[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 9
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Wenn Orchester zu Veranstaltungs-Maschinen verkommen
Hartung und Frantz: Die Deutsche Orchestervereinigung ist besorgt
über den Umgang mit osteuropäischen Musikern
Der Skandal um den Dirigenten Volker Hartung hat den Stein ins
Rollen gebracht und die Debatte um Schwarzarbeit im Orchesterbetrieb
angeheizt. Die französische Justiz wirft dem Leiter der Jungen
Philharmonie Köln vor, für eine Konzerttournee durch Frankreich
illegal Musiker aus Osteuropa beschäftigt und sie obendrein
zu einem Hungerlohn von nur 30 Euro pro Tag abgespeist zu haben.
Hartung selbst hingegen soll an der Konzertreise 200.000 Euro verdient
haben, während die Musiker unter miserablen Bedingungen hätten
arbeiten müssen. Wird dem Kölner Dirigenten tatsächlich
Schwarzarbeit nachgewiesen, drohen ihm bis zu drei Jahre Gefängnis
und eine Geldstrafe von einer Millionen Euro.
Hartung hat zwar in öffentlichen Auftritten alle Vorwürfe
vehement zurückgewiesen, doch längst ist eine Diskussion
darüber entbrannt, inwieweit die Beschäftigung von billigen
Arbeitskräften nicht auch im hiesigen Kulturbetrieb bereits
Einzug gehalten hat, ja schon zur gängigen Praxis gehört.
Konkret gefragt: Droht mit der Osterweiterung der Europäischen
Union eine Schwemme an Musikern aus diesen Ländern, die ihre
hoch qualifizierten Dienste in Westeuropa zu einem Schleuderpreis
anbieten? Rumänische und bulgarische Geiger sind aus westeuropäischen
Orchestern schon seit langem nicht mehr wegzudenken. Genau das ist
Hartungs Vorwurf: „Die Gewerkschaften sollen doch nicht so
tun, als wüssten sie nicht, dass es diese Musiker in deutschen
Orchestern gibt“, sagte der Dirigent der nmz.
Der Geschäftsführer der „Deutschen Orchestervereinigung“
(DOV), Gerald Mertens, stuft diese Gefahr eher gering ein. Wie er
in einem Gespräch mit der nmz mitteilte, stünden die im
vergangenen Mai in die EU aufgenommenen Länder unter einem
wirtschaftlichen Anpassungsdruck, der mittelfristig zu einer deutlichen
Anhebung der Löhne führen werde. „Wenn der Euro
in diesen Ländern irgendwann eingeführt wird, müssen
sie ohnehin auf ein vergleichbares Niveau kommen.“ Schon jetzt
verdiene beispielsweise ein polnischer Musiker in einem renommierten
Warschauer Orchester zwischen 500 und 600 Euro. Wenn man die günstigen
Lebenshaltungskosten in diesen Ländern berücksichtige,
„ist das ja schon mal was“.
Größere Probleme sieht der DOV-Geschäftsführer
hingegen durch die an die neuen EU-Länder angrenzenden Staaten
wie Russland, Moldawien, Weißrussland oder Ukraine gegeben.
Da dort das Vergütungsniveau noch viel geringer ist als etwa
in Polen oder den baltischen Staaten, müsse man sich auf Lohndumping
aus diesen Ländern einstellen. „Das ganze Problem verlagert
sich jetzt weiter nach Osten, das ist eigentlich mit der EU-Osterweiterung
zu beobachten.“ Mertens zufolge klagen bereits polnische Musiker
über den Konkurrenzdruck aus den angrenzenden Staaten, die
ihre Dienste zu Billigstlöhnen anbieten.
Und doch: Auch in Westeuropa stehen die Karten gut, dass Konzertveranstalter
große Gewinne machen, dabei die soziale Absicherung der Musiker
gleichzeitig so gering wie möglich halten können. Grundlage
hierfür ist die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene,
so genannte Richtlinie über „Dienstleistungen im europäischen
Binnenmarkt“, die eine größere Liberalisierung
im Kulturbetrieb anstrebt. Im Falle einer Umsetzung ermöglicht
diese Richtlinie, dass sich Unternehmer Länder mit niedrigen
sozialen Standards als Firmensitz aussuchen und von dort die Musiker
auf Konzertreisen durch ganz Europa schicken können. „Das
ist ein echtes Trojanisches Pferd“, weiß Mertens. Er
kritisiert, dass zentrale Bereiche der Wirtschaft wie die Telekommunikation
und der öffentlich-rechtliche Rundfunk von dieser Regelung
ausgenommen seien, die Kultur hingegen mit voller Wucht getroffen
werde. „Die kann sich eben nicht dagegen wehren.“ Es
gelte, die Kultur ebenso aus dieser Verordnung herauszunehmen, um
die ungeschützte Öffnung des Marktes für Dienstleistungen
zu verhindern.
Viel mehr Liberalisierung für den Kulturbetrieb wiederum wünscht
sich Volker Hartung, der sich als Opfer eines „unglaublichen
Komplotts von Seiten der französischen Gewerkschaften“
sieht. Im Fadenkreuz seiner Kritik steht vor allem der „Subventionswahn“
der einzelnen Länderregierungen, der seiner Auffassung nach
verhindert, dass sich im Kulturbetrieb freies Unternehmertum entwickeln
könne. Die Folge: Innovationen und Kreativität blieben
auf der Strecke, „also genau das, was die Menschen an meinen
Konzerten schätzen“. Er sei genau in die Falle hineingetappt,
die ihm die Gewerkschaften gestellt hätten: „Die haben
gesehen, dass da jemand ist, der die Kirchen voll kriegt, und gesagt:
Diesen Mann darf es nicht geben.“ Würde sich der Konzertbetrieb
mehr über den Markt und nicht über „gnadenlose Subventionierungen“
regulieren, werde auch die Macht der Gewerkschaften beschnitten
und den klassischen Konzerten ein größerer Erfolg beschieden,
glaubt Hartung. Er verweist auf die New Yorker „Metropolitan
Oper“, die sich vorwiegend über Mitglieder- und Sponsorenbeiträge
finanziert. Ein Beispiel für den Erfolg einer solchen ausschließlich
marktbezogenen Kulturpolitik in Europa scheint die „Philharmonie
der Nationen“ unter der Leitung von Justus Frantz zu geben.
Die tragenden Säulen der Finanzierung des rein privat geführten
Sinfonieorchesters sind Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Spenden
des Fördervereins, CD-Verkauf und Zuschüsse von Hauptsponsoren,
die den größten Teil beisteuern. Offensichtlich scheint
das finanzielle Konzept, das zudem noch über Rundfunk –
und Fernsehauftritte getragen wird, aufzugehen. Das Orchester hat
all- erdings auch eine im Vergleich zu anderen Konzertbetrieben
kostengünstige Organisationsform: Es besteht zu einem großen
Teil aus in Ausbildung befindlichen Musikern aus aller Welt, die
jeweils für einzelne Tourneen und Projekte engagiert werden
und sehr bescheidene Tagesgagen sowie Spesen erhalten. Wie groß
ist da der Unterschied zu Hartungs Methoden?