheken, aber auch die von Brauchtümern.
Nun ist Kultur nicht einfach da. Das Schaffen und Erhalten von Kultur
erfordert Arbeit und diese wird in den genannten Bereichen hauptsächlich
von Ehrenamtlichen geleistet. Etwa 3,5 Millionen Menschen sollen
in Deutschland im Kulturbereich bürgerschaftlich aktiv sein.
Doch seien die Bedingungen unter denen dieses ehrenamtliche Engagement
geleistet werden, bisher nur punktuell und nicht losgelöst
von anderen Fragestellungen untersucht worden, lautet es in der
Begründung der Anfrage.
Das soll sich jetzt ändern. Die Unionsfraktion erhofft sich
von der Großen Anfrage nun, „dass danach mehr Daten
und Fakten über diesen Kulturbereich bekannt werden und die
Bundesregierung von der großen Bedeutung der Breitenkultur
überzeugt wird“, sagt Gitta Connemann. Das Instrument
der Großen Anfrage habe man dem der Kleinen Anfrage vorgezogen,
da so anschließend eine parlamentarische Debatte darüber
erfolge. Sie habe die Hoffnung, dass die Diskussion darum grundsätzliche
Ausstrahlung auf die Bedeutung der Breitenkultur habe. Connemann
ist der Ansicht, dass die zuständige Kulturstaatsministerin
Christina Weiss der Breitenkultur keine Beachtung schenke. „Es
nützt nichts, wenn führende Politiker jede Oper besuchen,
aber die Breite aus den Augen verlieren“, sagt die Bundestagsabgeordnete.
Der Fragenkatalog, den die Bundesregierung nun vorliegen hat, enthält
57 Fragen, die sich von der allgemeinen Situation der Breitenkultur
über die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie das Vereins- und
Steuerrecht erstrecken. So droht beispielsweise ehrenamtlich tätigen
Vorstandsmitgliedern von Vereinen unter bestimmten Umständen
eine Haftung mit ihrem Privatvermögen. „Das ist ein Missstand,
den die Bundesregierung dringend beseitigen muss“, sagt Connemann.
Dieser Zustand sei ein Wahnsinn, denn früher habe es bei ehrenamtlicher
Tätigkeit kaum finanzielle Risiken gegeben. Des Weiteren hat
sich die Bundesregierung mit der Bedeutung der Breitenkultur für
die Jugend und für Senioren zu beschäftigen aber auch
damit, wie sie ihre Fördermitteln verteilt. Der letzte Themenabschnitt
der Großen Anfrage erstreckt sich auf das Feld Arbeit und
Beschäftigung. Hier interessiert die Christdemokraten unter
anderem, ob die Bundesregierung plant, dass Empfänger von Arbeitslosengeld
II bei entsprechender Qualifikation auch an Vereine im Bereich der
Breitenkultur vermittelt werden. „Natürlich dürfen
die Ein-Euro-Jobs nicht dazu führen, dass Jobs verdrängt
werden“, erklärt Connemann, aber sie sei dafür darüber
nachzudenken, wie ein sinnvoller Einsatz von Alg-II-Empfängern
in diesem Bereich aussehen könnte. „Es steht zu befürchten,
dass wir ganz schnoddrige Antworten bekommen“, sagt Connemann.
Natürlich hoffe sie dies nicht, denn dann könne man die
Bundesregierung in die Pflicht nehmen.