[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 12
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Nachschlag
Nachschlag
Enge-Anpassungen
Es war schon recht zynisch, wie BR-Intendant Thomas Gruber die
Auflösung des Münchner Rundfunkorchesters bis zum Jahr
2006 verbal abfederte. Seine Sorge gehöre dem Schicksal der
71 Musiker, man werde Lösungen, sozialverträglich wird
häufig ergänzt, finden. Natürlich gehört auch
unsere Solidarität diesen Musikern, aber es geht um mehr. Es
geht darum, dass fruchtbare Arbeit (kaum ein Orchester war in München
so innovativ und dabei auch erfolgreich wie eben das Rundfunkorchester)
in der ARD nicht mehr zählt, dass Kreativität und geistige
Beweglichkeit keine Rolle spielen. Es geht um die permanent anwachsende,
von eigenen, inneren Mechanismen erzwungene Lustlosigkeit in den
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Der Bayerische Rundfunk hat mit dieser Aktion ein Zeichen gesetzt,
das sicher gerne anderswo aufgenommen wird. Und damit setzt sich
ein Verfall der Rundfunklandschaft fort, der sich seit mehr als
einem Vierteljahrhundert immer mehr bemerkbar macht. Die Redakteure,
es sind fraglos einige der fähigsten Köpfe der deutschen
Kulturszene darunter, werden mutlos gemacht; wer um das kämpft,
was ihm am Herzen liegt (anderswo wäre dies ein oberstes Qualitätskriterium),
wird zumindest abmahnend zur stillschweigenden Solidarität
mit der Anstalt und ihren Erfordernissen aufgefordert. Innovative
Ideen, die für ein neues Selbstverständnis der öffentlich-rechtlichen
Medien sorgen könnten, werden den so genannten drückenden
Erfordernissen des Tages geopfert. Das Bewusstsein, einfach nur
noch Dienst nach Vorschrift zu machen, gedeiht unter solchen Bedingungen
prächtig.
Nur wenige künstlerische Medien waren im 20. Jahrhundert
so experimentell und erfindungsreich wie der Rundfunk. Schon in
den 20er-Jahren debattierte man über die neuen Vermittlungsformen
und über deren ästhetische Auswirkungen. Neue Formen von
Mittel- und Unmittelbarkeiten entstanden und flossen in die Darbietungsarten
ein. Nach dem zweiten Weltkrieg und den fatalen Erfahrungen mit
dem Medium des Funks (das sich eben auch zu massenhafter Verschleierung
oder Verdrehung von Wahrheit eignet) waren es wiederum an vorderer
Stelle die Rundfunkanstalten, die ihre Funktion kritisch überdachten
und sich als Medium der Aufklärung definierten. „Seid
Sand und nicht Öl im Getriebe der Menschheit”, forderte
damals Günther Eich und der Rundfunk beherzigte diese Aufforderung.
Man sah sich als Anwalt des zeitgenössischen Kunst-Denkens
und der aus allen Richtungen kommenden kritischen Befragungen der
Gesellschaft. In diesen Zeiten konnten die Redakteure mit gutem
Gewissen für das einstehen, was sie taten; sie hielten eigene
Positionen nicht hinterm Berg, sondern suchten die offene und scharfe
Debatte. In diesen Zeiten entstand ein ausgeprägtes Selbstverständnis
der Rundfunkanstalten.
War das elitär? Wohl kaum, denn der Rundfunk rechnete mit
einem mündigen oder zumindest mit einem zur Mündigkeit
fähigen Bürger. Und er stellte sich ihm. Im Grunde ist
es weit elitärer, wenn, wie es heute geschieht, auf den angeblichen
Geschmack der Massen rekurriert wird. Der Rundfunk ist Fütterungsanstalt
von Millionen von gleichgedachten Ohren und Hirnen. Er ist Betreuer
wie in einem Sanatorium, in dem den Kranken das nötigste zugebilligt
und Kontakt zu ihnen möglichst vermieden wird (auch, dies am
Rande, die vielen Talkshows im Fernsehen mit ihren inszenierten
Problemdebatten stellen ja nur Scheinkontakte zum Rezipienten her).
Das Selbstverständnis ist zur Quotenzählerei geschrumpft.
Und das ist ein trauriger Zustand. Der Rundfunk fordert den Hörer
nicht mehr (außer Gebühren von ihm). Man passt sich den
Hörgewohnheiten des Zielpublikums an, anstatt dass man für
sich in Anspruch nimmt, die Hörgewohnheiten zu ändern,
zu modifizieren, voranzubringen. Längst liegen die öffentlichen
Sendeanstalten auf der Schlachtbank von Entertainment-Strukturen,
die die Preise bestimmen und das Heft des Handelns in der Hand halten;
die letztlich nur in Schnellverwertung und Abschlaffung treiben
(was kosteten etwa 1954 die Übertragungsrechte des „Wunders
von Bern” im Gegensatz zur jämmerlichen Europameisterschaft
fünfzig Jahre später?) Um dem zu entkommen bräuchte
es Ideen in offene, nicht Knebelstrukturen, die vom angeblichen
Druck der Masse erzeugt werden. Wer immer nur von erzwungenen Streichungen
spricht, hier reduziert, dort wegschneidet, der schafft ein Klima
des Verfalls.
Wer wirklich nach vorne denkt, für den müssen Dinge wie
Orchesterstreichungen durchaus kein Tabu sein, denn die Landschaft
ändert sich. Aber er müsste sich überlegen, ob nicht
die Schaffung etwa eines ARD-eigenen Ensembles für Neue oder
Alte Musik, einer Formation für experimentellen Jazz und vieles
mehr längst an der Tagesordnung wäre: Musikgruppen, die
befruchtend in Hörspielproduktionen oder andere kulturelle
und wissenschaftliche Beiträge einzubinden wären und radikal
neue Formen der Vermittlung schaffen könnten (nicht die Formationen
müssen erhalten und verwaltet werden, musikalische Betätigung
gilt es zu erhalten und auszubauen). So aber wird das kulturelle
Eigenverständnis immer weiter beschnitten und in die Enge gedrängt,
ohne dass Türen in neue Richtungen geöffnet werden. Kafkas
Parabel fällt ein: Die einen Gang entlanglaufende Maus klagt,
dass die Mauern immer enger aneinander rücken. Bald schon gebe
es für sie kein Durchkommen mehr. Die Katze entgegnet ihr,
sie hätte nur die Laufrichtung ändern müssen. Und
dann fraß sie die Maus. Ist es die ARD-Maus, die von der Quoten-Katze
verschluckt wird?